Année politique Suisse 2002 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
Der Bundeshausjournalist Christian Weber übernahm das Amt des Pressesprechers von Barbara Perriard, welche nach ihrem Mutterschaftsurlaub 2003 teilzeitlich im FDP-Generalsekretariat arbeiten will [13].
Im September erklärte die Berner Ständerätin Christine Beerli ihren Rücktritt als Fraktionschefin auf Beginn der Wintersession und als eidgenössische Parlamentarierin auf Ende Legislatur. Beerli, die von der Presse als potentielle Nachfolgerin von Bundesrat Kaspar Villiger gehandelt wird, begründete den Zeitpunkt ihrer Amtsaufgabe damit, dass sie der nachfolgenden Person genügend Raum lassen wolle, um die Wahlen 2003 vorzubereiten. Zum Nachfolger bestimmte die Fraktion mit dem Tessiner Nationalrat Fulvio Pelli und bisherigen Fraktions-Vizepräsidenten turnusgemäss einen Vertreter der lateinischen Schweiz. Pelli wurde 1995 in den Nationalrat gewählt und ist Mitglied des Büros sowie Vizepräsident der WAK [14].
Nachdem Gerold Bührer wegen seiner Doppelrolle als Parteipräsident der FDP und als Verwaltungsrat der krisengeschüttelten Rentenanstalt zunehmend unter Druck geraten war, erklärte er im November per sofort seinen Rücktritt vom Parteipräsidium. Um die Vakanz kurz vor den Wahlen möglichst rasch zu besetzen, nominierte die Parteileitung Ständerat Hans-Rudolf Merz (AR), der bereits 2001 für die Nachfolge von Präsident Franz Steinegger im Gespräch war. Da dieses Vorgehen parteiintern auf heftige Kritik stiess, übernahm Vizepräsidentin Christiane Langenberger und nicht wie ursprünglich vorgesehen Hans-Rudolf Merz interimistisch die Parteiführung bis zur Wahl des neuen Präsidiums im Januar 2003. Zudem beschloss die Geschäftsleitung, weitere für das Amt in Frage kommende Kandidaten anzufragen. Ende Dezember hatte neben Vizepräsidentin Christiane Langenberger (VD) einzig die Zürcher Nationalrätin Trix Heberlein ihre Kandidatur angemeldet. Der Favorit Merz war wegen seiner Mandate und seiner Tätigkeit als Unternehmensberater in Südafrika während der Apartheid in den 80er Jahren zunehmend unter Beschuss geraten und hatte seine Kandidatur zurückgezogen, andere von den Medien als aussichtsreich gehandelte FDP-Mitglieder stellten sich nicht zur Verfügung [15].
Anfangs Jahr sprachen sich die Freisinnigen mit lediglich fünf Gegenstimmen für den Beitritt der Schweiz zur UNO aus; 1986 waren sie noch gespalten gewesen, hatten aber für einen UNO-Beitritt optiert. Die Volksinitiative des Gewerkschaftsbundes "für eine kürzere Arbeitszeit", welche die 36-Stunden-Woche einführen wollte, lehnten die Delegierten einstimmig ab [16]. In der Gesundheitspolitik forderte die FDP eine wettbewerbsorientierte Reform des KVG. Mit der Erhöhung der obligatorischen und der selbstwählbaren Franchise sowie des Selbstbehaltes bei Bagatellfällen soll die Selbstverantwortung gestärkt werden [17]. Bis im Herbst soll eine Arbeitsgruppe, die von FDP-Fraktionspräsidentin Christine Beerli geleitet wird und der auch der Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft Walter Grete, Nationalrat Felix Gutzwiller (fdp, ZH), der Unternehmer Otto Ineichen und Robert Leu, Professor für angewandte Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik der Universität Bern, angehören, eine vertiefte und vorurteilslose Überprüfung der ökonomischen Anreize für alle Akteure im Gesundheitswesen vornehmen [18].
In Hergiswil sprachen sich die Delegierten der FDP einstimmig für die Fristenregelung und gegen die Volksinitiative "für Mutter und Kind", welche Abtreibungen generell verbieten will, aus. Ausserdem verabschiedeten sie zwei Positionspapiere: Das Papier zum Service public hatte im Vorfeld der Versammlung für Aufregung gesorgt, enthielt aber lediglich eine Zusammenfassung alter Vorstösse und Stellungnahmen, die in ihrer Radikalität etwas abgeschwächt worden waren. Im Positionspapier zur Gentechnologie im ausserhumanen Bereich wehrten sich die Freisinnigen gegen ein Freisetzungs-Moratorium und drohten, ein allfälliges Referendum gegen das Gentechnikgesetz zu unterstützen, sollte es ein Moratorium beinhalten. Am Rand der Delegiertenversammlung entschied sich die FDP-Fraktion knapp für eine tiefere Schwelle beim Zutritt zu den Pensionskassen [19].
