Année politique Suisse 2002 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
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Abstimmungen und Wahlen
Das Parlament verabschiedete die im Vorjahr vom Bundesrat beantragte Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte. Umstritten waren eigentlich nur zwei Neuerungen: das Projekt E-Voting (d.h. Abstimmen via Internet) und die Kompetenz des Bundesrats, bei den Nationalratswahlen Kampagnen zur Förderung der Stimmbeteiligung und der Erfolgschancen von Frauenkandidaturen durchzuführen (sog. Sensibilisierungskampagnen). Gegen den Widerstand der SVP-Fraktion, welche dem elektronischen Abstimmungsverfahren via Internet aus finanziellen Gründen keine Dringlichkeit zuerkennen wollte, schuf der erstberatende Nationalrat die Rechtsgrundlagen für die Durchführung von Pilotversuchen mit E-Voting in den Kantonen. Am meisten zu reden gaben die Sensibilisierungskampagnen. Die SVP beantragte Streichung, die Linke wollte den Bundesrat dazu nicht nur ermächtigen, sondern verpflichten, und Brunner (svp, SG) und Ursula Wyss (sp, BE) – bis Ende 2001 die beiden jüngsten im Rat – forderten, dass damit nicht nur weibliche, sondern auch junge Kandidaturen gefördert würden. Durchgesetzt hat sich schliesslich die Kommissionsmehrheit (Kann-Formel) ergänzt durch den Antrag Brunner/Wyss. Im Ständerat war es ebenfalls die Ermächtigung des Bundesrates, Sensibilisierungskampagnen durchzuführen, die zu einer Diskussion Anlass gab. Er folgte mit 17:15 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich diese Bestimmung. In der Differenzbereinigung lehnte er zweimal mit knapper Mehrheit (22:20) einen Vermittlungsantrag Spoerry (fdp, ZH) ab, welcher die Kampagnen auf die Förderung der Stimmbeteiligung und der angemessenen Geschlechterverteilung beschränken wollte. Der Nationalrat seinerseits verwies auf den verfassungsmässigen Auftrag zur ausgeglichenen Vertretung der Geschlechter auch in der Politik und hielt zuerst zweimal an den Sensibilisierungskampagnen fest. Er gab erst nach, als die Einigungskonferenz beider Räte einen Verzicht darauf beschlossen hatte [28].
Im Februar legte der Bundesrat einen Bericht über die elektronische Ausübung der politischen Rechte (via Internet) vor. Er stellte darin fest, dass die Einführung dieser neuen Form der Stimmabgabe resp. des Wählens und des Unterzeichnens von Referenden und Initiativen die politische Beteiligung attraktiver machen könnte. Er wies aber auch auf Risiken dieser neuen Technologie hin. Damit meinte er nicht nur Missbräuche durch unberechtigte Manipulationen der Programme, sondern auch Gefahren in Bezug auf eine sorgfältige Meinungsbildung. Es ist nach Ansicht des Bundesrates deshalb falsch, die Einführung der elektronischen Stimmabgabe lediglich als unproblematische technische Erweiterung des bisherigen Systems zu betrachten. Vielmehr bedürfe sie einer Einbettung in ein umfassendes Konzept und sei zudem wegen ihrer Komplexität etappenweise vorzunehmen. Als ersten vorbereitenden Schritt schlug der Bundesrat die Harmonisierung der kommunalen Stimmregister resp. die Schaffung eines nationalen Registers vor. Mit der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte (siehe oben) wurde der Rahmen für die Durchführung kantonaler Pilotversuche bereits geschaffen [29].
Die SPK des Nationalrats tat sich schwer mit der Umsetzung einer parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für die Meldepflicht und Publikation von grossen finanziellen Beiträgen an die Werbekampagnen für Volksabstimmungen. Das Plenum hatte dem Vorstoss im Jahr 2000 Folge gegeben und eine Subkommission der SPK hatte sich daran gemacht, Realisierungsmodelle zu entwickeln. Die nun notwendig gewordene Fristverlängerung für diese Arbeit wurde aber von einer Minderheit der SPK, welche dem Anliegen negativ gegenübersteht, zum Anlass genommen, einen Übungsabbruch zu verlangen und die Initiative abzuschreiben. Mit 101:84 Stimmen beschloss jedoch der Nationalrat, die Fristverlängerung zu gewähren [30].
Der Nationalrat beschäftigte sich mit dem Projekt seiner SPK zur Umsetzung der im Vorjahr gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Stamm (cvp, LU) zur Wahrung der Lauterkeit in der Abstimmungswerbung. Nachdem die Fraktionen der bürgerlichen Parteien die vorgeschlagene Einsetzung einer Anrufungskommission als nicht praktikabel und überflüssig bezeichnet hatten, folgte der Rat mit 86:65 Stimmen dem auch vom Bundesrat unterstützten Nichteintretensantrag der Kommissionsminderheit [31].
 
[28] AB NR, 2002, S. 331 ff., 863 ff., 966, 1069 f. und 1139; AB SR, 2002, S. 333 ff., 439 ff., 486 ff., 548 und 553; BBl, 2002, S. 4383 ff. Vgl. SPJ 2001, S. 35. Siehe auch BBl, 2002, S. 6603 (Voraussetzungen für die Durchführung von Pilotversuchen mit der elektronischen Stimmabgabe). Zu den im Kanton Genf durchgeführten Pilotversuchen siehe BaZ, 29.7.02.
[29] BBl, 2002, S. 645 ff.; NZZ, 10.2.02. Das Parlament nahm den Bericht zur Kenntnis (AB NR, 2002, S. 245 und 342 f.; AB SR, 2002, S. 333 ff.). Die Einführung des Abstimmens via Internet war vom Parlament mit mehreren Vorstössen gefordert worden (SPJ 2000, S. 37). Vgl. auch Wolf Linder in NZZ, 15.5.02.
[30] AB NR, 2002, S. 1121 ff.; Lib., 22.6.02. Vgl. SPJ 2000, S. 43 f. Die Forderung nach einer Offenlegung der Mittel wurde gemäss einer repräsentativen Umfrage (Univox) von einer Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützt (vgl. TA, 12.8.02).
[31] AB NR, 2002, S. 679 ff.; Bund, 5.6.02. Vgl. SPJ 2001, S. 36.