Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen
Wahlen in kantonale Regierungen
Bei den fünf Gesamterneuerungswahlen (FR, GE, NE, SO, VS) kam es einzig in Genf zu einer Änderung der parteipolitischen Zusammensetzung: Nach 155 Jahren ist die FDP nicht mehr in der Regierung der Rhonestadt vertreten. Die beiden freisinnigen Sitze erbten die Liberalen und die CVP. Zum Verhängnis geworden war den Radikalen die Ausrichtung nach Rechts mit der Nomination eines Vertreters des rechten Flügels als Ersatz für den zurücktretenden, liberal gesinnten Guy-Olivier Segond und die Tatsache, dass der wiederkandidierende Staatsrat Gérard Ramseyer in die Affären um die kantonalen Betreibungs- und Konkursämter verwickelt war. Obschon die SVP auf Parlamentsebene massive Gewinne erzielte, blieb ihr der Erfolg in den Exekutivwahlen versagt: Weder in Freiburg noch in Solothurn hatten ihre Kandidaten eine Chance, der CVP einen Sitz abzujagen. In Freiburg landete der SVP-Bewerber, der sich um die Nachfolge von Augustin Macheret bemühte, hinter der erfolgreichen Isabelle Chassot (cvp) und den übrigen bürgerlichen Interessenten abgeschlagen auf dem letzten Platz; in Solothurn zog sich die SVP nach dem schlechten Abschneiden im ersten Wahlgang zurück. Aber auch der SP, die es ebenfalls auf diesen Solothurner CVP-Sitz abgesehen hatte, war kein Erfolg beschieden. Ansonsten setzten sich die Parteien mit ihrer Kandidatenkür für die entsprechenden Nachfolgen mit Ausnahme der Genfer FDP erfolgreich durch: In Neuenburg ersetzte die Liberale Sylvie Perrinjaquet ihren Parteikollegen Jean Guinand und der Sozialdemokrat Bernard Soguel Francis Matthey, während im Wallis der Freisinnige Claude Roch die nötige Anzahl Stimmen erzielte, um von Serge Sierro das Amt übernehmen zu können. In Genf hingegen wurde der Freisinnige Gérard Ramseyer abgewählt.
Im Gegensatz zu den Parlamenten, wo die Zahl der
Frauen sank, sind sie
in den Regierungen besser vertreten. In Freiburg folgte Isabelle Chassot (cvp) auf Augustin Macheret, in Neuenburg ersetzte die Liberale Sylvie Perrinjaquet den zurücktretenden Jean Guinand. In Solothurn wurde die amtierende Ruth Gisi bestätigt. Einzig im Wallis versuchte die wild kandidierende Cilette Cretton erfolglos, den offiziellen Kandidaten der FDP auszustechen, so dass das Wallis weiterhin auf seine erste Staatsrätin warten muss. Gesamtschweizerisch stieg der Frauenanteil in den kantonalen Regierungen von 18,5% wieder auf 20,4%. Gemessen am Gesamttotal ihrer Regierungssitze (8) stellen neu die Liberalen mit drei Exekutivmitgliedern den höchsten Frauenanteil (37,5%), gefolgt von der SP mit 30,8% (8 von 26 Regierungsräten). Von einem reinen Männergremium regiert werden sieben Kantone (AI, AG, NW, SH, SZ, TG, VS)
[9].
