Année politique Suisse 2002 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Anfang September gab der Genfer Nationalrat Jean-Philippe Maître seinen Rücktritt als Fraktionschef auf Ende Herbstsession bekannt. Er hatte die Fraktion vier Jahre lang geleitet. Zu seinem Nachfolger wählten die Christlichdemokraten mit dem Walliser Jean-Michel Cina ihr jüngstes Fraktionsmitglied. Der 39-jährige Cina ist seit 1999 Nationalrat und war 2001 als Kandidat für die Nachfolge des zurücktretenden Parteipräsidenten Adalbert Durrer im Gespräch, verzichtete aber auf eine Kandidatur [24].
An ihrer Delegiertenversammlung vom Januar beschlossen die Christlichdemokraten mit lediglich einer Gegenstimme die Ja-Parole zur UNO-Beitrittsinitiative; die Volksinitiative zur 36-Stunden-Woche hatte der Vorstand zur Ablehnung empfohlen. Nach einer engagierten Diskussion verabschiedeten die Delegierten mit 143:66 Stimmen eine Resolution, welche die Erweiterung des bundesrätlichen Gegenvorschlags zur Avanti-Initiative verlangte. Der Urner Ständerat Hansueli Stalder, der unterstützt von der Jungen CVP den Verzicht auf die zweite Gotthardröhre gefordert hatte, war zuvor knapp unterlegen. Im Anschluss an die ordentliche Delegiertenversammlung führte die CVP mit einer Soirée des Délégués ein Polit-Happening mit kulinarisch-kulturellem Programm nach dem Vorbild der US-amerikanischen Parteitage durch, das gemäss Generalsekretär Reto Nause den inneren Zusammenhalt der Partei unterstreichen soll [25].
Im April beschlossen die CVP-Frauen mit Zweidrittelmehrheit gegen die Empfehlung der Parteileitung und der Fraktion die Ja-Parole zur Fristenregelung und unterstützten damit CVP-Bundesrätin Ruth Metzler [26]. Eine Woche später sagten die Delegierten der CVP hingegen Nein sowohl zur Fristenregelung als auch zur Volksinitiative "für Mutter und Kind". Mit der Absage an die Fristenregelung wollten sie ihrem "Schutzmodell", das ein Beratungsobligatorium vorschreibt, zum Durchbruch verhelfen [27].
Nahezu einstimmig fasste die CVP im Juni die Ja-Parole zum Elektrizitätsmarktgesetz. Als erste Bundesratspartei verabschiedete sie im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2003 ihr neues Leitbild "Gemeinschaft Schweiz" mit den Themenschwerpunkten Familien-, Wirtschafts- und Ausländerpolitik. Nicht rechts, nicht links, sondern "le parti suisse" wolle die CVP sein, da sie im Kleinen abbilde, was die Schweiz im Grossen erfolgreich mache. Laut Generalsekretär Reto Nause strebt die CVP eine Steigerung des Wähleranteils von 15,9 auf 20,3% an. Im Rahmen der Kampagne zur Erreichung dieses hohen Ziels will sie unter anderem insgesamt 140 000 Geschenkartikel im Volk verteilen. Im August führte sie einem Probelauf für den Wahlkampf 2003 unter dem Motto "Aktion Sommerloch 2002" durch und verteilte 15 000 aufblasbare Plastikbälle in den Badeanstalten – in der Hoffnung, die "Marke CVP" national bekannt zu machen. 2003 wollen die Christlichdemokraten mit einem Wahlkampfmobil, das als mobile Bühne an Openair-Volksfesten dient, das Land durchqueren, um mit Strassenwahlkampf vermehrt Jungwählerinnen und -wähler in den Agglomerationen anzusprechen. Nause rechnet mit 1 bis 1,5 Mio Fr. für die Wahlkampagne, welche erstmals zentral vom Generalsekretariat aus geführt wird. So erhielten die Sektionen eine CD-ROM mit dem Parteilogo und Mustervorlagen. Ausserdem führt die CVP neu eine zentrale Mitgliederkartei, welche einen direkten Kontakt von der Parteizentrale zum einzelnen Parteimitglied ermöglicht [28].
Ende Juli präsentierte die CVP ihre Vorstellungen zur langfristigen Finanzierung der Krankenpflege, welche neben dem Wechsel zur monistischen Spitalfinanzierung die Einführung einer obligatorischen Pflegeversicherung von maximal 120 Fr. jährlich für alle über 50-Jährigen beinhalteten. Personen, die ihre Angehörigen zuhause betreuen, sollen steuerlich entlastet werden. Ausserdem soll der Pflegebereich zur ersten Priorität für den Zivildienst werden [29].
