Année politique Suisse 2002 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Die Junge SVP wählte den bisherigen Vizepräsidenten Thomas Schmidt zum Präsidenten und Nachfolger von Salvatore Airò, welcher nach internen Querelen zurückgetreten war [35].
An ihrem Parteitag in Landquart (GR) beschlossen die Delegierten der SVP die Nein-Parole zur Volksinitiative "für eine kürzere Arbeitszeit". Parteipräsident Ueli Maurer übte Kritik an der bundesrätlichen Informationspolitik zur UNO-Vorlage, welche die SVP bereits im November 2001 zur Verwerfung empfohlen hatte. Nach kurzer Diskussion – Einwände kamen von den Gesundheitsdirektoren der Kantone Aargau und Thurgau und von Ärzten – beschlossen die SVP-Delegierten einstimmig und ohne Enthaltung, eine Krankenkasseninitiative vorzubereiten. Die geplante Krankenkasse soll analog zur Altersvorsorge auf drei Säulen aufbauen: Die erste Säule mit der obligatorischen Grundversicherung umfasst bei eingeschränkter Arztwahl nur noch existenziell notwendige Leistungen; in der zweiten Säule, welche eine Aufnahmepflicht für die Versicherer vorsieht, können zusätzliche Leistungen bei freier Arztwahl versichert werden; die dritte Säule ist den bisherigen auf dem Privatversicherungsrecht beruhenden Zusatzversicherungen vorbehalten. Mit diesem Modell hofft die SVP, 20% der Prämienkosten einzusparen [36].
Im Nachgang zur UNO-Abstimmung kam es in der SVP-Fraktion zu einer heftigen Aussprache, in der die UNO-Beitrittsgegner die Beitrittsbefürworter (unter anderen Haller, BE und Lisbeth Fehr, ZH) angriffen, weil sie sich aktiv für die Vorlage eingesetzt hatten. Einzelne Exponenten des Zürcher Flügels drohten mit Parteiausschluss und verlangten, dass sich Kandidierende für eidgenössische Wahlen mittels Unterschrift der Parteilinie verpflichteten [37].
An ihrer Delegiertenversammlung in Brig, welche innert Jahresfrist bereits zum zweiten Mal im Wallis stattfand, empfahl die SVP sowohl die Vorlage zur Fristenregelung als auch die Volksinitiative "für Mutter und Kind" zur Ablehnung. Mit ihrem Nein zur Fristenregelung desavouierte sie die SVP-Frauen, deren Vorstand vorgängig die Ja-Parole beschlossen hatte [38].
Ende Mai präsentierte die SVP einen Forderungskatalog zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Die Massnahmen umfassten unter anderem Steuersenkungen, Budgetkürzungen, die Aufgabe des Dosiersystems für Lastwagen am Gotthard sowie Kurzzeitbewilligungen für Ausländer ohne Familiennachzug und ohne automatische Umwandlung zum Daueraufenthalter, d.h. die Rückkehr zum Saisonnierstatut [39].
Um sich eine neue Geldquelle zu erschliessen, forderte die SVP ihre Mitglieder und Sympathisanten auf, mit einer bestimmten Telefongesellschaft zu telefonieren. 10% der Gesprächstaxen sollten in die Parteikasse fliessen und neben den Kantonal-, Bezirks- und Ortsektionen der deutschsprachigen Monatszeitung "SVPja" sowie einer für die welsche Schweiz geplanten SVP-Zeitung zugute kommen. Die SVP rechnete mit Einnahmen von jährlich 10 000 bis 20 000 Fr. Die CVP hatte bereits vor zwei Jahren mit derselben Telefongesellschaft zusammengearbeitet, allerdings mit bis anhin bescheidenem Erfolg [40].
An ihrem Sonderparteitag in Pratteln (BL) eröffnete die SVP den Wahlkampf: Einstimmig beschlossen die Delegierten die Ja-Parole zu ihrer Volksinitiative "gegen Asylrechtsmissbrauch". Nach einer Ansprache von Bundesrat Samuel Schmid zur Verzahnung zwischen innerer und äusserer Sicherheit und anschliessenden Referaten zum Spannungsfeld Migration und Sicherheit verabschiedeten die Delegierten einen Forderungskatalog "Sicherheit Schweiz", der von der Grenzsicherung, dem Misstrauen gegenüber dem Schengen-System der EU, der abschreckenden Behandlung von Asylsuchenden, der Verbrechensbekämpfung in den Städten bis zu Sanktionen gegen Eltern gewalttätiger Schüler reichte [41].