Aussergewöhnlich an den diesjährigen Staatsratswahlen war, dass die Stimmbürgerinnen und -bürger darauf verzichteten, die Regierungszusammensetzung zu ändern. Zum ersten Mal seit 1966 sieht die
neue Exekutive parteipolitisch gleich aus
wie die
vorangehende. Sie umfasst drei Mitglieder der CVP, zwei der SP, einen Vertreter der FDP und einen Unabhängigen. Mit Ausnahme von Augustin Macheret (cvp), der nach zehnjähriger Regierungstätigkeit aus dem Amt schied, stellten sich alle Regierungsmitglieder erneut zur Wahl. Als Ersatz für Macheret nominierte die CVP die frühere persönliche Mitarbeiterin von Bundesrätin Metzler, Isabelle Chassot. Des Weiteren kandidierten neben den Bisherigen Jean-Luc Baechler (cvp), Pascal Friolet (fdp), Benoît Rey (csp) und Romain Barras (svp). Mit 56% der Stimmen erreichte einzig Staatsrat Pascal Corminboeuf das absolute Mehr; der Unabhängige hatte sich mit seiner Publikumsnähe sowie seiner Arbeit an der Staatsverfassung und bei den Gemeindefusionen die Anerkennung der Bevölkerung erworben. Auf den Plätzen zwei bis vier folgten die beiden Bisherigen der CVP Urs Schwaller und Michel Pittet mit 49,5% beziehungsweise 46% der Stimmen und die Neue Isabelle Chassot mit 43,5%; die Mitglieder der SP Ruth Lüthi und Claude Grandjean erreichten 39,5% und 32% der Stimmen und der Freisinnige Claude Lässer 28%. Nur wenige Stimmen dahinter lag Baechler (cvp), dann folgten Friolet (fdp), Rey (csp) und abgeschlagen auf dem letzten Platz der Kandidat der SVP, Barras. Das schlechte Abschneiden von Claude Grandjean war wohl auf die Affäre Grossrieder zurückzuführen, als der SP-Staatsrat den obersten Drogenfahnder des Kantons aufgrund eines Korruptionsverdachts entlassen hatte, Grossrieder vor Gericht jedoch freigesprochen wurde. Nachdem nur wenige Tausend Stimmen für ihren Kandidaten Romain Barras eingegangen waren, widerstand die SVP der Versuchung, einen anderen Kandidaten für den zweiten Wahlgang zu nominieren. Barras hatte seine Bewerbung bereits unmittelbar vor den Wahlen zurückziehen müssen, weil er wegen Verleumdung und falscher Anschuldigung verurteilt worden war. Da auch die übrigen drei Letztplatzierten aufgaben, entfiel ein zweiter Wahlgang. Die fünf bisherigen Staatsräte und die Neue Isabelle Chassot wurden in stiller Wahl gewählt
[10].
Nach 155-jähriger Mitgliedschaft im siebenköpfigen Staatsrat ist die
FDP, der grand vieux parti,
nicht mehr in der Genfer Kantonsregierung vertreten. Bisher waren mit dem Linksliberalen Guy-Olivier Segond und dem Rechtsbürgerlichen Gérard Ramseyer beide Flügel des Freisinns integriert. Nachdem die FDP Segond zu einem Verzicht auf eine weitere Amtsperiode hatte bewegen können, schlug sie mit der Nomination von Pierre Kunz, dem Direktor des Centre commercial von Balexert, einen prononciert rechtsbürgerlichen Kurs ein. Die Liberalen schickten zwei Frauen, Staatsrätin Martine Brunschwig Graf und Micheline Spoerri, ins Rennen. Für die CVP kandidierten Staatsrat Carlo Lamprecht und Pierre-François Unger. Nach dem schlechten Abschneiden der FDP in den Parlamentswahlen einigten sich die Bürgerlichen auf eine gemeinsame Fünferliste mit nur einem Freisinnigen, dem Bisherigen Ramseyer. Seine parteiinternen Mitbewerber, Nationalrat John Dupraz und der im Frühjahr provisorisch nominierte Kunz, blieben an der FDP-Delegiertenversammlung chancenlos. Die bei den Parlamentswahlen siegreiche SVP verzichtete auf eine Nominierung, weil sie keinen geeigneten Bewerber finden konnte. Die Linke kandidierte auf einer gemeinsamen Liste mit ihren Regierungsmitgliedern Micheline Calmy-Rey (sp), Laurent Moutinot (sp) und Robert Cramer (gp) sowie mit Erica Deuber Ziegler von der Linksallianz
[11].
Im November wählten Genferinnen und Genfer bei einer Beteiligung von 43% eine weiterhin bürgerlich dominierte Exekutive. Das beste Resultat erreichte jedoch mit 59 000 Stimmen die Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey. Platz zwei belegte Carlo Lamprecht (cvp), Platz drei der Grüne Robert Cramer. Der Neue Pierre-François Unger (cvp) schaffte auf Anhieb den vierten Rang. Danach folgten die Bisherigen Laurent Moutinot (sp) und Martine Brunschwig Graf (lp) sowie die Neue Micheline Spoerri (lp). Der Freisinnige Gérard Ramseyer landete weit abgeschlagen, mit 8000 Stimmen Rückstand auf Erica Deuber Ziegler von der Alliance de Gauche auf dem letzten Platz und wurde abgewählt. Die Affären in den kantonalen Betreibungs- und Konkursämtern und die Neuausrichtung seiner Partei waren ihm offenbar zum Verhängnis geworden
[12].