Im Mai präsentierten die Freisinnigen ein Positionspapier zur Migrationspolitik, dessen Inhalt weitgehend der Politik des Bundesrats entspricht. Als erste Bundesratspartei bezog die FDP Stellung zur Stammzellenforschung. Sie verlangte, die Forschung an überzähligen embryonalen Stammzellen im Interesse des medizinischen Fortschrittes zuzulassen. Es sei ethisch fragwürdig, zwar den Import menschlicher Stammzellen zu erlauben, deren Verwendung im eigenen Land jedoch zu verbieten, wie dies in Deutschland der Fall sei. Zudem drohe ohne liberale Regelung eine Abwanderung von Forschenden und Unternehmen [20].
Nach einer engagierten Rede von Bundesrat Kaspar Villiger und fast dreistündiger Diskussion entschieden sich die Freisinnigen mit 128:89 Stimmen bei 5 Enthaltungen, den bundesrätlichen Gegenvorschlag zur SVP-Goldinitiative und damit die Solidaritätsstiftung zu unterstützen; im März hatte sich die Fraktion im Nationalrat gegen die Regierung gestellt. Zur Goldinitiative beschlossen die Delegierten die Nein-Parole; das Elektrizitätsmarktgesetz empfahlen sie zur Annahme [21].
Unter dem Motto "Freiheit und Verantwortung" versammelten sich über 200 Präsidenten von Ortsparteien zum offiziellen Auftakt der Wahlkampagne 2003, in der sich die FDP als liberale, bürgerliche und verantwortungsbewusste Regierungspartei empfahl. Inhaltlich konzentriere sich die in Vorbereitung befindliche Wahlplattform auf die vier Themenbereiche wirtschaftliches Wachstum, gesicherte und bezahlbare Sozialwerke, Ausbau von Bildung und Forschung sowie innere und äussere Sicherheit. Um das Ziel eines Wähleranteils von 25% zu erreichen, sei eine vermehrte Mobilisierung nötig. Dazu beitragen soll ein landesweit möglichst einheitliches Erscheinungsbild, um die FDP als Marke zu präsentieren (die Ortsparteipräsidenten erhielten eine CD-ROM mit dem Parteilogo und Mustervorlagen für Inserate). Allerdings wollte die Partei Rücksicht nehmen auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten in den Sprachregionen, weshalb sie beabsichtigte, in den Inseratekampagnen teilweise verschiedene Themen anzusprechen [22].
An ihrer Delegiertenversammlung beschlossen die Freisinnigen die Ja-Parole zur Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes; bereits am Vortag hatten die FDP-Kantonalpräsidenten die Asylinitiative der SVP zur Ablehnung empfohlen. Anschliessend gaben sich die Delegierten ein neues Wirtschaftsprogramm mit dem Titel "Die Schweiz als Chancengesellschaft: Ein Vertrauenspakt für mehr Wachstum auf dem Fundament der sozialen Marktwirtschaft", das in semantischer Anlehnung an J.J. Rousseaus Gesellschaftsvertrag einen contrat économique zwischen den Wirtschaftsteilnehmenden (Konsumenten, Arbeitnehmerinnen, Unternehmer, Investorinnen) und dem Staat (Bürgerinnen und Bürger, Parlament und Regierung) forderte. Ziel sei es, dass die Schweiz im OECD-Vergleich wieder eine Spitzenstellung erreiche und in den Bereichen Forschung, Bildung und Innovation führend werde [23].
In den kantonalen Parlamentswahlen musste die FDP insgesamt 25 Mandate abgeben, davon zehn allein in der Waadt, wo sie nicht mehr die stärkste Fraktion stellt, sieben in Zug und je zwei im Jura, in Bern, in Ob- und in Nidwalden; dem stehen lediglich zwei Gewinne in Glarus gegenüber. In den Regierungsratswahlen konnten die Freisinnigen in Nidwalden ein Mandat hinzugewinnen, verloren jedoch eines im Jura; dieser Verlust wog allerdings schwerer, da es sich um den einzigen FDP-Regierungssitz in diesem Kanton handelte. In Winterthur musste die FDP das Stadtpräsidium an die SP abtreten.
 
[13] NZZ, 7.6.02.
[14] Presse vom 7.9. und 16.11.02.
[15] Presse vom 6.11.-14.11., 19.11., 26.11., 30.11., 3.12., 17.12. und 20.12.02. Siehe auch SPJ 2001, S. 297.
[16] Presse vom 14.1.02; vgl. SPJ 1986, S. 43.
[17] Presse vom 26.1.02.
[18] NZZ, 20.6.02.
[19] Presse vom 13.4. und 15.4.02. Service public: Presse vom 5.4.02; SPJ 2001, S. 298. Gentechnologie: AZ und NZZ, 9.4.02; WoZ, 11.4.02. BVG: AZ, 8.4.02; BaZ, 15.4.02.
[20] Presse vom 3.5. (Migration) und 13.5.02 (Stammzellenforschung).
[21] Presse vom 6.3. (Fraktion) und 19.8.02.
[22] NZZ, 27.9. und 30.9.02.
[23] Presse vom 21.10.02. Zur vorbereitenden Veranstaltung in Neuenburg siehe NZZ, 22.6.02; Presse vom 24.4.02.