Année politique Suisse 2002 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
Das Parlament führte seine Beratungen über die
Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches zu Ende. In der Differenzbereinigung war noch umstritten, ob bei in Bussen umgewandelten Freiheitsstrafen ein minimaler Tagessatz festgelegt werden soll, wie dies der Ständerat verlangte, oder ob, wie es der Nationalrat wünschte, darauf aus sozialen Gründen (damit der Richter frei ist bei der Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der Verurteilten) verzichtet werden soll. Der Nationalrat hielt ferner an seiner Auffassung fest, dass die Obergrenze für den bedingten Vollzug von Freiheitsstrafen bei 24 und nicht wie vom Ständerat beschlossen bei 36 Monaten liegen soll. Bei der Verwahrung besonders gefährlicher Täter nach dem Verbüssen der Gefängnisstrafe stimmte der Nationalrat der kleinen Kammer zu, dass dies nicht nur für rückfällig gewordene Täter gelten soll. Nachdem der Ständerat die letzten Differenzen im Sinne des Nationalrats bereinigt hatte, wurde die Revision in der Schlussabstimmung mit 136:29 resp. 39:1 Stimmen angenommen. Dagegen gestimmt hatte im Nationalrat eine Mehrheit der SVP-Fraktion
[35]. Obwohl diverse Lockerungsanträge abgelehnt worden waren, gingen diese neuen Bestimmungen den Promotorinnen der
Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter“ noch zu wenig weit. Sie beschlossen, ihr Begehren, für welches eine Verwahrung definitiv ist und auf eine periodische Überprüfung der Gefährlichkeit des Verwahrten verzichtet wird, nicht zurückzuziehen
[36].
Im Rahmen dieser Strafrechtsreform befasste sich der Nationalrat als Zweitrat auch mit den neuen Bestimmungen des
Jugendstrafrechts [37]. Er stimmte der Erhöhung des Strafmündigkeitsalters von sieben auf zehn Jahre und der Einführung eines Mediationsverfahrens zu. Am umstrittensten war die Neuerung, dass für bestimmte schwere Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung etc. über sechzehn Jahre alte Jugendliche auch mit einem Freiheitsentzug von bis zu vier Jahren bestraft werden können (statt wie bisher mit maximal einem Jahr). Diese Abweichung vom Prinzip, dass bei allen Jugendlichen vor allem erzieherische Massnahmen (z.B. Einweisung in Heime) zum Zuge kommen sollen, wurde von der Linken vergeblich bekämpft. Die Differenzbereinigung der beiden Räte konnte im Berichtsjahr noch nicht abgeschlossen werden
[38].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats über die
Überstellung verurteilter Personen für den Strafvollzug. Dieses im Sommer 2001 unterzeichnete Protokoll sieht vor, dass die Strafverbüssung nicht im Tatland, sondern im Herkunftsstaat in bestimmten Fällen auch ohne Einwilligung des Verurteilten möglich sein soll. Konkret soll dies auf Straftäter zutreffen, welche entweder in ihr Herkunftsland geflohen sind (und damit nicht ausgeliefert werden können) oder aber nach Verbüssung der Strafe das Land ohnehin aufgrund fremdenpolizeilicher Bestimmungen oder eines richterlichen Ausweisungsbeschlusses verlassen müssten. Die Schweiz erhofft sich von diesen neuen Bestimmungen eine abschreckende Wirkung auf Personen, welche einzig mit der Absicht, Straftaten zu begehen, in die Schweiz einreisen (so genannte Kriminaltouristen)
[39].
Die im Vorjahr vom Ständerat beschlossene Harmonisierung der neuen
Verjährungsregeln mit den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über Nebenstrafen und Übertretungen wurde auch vom Nationalrat gutgeheissen
[40].
Nachdem der Nationalrat 1997 zwei parlamentarischen Initiativen von Felten (sp, BS) für die Verfolgung von
Vergewaltigung und anderen Gewaltakten in der Ehe oder eheähnlichen Verhältnissen als Offizial- und nicht nur als Antragsdelikt Folge gegeben hatte, legte nun seine Rechtskommission eine entsprechende Gesetzesänderung vor. Da sie der Ansicht war, dass ein von Staates wegen einzuleitendes Verfahren in Einzelfällen nicht dem Willen des Opfers entsprechen könnte, sah sie allerdings vor, dass bei weniger schweren Fällen das Verfahren auf Wunsch des Opfers eingestellt werden kann
[41].
[35]
AB NR, 2002, S. 1178 ff. und 2171;
AB SR, 2002, S. 1060 f. und 1306;
BBl, 2002, S. 8240 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 24.
[36]
TA, 18.9.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 24.
[37] Zur Behandlung im SR siehe
SPJ 2000, S. 28.
[38]
AB NR, 2002, S. 123 ff.;
AB SR, 2002, S. 302 ff. und 315.
[39]
BBl, 2002, S. 4340 ff. Schritte in diese Richtung hatte auch eine vom NR als Postulat überwiesene Motion Brunner (svp, SG) gefordert (
AB NR, 2002, S. 396).
[40]
AB NR, 2002, S. 118 ff. und 473;
AB SR, 2002, S. 266;
BBl, 2002, S. 2673 ff. (Bericht der RK-SR) und 2750 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 24.
[41]
BBl, 2002, S. 1909 ff. und 1937 ff. (positive Stellungnahme des BR). Vgl.
SPJ 1997, S. 33.
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