Bei den Liberalen trat Jean Guinand, bei den Sozialdemokraten Francis Matthey aus dem fünfköpfigen Staatsrat zurück. Die Liberalen nominierten daraufhin Grossrätin Sylvie Perrinjaquet, die zusammen mit Pierre Hirschy (lp) und Thierry Béguin (fdp) das bürgerliche Ticket bildete. Obschon die Linke die Mehrheit in der Regierung anstrebte, weigerte sich die PdA, mit der SP gemeinsam auf einer Liste zu kandidieren und portierte im Bündnis „Popécosol“ zusammen mit den Grünen und den „Solidarités“ vier Personen. Darauf nominierte die SP drei Kandidaten: neben der Bisherigen Monika Dusong neu den Agronomen Bernard Soguel und den auch bei den bürgerlichen Parteien geschätzten Lehrer Jacques-André Maire. Um trotzdem Einigkeit zu markieren, legte die Linke erstmals ein gemeinsames Programm vor. Dies reichte jedoch nicht als Gegengewicht zum
geschlossenen Auftreten der Bürgerlichen; ihre drei Kandidaten erreichten alle das absolute Mehr: Das beste Resultat erzielte mit 56,6% der Stimmen Pierre Hirschy (lp), gefolgt von Thierry Béguin (fdp) mit 54,3% und Sylvie Perrinjaquet mit 44%. Damit war die Strategie der Linken gescheitert, die neue Kandidatin der Liberalen in einen zweiten Wahlgang zu zwingen. Stattdessen verpasste Staatsrätin Monika Dusong (sp) mit 36,9% der Stimmen das absolute Mehr und schnitt sogar schlechter ab als ihr neu antretender Parteikollege Bernard Soguel mit 37,8%. Die Kandidierenden der „Popécosol“ hatten keine Chancen. Da die Schlechtestplatzierten ihre Kandidaturen für einen zweiten Wahlgang zurückzogen, wurden Soguel und Dusong in stiller Wahl gewählt
[13].
In Solothurn stellten sich alle fünf Mitglieder der Exekutive zur Wiederwahl. Die SP versuchte mit ihrem offiziellen Sprengkandidaten Andreas Bühlmann, der CVP erneut den zweiten Sitz streitig zu machen. Neben Hans-Rudolf Lutz von der SVP bewarben sich zudem drei Aussenseiter für ein Amt. Im ersten Wahlgang schafften bei einer Beteiligung von 50% nur Christian Wanner (fdp) und Walter Straumann (cvp) das absolute Mehr, die drittplatzierte Ruth Gisi (fdp) verfehlte es knapp. Auf dem vierten und fünften Rang folgten die beiden übrigen Exekutivmitglieder Thomas Wallner (cvp) und Rolf Ritschard (sp). Aufgrund ihrer schlechten Resultate zogen die beiden Herausforderer Bühlmann (sp) und Lutz (svp) ihre Kandidaturen zurück, um eine stille Wahl der Besserplatzierten zu ermöglichen. Andreas Müller von der
Hanfpartei und Edy Schenk, der bereits vor vier Jahren angetreten war und zu dessen Gunsten Marc Friedli (parteilos) verzichtet hatte,
erzwangen jedoch einen
zweiten Wahlgang. Bei einer Wahlbeteiligung von nur noch 29,7% wurden dabei die übrigen drei Bisherigen Wallner, Gisi und Ritschard in dieser Reihenfolge gewählt
[14].
