Année politique Suisse 2002 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Wettbewerb
Als Erstrat nahm der Nationalrat in der Herbstsession die Beratungen über die im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagene Teilrevision des Kartellgesetzes auf. In der Eintretensdebatte zog eine aus Vertretern der SVP gebildete Kommissionsminderheit ihren ursprünglichen Nichteintretensantrag zurück und erklärte, dass sie die ihr nicht genehmen Elemente (vor allem das Verbot von vertikalen Kartellen) in der Detailberatung bekämpfen werde.
In dieser Detailberatung setzte sich der Antrag der Kommissionsmehrheit durch, bei patentgeschützten
[16] Gütern (z.B. Medikamente)
Parallelimporte nicht zuzulassen, aber diese Marktsegmente der Beurteilung durch das Wettbewerbsrecht zu unterstellen, um ein Ausnützen der Monopolsituation zu verhindern. Die SVP hatte gegen diese Unterstellung, welche im ursprünglichen Entwurf des Bundesrats noch nicht enthalten war, vergeblich opponiert. Heftig umstritten war im weiteren die Schärfe der Bestimmungen bei der Beurteilung von
vertikalen Absprachen. Bei derartigen Verpflichtungen zwischen Produzent und Händler wird neu automatisch eine unzulässige Wettbewerbsbehinderung vermutet, wenn sie sich auf Preise und Absatzgebiete beziehen
[17]. Eine aus FDP- und SVP-Abgeordneten gebildete knappe Mehrheit konnte verhindern, dass auch Absprachen über exklusive Vertriebssysteme gleich streng beurteilt werden. Weniger erfolgreich war die Linke mit ihrem Versuch, vertikale Absprachen im Büchermarkt (Buchpreisbindung) explizit für zulässig zu erklären, da sie der Erhaltung der kulturellen Vielfalt dienten und damit im öffentlichen Interesse liegen würden
[18]. Da das Echo in der Vernehmlassung vorwiegend negativ ausgefallen war, hatte der Bundesrat auf die ursprüngliche Absicht verzichtet, die
Wettbewerbskommission ausschliesslich aus unabhängigen Experten zusammenzusetzen. Der Nationalrat beschloss immerhin, dass Mitglieder der Weko ihre Interessenbindungen in einem Register publizieren müssen. Ein von der Linken eingebrachter Antrag, dass diese während ihrer Amtsdauer keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben dürfen, welche ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, fand hingegen keine Mehrheit. Bei den
Strafbestimmungen, welche als Neuerung die Verhängung von Strafen ohne vorangehende Verwarnung bringen, lehnte der Rat von der SVP-Fraktion und einer Minderheit der FDP unterstützte Anträge für weniger hohe Bussen und für den Verzicht auf eine Kronzeugen- resp. Bonusregelung (Strafmilderung oder -erlass für Kartellmitglieder, welche an der Aufdeckung mitgewirkt haben) ab. Die Gegner dieser im schweizerischen Recht neuen Kronzeugenregelung hatten gewarnt, dass damit ein Klima der Denunziation geschaffen werde. Aber auch ein Antrag der Linken, dass nicht nur fehlbare Unternehmen, sondern auch die Mitglieder ihrer Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen persönlich bestraft werden, fand keine Mehrheit. In der Gesamtabstimmung
verabschiedete der Nationalrat die Gesetzesrevision mit 104:42 Stimmen; die Gegenstimmen kamen von der geschlossenen SVP-Fraktion, welche das Gesetz als Angriff auf die KMU bezeichnete, und einigen wenigen Abgeordneten der FDP und der LP
[19].
Bei der Auslegung des zur Zeit noch gültigen Kartellgesetzes beschloss die Wettbewerbskommission eine strengere Praxis, welche Elemente der sich in der Beratung befindenden Gesetzesrevision vorausnahm. Sie teilte mit, dass sie in Zukunft
vertikale Abreden (also Absprachen zwischen Produzenten/Lieferanten und Händlern) grundsätzlich als erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs erachten wird, wenn sie sich auf Preise oder auf eine geografische Begrenzung des Verkaufsgebiets beziehen. Erhebliche Wettbewerbsbeschränkungen sind vom Gesetz verboten, wenn sie sich nicht durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen
[20].
Der Ständerat fand wenig Gefallen an den beiden Motionen, welche der Nationalrat im Vorjahr zum Zweck einer effektiveren Umsetzung des
Binnenmarktgesetzes verabschiedet hatte. Er teilte zwar die Kritik am Ungenügen der geltenden Bestimmungen, beurteilte aber in Übereinstimmung mit dem Bundesrat die beiden sich auf Verfahrensregeln beschränkenden Motionen als ungenügend. Diejenige, welche der Wettbewerbskommission ein Beschwerderecht gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide beim Bundesgericht einräumte, überwies er als Postulat; diejenige, welche das Bundesgericht in allen Fällen zur Anhörung der Weko verpflichtet, lehnte er als unzulässige Einmischung in die Arbeitsweise des Gerichts ab
[21].
Die im Vorjahr vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission für ein neues
Lotteriegesetz legte zu Jahresende ihren Vorentwurf vor. Im Zentrum steht darin nicht mehr wie ursprünglich angekündigt die Liberalisierung, sondern ein verbesserter Schutz für spielsüchtige Menschen. Alle Veranstalter sollen zu diesem Zweck 0,5% des Bruttospielertrags in einen Fonds überweisen müssen. Die Reinerträge aus den Spielen sollen weiterhin gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken zukommen, wobei die Kantone über deren Verteilung entscheiden. Als Neuerung sollen einige neue Spielformen, wie etwa die Buchmacherwette auf Sportresultate zugelassen werden
[22].