An ihrer Delegiertenversammlung im August beschloss die SVP mit grosser Mehrheit die Ja-Parole zum Elektrizitätsmarktgesetz. Gemäss einer Repräsentativuntersuchung stimmten die SVP-Sympathisanten dann allerdings klar gegen die Elektrizitätsmarktliberalisierung. Im Mittelpunkt der Debatten stand jedoch die geplante Krankenkasseninitiative "für tiefere Prämien". Nachdem der im Januar verabschiedete, auf dem Dreisäulenmodell basierende Entwurf (siehe oben) in der über Internet durchgeführten Vernehmlassung abgelehnt worden war, weil er einer unsozialen Dreiklassenmedizin Vorschub leiste, sah die überarbeitete Version des Begehrens die heutige Zweiteilung der Krankenversicherung in einen obligatorischen und einen fakultativen Teil vor. Die Grundversicherung soll nur die absolut notwendigen Leistungen abdecken; der Rest wird, falls gewünscht, über eine Zusatzversicherung bezahlt. Verlangt wird ausserdem die Aufhebung des Vertragszwangs für Ärzte und die Entflechtung der Spitalfinanzierung. Toni Bortoluzzi räumte ein, dass die Volksinitiative im wesentlichen Reformvorschläge aufnehme, welche sich bereits in der parlamentarischen Beratung befinden; im Berichtsjahr ist das Volksbegehren noch nicht lanciert worden [42].
Nachdem der Parteivorstand die Ja-Parole zur Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes beschlossen hatte, beauftragten die SVP-Delegierten die Parteileitung, für das kommende Jahr ein Grundsatzpapier vorzulegen, das Massnahmen zur Eindämmung der Schuldenwirtschaft des Staates auflistete [43].
Am Parteitag von Lupfig (AG) nominierten die SVP-Delegierten den von der Parteileitung vorgeschlagenen Zürcher Nationalrat Toni Bortoluzzi als Kandidaten für die Nachfolge von Bundesrätin Ruth Dreifuss. An der Bundesratswahl schied Bortoluzzi im vierten Wahlgang aus; nur vereinzelte Parlamentarier hatten neben seinen Fraktionskollegen für ihn gestimmt [44].
Im Nachgang zum Anlass in Lupfig kam es zu einer heftigen Debatte in der Presse, einerseits, weil Exponenten des Zürcher Flügels Bundesrat Samuel Schmid am Parteitag als halben SVP-Bundesrat verunglimpft hatten, nachdem er sich in einem Zeitungsinterview von der Asylinitiative der SVP distanziert hatte, andererseits, weil die Parteispitze dem Unterwalliser SVP-Parteipräsidenten Oskar Freysinger nicht Einhalt geboten hatte, als dieser sexistische und die Regierung diffamierende Verse vorgetragen hatte. Der Berner Altständerat und Rechtsprofessor Ulrich Zimmerli erklärte seinen Austritt aus der Partei, weil er sich für die destruktive Politik der SVP schäme. In der Presse ging das Gerücht um, Bundesrat Schmid erwäge einen Parteiaustritt. Nach einer dreistündigen Aussprache mit der SVP-Fraktion erklärten die Parlamentarier, sie stünden hinter Bundesrat Schmid. Freysinger, der von der nationalen Parteileitung nicht gemassregelt worden war, trat Ende November als Präsident der SVP Unterwallis zurück, nachdem auf sein Haus ein Brandanschlag verübt worden war [45].
In den kantonalen Parlamentswahlen konnte die SVP ihre Vertretung um 33 Sitze ausbauen. Am meisten Gewinne erzielte sie in den Kantonen Zug (+9), Waadt (+8) sowie Ob- und Nidwalden (je +7). In Bern und im Jura konnte sie je einen Sitz gutmachen. In den Exekutivwahlen hingegen blieb ihr der Erfolg weiterhin versagt: In Glarus musste sie dem Sozialdemokraten Fritz Schiesser die Nachfolge von SVP-Regierungsrat Christoph Stüssi überlassen; in Obwalden gelang es dem SVP-Kantonalpräsidenten nicht, einen der fünf Bisherigen zu verdrängen; und in Zug blieb ihr ein zweiter Sitz verwehrt. In den Kantonen mit einer alteingesessenen SVP (Bern, Graubünden und Waadt) hingegen konnten die konsensorientierteren Vertreterinnen und Vertreter ihre Ämter ohne Probleme halten. In der Stadt Winterthur gelang es der SVP nicht, den Sitz des zurücktretenden Leo Iten zu verteidigen, und in der Stadt Zürich ist sie weiterhin nicht mehr in der Regierung vertreten.
 
[35] SoZ, 2.6.02; NLZ, 4.6.02; QJ und TA, 22.6.02; LT und NZZ, 25.6.02; 24h und NZZ, 15.7.02. Vgl. auch SPJ 2001, S. 300.
[36] Presse vom 14.1.02. Zur UNO siehe SPJ 2001, S. 302.
[37] AZ, 12.2.02; BZ, 15.2.02; Presse vom 5.3. und 6.3.02.
[38] BaZ, 6.4.02; Presse vom 8.4.02.
[39] Presse vom 29.5.02.
[40] Presse vom 8.6.02.
[41] Presse vom 8.7.02.
[42] Presse vom 26.8.02. Zum Elektrizitätsmarktgesetz siehe auch oben, Teil I, 6a (Politique énergétique).
[43] NZZ, 19.10.02; Presse vom 21.10.02.
[44] Presse vom 18.11.02. Zur BR-Wahl siehe oben, Teil I, 1c (Regierung).
[45] TA, 18.11.02; Presse vom 19.11.-21.11., 25.11.-27.11. und 30.11.02.