Für die Gesamterneuerungswahlen in den fünfköpfigen Staatsrat beschränkte sich die CVP/CSP mit Jean-René Fournier (cvp), Jean-Jacques Rey-Bellet (cvp) und Wilhelm Schnyder (csp) auf das Halten ihrer drei Sitze. Die SP trat mit Thomas Burgener an, der 1999 Peter Bodenmann ersetzt hatte. Der Freisinnige Serge Sierro hingegen reichte seinen Rücktritt ein, worauf die FDP den Gemeindepräsidenten von Port-Valais und Präsidenten der Walliser FDP Claude Roch nominierte. Um den Frauen endlich eine Vertretung in der Walliser Regierung zu geben, entschloss sich die ehemalige Präsidentin der FDP, Cilette Cretton aus Martigny, zu einer wilden Kandidatur. Der Unabhängige Michel Carron bewarb sich ebenfalls um ein Amt. Die CVP/CSP brachte ihre drei Kandidaten bereits im ersten Wahlgang problemlos durch: Jean-René Fournier erreichte mit 52,3% das Bestresultat, gefolgt von Wilhelm Schnyder und Jean-Jacques Rey-Bellet. Der Sozialdemokrat Thomas Burgener und die beiden Freisinnigen verpassten das absolute Mehr. Cilette Cretton erhielt mit 21 400 Stimmen nur 3400 Stimmen weniger als Claude Roch, zudem lag sie in 9 von 13 Bezirken vorne. Damit stellte die Frauenkandidatur eine echte Herausforderung für die beiden offiziellen Bewerber dar.
Für den zweiten Wahlgang beschloss die CVP Stimmfreigabe, favorisierte jedoch Roch, um die rechte Mitte in der Regierung zu stärken. Die SP verzichtete ebenfalls auf eine Empfehlung und stiess damit die FDP, ihre ehemalige Verbündete von 1997, vor den Kopf. Mit vierzig Prozent aller Stimmen (rund 39 000) erzielte Burgener das beste Resultat. Roch erreichte 31 000, und auf Cretton entfielen 26 000 Stimmen. Die Oberwalliserinnen und -walliser hatten ihren Kandidaten Burgener nicht gefährden wollen und keinen zweiten Namen auf den Wahlzettel geschrieben; sonst wären Cretton, die in der FDP dem linken Flügel angehörte, wohl die linken Wählerstimmen Burgeners zugute gekommen. Roch hingegen profitierte von den Wählenden der CVP, soweit sie zur Urne gingen; diese hatten offensichtlich darauf verzichtet, der traditionellen Gegnerin FDP einen Streich zu spielen. Damit wurde die 1997 mit dem Einzug des Sozialdemokraten Peter Bodenmann
neu definierte Regierungsformel 3 CVP, 1 FDP, 1 SP bestätigt, doch ist immer noch
keine Frau in der Walliser Exekutive vertreten. Geblieben ist mit zwei Vertretern des deutschsprachigen Kantonsteils (Burgener und Schnyder) auch die sprachregionale Verteilung
[15].
[9] Zu den detaillierten Regierungszusammensetzungen und zu den Frauenanteilen siehe Tabellen im Anhang.9
[10] Wahlen vom 11.11.01: Presse vom 12.11.01. Stille Wahl:
TG, 15.11.01;
24h, 17.11.01. Wahlkampf:
Lib., 26.4., 18.5., 30.6., 21.8., 23.8., 11.9., 21.9. und 12.10.01;
LT, 8.5. und 30.5.01 (SVP:
LT und
Lib., 12.10.01,
LT, 14.11.01). 10
[11] Wahlkampf:
TG und
LT, 2.7.-11.11.01 (Kunz:
LT und
NZZ, 19.3.01. Bürgerliche Liste:
LT und
TG, 10.10. und 12.10.01; Presse vom 13.10.01. SVP:
TG und
LT, 15.10.01. Linke Liste:
TG,
24h und
LT, 15.10.01). 11
[12] Wahlen vom 11.11.01: Presse vom 12.11.01. Nachanalyse:
TG, 13.11.01 (Affäre Ramseyer:
TG, 8.6. und 18.7.01;
NZZ, 2.7.01;
LT, 19.7.01;
BaZ, 21.7.01). 12
[13] Wahlen vom 8.4.01: Presse vom 9.4.01. Wahlkampf:
LT, 9.1.-26.3.01;
NZZ, 27.1.01. Nachanalyse:
LT, 10.4.01. 13
[14] 1. Wahlgang vom 4.3.01: Presse vom 5.3.01. 2. Wahlgang vom 22.4.01: Presse vom 23.4.01. Wahlkampf:
SZ, 17.10.00-24.2.01 und 10.3.-20.4.01. 14
[15] 1. Wahlgang vom 4.3.01: Presse vom 5.3. und 6.3.01. 2. Wahlgang vom 18.3.01: Presse vom 19.3.01. Wahlkampf:
NF, 20.2.-1.3.01 und 6.3.-15.3.01 (Kandidatur Cretton:
LT, 3.2.01;
LT und
TG, 5.2.01;
NF, 6.2.01). 15
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