Die vom Nationalrat 2001 überwiesene Motion Sommaruga (sp, BE) für rechtliche Massnahmen gegen
irreführende oder falsche Gewinnversprechen fand auch im Ständerat Zustimmung
[23].
Mit einer Motion verlangte Nationalrat Grobet (alliance de gauche, GE), dass bei Bekleidungsprodukten einerseits das
Produktionsland deklariert werden muss und andererseits anzugeben ist, ob das Produkt gemäss den Regeln der „
Clean Clothes Campaign“ (eine private Übereinkunft über faire Anstellungsbedingungen, minimale Löhne, Höchstarbeitszeiten etc.) hergestellt worden ist. Der Bundesrat lehnte diese Forderung ab, da sie wegen technischer und handelsrechtlicher Probleme (Produkte, die in mehreren Ländern angefertigt werden, WTO-Regeln über technische Handelshindernisse etc.) nicht umsetzbar sei. Der Nationalrat überwies den Vorstoss in Postulatsform, obwohl sich die Regierung auch gegen diese abgeschwächte Form ausgesprochen hatte
[24]. Ebenfalls gegen den Willen des Bundesrates – er hatte die Umwandlung in ein Postulat vorgeschlagen – überwies der Nationalrat eine auch von Landwirtschaftsvertretern unterstützte Motion der Konsumentenschützerin Sommaruga (sp, BE) für mehr Transparenz über die
Produktionsmethoden bei importierten Nahrungsmitteln. Gemäss Landwirtschaftsgesetz kann der Bundesrat eine Deklaration von Erzeugnissen vorschreiben, die mit in der Schweiz nicht zugelassenen Methoden produziert worden sind. Er hat dies für einige Produkte getan (Fleisch mit Hormonzugaben bei der Fütterung oder Eier von Hühnern in Käfighaltung). Sommaruga hatte einerseits gefordert, dass dieser Hinweis auf die Produktionsmethoden zwingend für alle Agrarprodukte verlangt wird, und dass andererseits auch im Inland hergestellte oder importierte Lebensmittel, welche solche Produkte verarbeiten (z.B. Teigwaren mit Eiern aus Käfighaltung), davon betroffen sein sollen. Der Ständerat wandelte die Motion in ein Postulat um
[25].
Mit einer Motion verlangte Nationalrat Weigelt (fdp, SG) die Ersetzung der im Gesetz über den unlauteren Wettbewerb verankerten Brutto- durch die
Nettopreisanschreibepflicht. Die Vorschrift, dass die Bruttopreise angegeben werden müssen, führe zu einem Wettbewerbsnachteil schweizerischer Anbieter bei Preisvergleichen im Internet sowie zu grossem Aufwand bei Veränderungen der MWST, und sie mache zudem den Konsumenten nicht bewusst, wie gross der Anteil der indirekten Steuern am Preis einer Ware sei. Obwohl Vollmer (sp, BE) darauf hinwies, dass auch in der EU die Bruttopreisanschreibepflicht gilt und deshalb für eine Ablehnung plädierte, überwies die bürgerliche Ratsmehrheit den Vorstoss in Postulatsform
[26].
Mit einer als Postulat überwiesenen Motion Stähelin (cvp, TG) forderte der Nationalrat den Bundesrat auf, in Zukunft Organisationen, welche mit Qualitätslabels und andern Mitteln für die
Lauterkeit von gemeinnützigen Spenden sorgen (z.B. Zewo), im Rahmen des Konsumenteninformationsgesetzes zu unterstützen
[27].
[16] Bei bloss marken- oder urheberrechtlich geschützten Gütern sind in der Schweiz Parallelimporte erlaubt (vgl.
NZZ, 11.2.02;
TA, 6.7.02). In einem Bericht zuhanden der WAK-NR hielt der BR fest, dass er nicht vorhabe, den Parallelimport von patentrechtlich geschützten Gütern zuzulassen (
SGT, 30.11.02). Zu den Beratungen der NR-Kommission siehe auch
TA, 4.9.02.
[17] Die Weko hatte zuvor beschlossen, bereits das geltende Gesetz in diesem Sinn zu interpretieren (vgl. dazu unten).
[18] Das Bundesgericht bestätigte in einem Rekursentscheid die bisherige rechtliche Zulässigkeit der Buchpreisbindung (
NZZ, 1.11.02; siehe auch unten, Teil I, 8b, Kulturpolitik).
[19]
AB NR, 2002, S.1289 ff. und 1428 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 80. In einer Zusatzbotschaft beantragte der BR zudem noch die Aufnahme einiger Änderungen, welche sich aus dem mit der EU im Rahmen der bilateralen Verträge 1999 abgeschlossenen Luftverkehrsabkommen aufdrängen. Sie betreffen vor allem die Modalitäten und Zuständigkeiten bei wettbewerbsrechtlichen Verfahren (
BBl, 2002, S. 5506 ff.).
[20]
BBl, 2002, S. 3895 ff.;
Bund, 11.1.02;
NZZ, 11.1., 20.2. und 7.4.02.
[21]
AB SR, 2002, S. 182 ff. Siehe
SPJ 2001, S. 81 sowie
Lit. Eidg. Parlamentsdienste.
[22]
NZZ und
SGT, 10.12.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 81.
[23]
AB SR, 2002, S. 308. Vgl.
SPJ 2001, S. 81. Vgl. zum Stand der schweizerischen Konsumentenschutzpolitik auch die Interpellation Berberat (sp, NE) in
AB NR, 2002, S. 233 f. und I, Beilagen, S. 357 ff.
[24]
AB NR, 2002, S. 235.
[25]
AB NR, 2002, S. 235 ff.;
AB SR, 2002, S. 279.
[26]
AB NR, 2002, S. 230 ff.
[27]
AB SR, 2002, S. 643 f.
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