An ihrem Parteitag in Herisau beschlossen die Delegierten der CVP die Nein-Parole zur SVP-Goldinitiative und die Ja-Parole zum bundesrätlichen Gegenvorschlag mit der Solidaritätsstiftung. Sie verabschiedeten ein von der Generalsekretärin von Pro Familia, Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, verfasstes Positionspapier "Ihre Familie ist die Zukunft der Schweiz", welches Entlastungen für Familien forderte. Dabei ging die CVP vom Ideal der traditionellen Familie aus, wollte aber ausdrücklich auch Einelternfamilien unterstützen, und erwähnte auch die Grosseltern. Die Junge CVP vermisste Hinweise auf den Ausbau von Kinderkrippenplätzen, den Blockunterricht und Tagesschulen [30].
Mitte September verabschiedete die CVP an ihrem Openair-Parteitag auf der Belalp (VS) ein Massnahmenpaket mit dem Titel "Jeunesse Suisse", das die Einbindung der Jungen in die Politik fördern soll. Das Rahmenprogramm mit Ansprachen der CVP-Spitzen, Grill- und Racletteplausch und Alpensymphonie bescherte ihr jedoch einen wortwörtlich jugendfreien Anlass [31].
Obschon Umfrageergebnisse darauf hindeuteten, dass viele CVP-Wählerinnen und Wähler die Asylinitiative der SVP befürworteten, lehnten die CVP-Delegierten die Vorlage mit bloss einer Gegenstimme ab. Trotz Einwänden des christlich-sozialen Flügels empfahlen sie die Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes zur Annahme. In einem Papier zur Migrationspolitik sprachen sich die Delegierten wie die SVP für Kurzzeitarbeitsbewilligungen auch für wenig qualifizierte Personen aus dem Ausland aus, die in der Landwirtschaft, im Bau- und Gastgewerbe sowie in der Pflege gebraucht würden. Eingewanderte sollten sich mit der Kultur der Schweiz vertraut machen und über ihre Integrationsbemühungen regelmässig Rechenschaft ablegen [32].
Unmittelbar vor dem Wechsel von Bundesrat Joseph Deiss ins Volkswirtschaftsdepartement Ende Dezember präsentierte die CVP ihr Wirtschaftspapier. Darin forderte sie eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik, eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft und eine gezielte Förderung der KMU. Ein KMU-Ombudsmann, der vom Sekretariat KMU-Forum und vom CVP-Generalsekretariat unterstützt wird, soll die Anliegen der kleinen und mittleren Unternehmen aufgreifen [33].
Die CSP Obwalden beschloss den Austritt aus der CVP Schweiz. Sie begründete dies mit dem Zwiespalt, dem sie ausgesetzt sei, wenn sie einerseits als kantonal eigenständige Partei manchmal gegen die CVP Obwalden politisiere, andererseits aber gleichzeitig in die nationale CVP eingebunden sei. Ausserdem hätten die Christlichdemokraten Obwaldner CSP-Kandidaturen ins eidgenössische Parlament kaum unterstützt. In Zukunft wolle sich die CSP Obwalden auf die kantonale Politik konzentrieren und sich während der nächsten zwei Jahre keiner nationalen Partei anschliessen. Allenfalls werde man bei der unabhängigen CSP Schweiz um einen Beobachterstatus nachsuchen [34].
In den kantonalen Parlamentswahlen mussten die Christlichdemokraten 15 Mandate abgeben (je sechs in Ob- und Nidwalden, zwei in Zug und eines in der Waadt). Im Jura hingegen konnten sie einen Sitz zulegen. In den Regierungsratswahlen verlor die CVP je einen Sitz in Nidwalden und im Jura, wo sie auch ihre absolute Mehrheit einbüsste.
 
[24] Presse vom 7.9., 18.9. und 25.9.02; vgl. auch SPJ 2001, S. 299.
[25] SGT, 18.1.02; Presse vom 21.1.02.
[26] Presse vom 22.4.02.
[27] Presse vom 29.4.02.
[28] Presse vom 17.6. und 11.7.02.
[29] Presse vom 31.7.02.
[30] Presse vom 2.9.02.
[31] NZZ, 13.9.02; Presse vom 16.9.02.
[32] Presse vom 28.10.02.
[33] Presse vom 21.12.02.
[34] NLZ, 14.11.02.