Année politique Suisse 2002 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
 
Finanzausgleich
Im Frühling begann eine dreisprachige, mobile Informationsausstellung zum Neuen Finanzausgleich, welche im Verlauf des Jahres in sämtlichen Kantonen zu sehen war. Sie wurde von Bund und Kantonen gemeinsam getragen und durchgeführt  Bund und NZZ, 15.3.02; SZ, 20.6.02; AZ, 20.8.02..
Mit einer Sonderregelung für die Verteilung der Kantonsanteile an der direkten Bundessteuer für 2002/03 federte der Bund die Einbussen ab, welche die finanzschwachen Kantone wegen des Abstiegs des Kantons Bern in diese Gruppe hätten erleiden müssen. Bern steuerte einen wesentlichen Beitrag bei  Presse vom 12.9.02..
Im Herbst befasste sich der Ständerat als Erstrat mit den Vorschlägen des Bundesrats zur "Neuausgestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen" (NFA). Namens der vorberatenden Spezialkommission hielten Inderkum (cvp, UR) und Cornu (fdp, FR) fest, dass als Alternative für das zur Debatte stehende Projekt aus finanzieller Sicht nur eine materielle Steuerharmonisierung, aus föderalistischer Sicht nur eine Neuaufteilung der Schweiz von den Kantonen in neue Regionen in Frage käme. In der Eintretensdebatte wurde die generelle Stossrichtung der NFA allgemein begrüsst. Einzig Gentil (sp, JU) kritisierte, dass die NFA zuviel Gewicht auf die positiven Effekte des Wettbewerbs zwischen den Kantonen lege und zuwenig auf die Festlegung von national gültigen Mindeststandards für staatliche Leistungen (z.B. im Sozialbereich).
In der Detailberatung fasste der Ständerat auf Antrag seiner vorberatenden Kommission die Bedingungen enger, unter welchen der Bund vorschreiben kann, dass Kantonsaufgaben zwingend in Zusammenarbeit und mit Lastenausgleich erfüllt werden müssen: Er beschloss erstens, die für solche allgemeinverbindliche Abkommen in Frage kommenden neun Aufgabenbereiche Straf- und Massnahmenvollzug, kantonale Universitäten, Fachhochschulen, Kultureinrichtungen von überregionaler Bedeutung, Abfallbewirtschaftung, Abwasserreinigung, öffentlicher Agglomerationsverkehr, Spitzenmedizin und Spezialkliniken sowie Institutionen zur Eingliederung und Betreuung von Invaliden. abschliessend in der Verfassung (und nicht auf Gesetzesstufe) aufzulisten; und zweitens siedelte er die Kompetenz, diese Abkommen allgemeinverbindlich zu erklären (also renitente Kantone zum Beitritt zu verpflichten) bei der Bundesversammlung und nicht beim Bundesrat an. Mit Hinweis auf die Verpflichtung zur interkantonalen Zusammenarbeit verwarf der Rat einen Antrag Büttiker (fdp, SO), der den Befürchtungen von Behindertenorganisationen, bei alleiniger Zuständigkeit der Kantone käme es zu einem Leistungsabbau, Rechnung tragen wollte und deshalb verlangte, dass der Bund bei Kantonen in Notlagen Leistungen zugunsten der Eingliederung Invalider übernehmen sollte. Zum Schutz der ressourcenstarken Kantone vor überbordenden Wünschen der vom Finanzausgleich Profitierenden führte der Rat eine relative Begrenzung des Ressourcenausgleichs ein: Die Leistungen der finanzkräftigen Kantone sollten höchstens drei Viertel der Aufwendungen des Bundes betragen (der Bundesrat hatte diese Limite bei 100% angesetzt); ausserdem wurde die Rücksicht auf die internationale steuerliche Konkurrenzfähigkeit in der Verfassung verankert. Mit 22:16 Stimmen lehnte der Ständerat auf Antrag von Schmid (cvp, AI) die vom Bundesrat vorgesehene beschränkte Verfassungsgerichtsbarkeit ab (Beurteilung wegen Verletzung verfassungsmässiger Kompetenzen der Kantone durch ein Bundesgesetz), kam den Ständen aber insofern entgegen, als er die Zahl der Kantone für das Kantonsreferendum von acht auf fünf reduzierte. In der Gesamtabstimmung hiess die kleine Kammer die Verfassungsbestimmungen zur NFA ohne Gegenstimme gut.
Die kleine Kammer stimmte auch dem zugehörigen Finanzausgleichsgesetz zu. Dabei beschloss sie, dass der mit 430 Mio Fr. dotierte Härteausgleich für Kantone, welche mit der neuen Regelung schlechter fahren, nach vier Jahren automatisch (um jährlich 5%) abgebaut werden soll und somit nach spätestens 24 Jahren ausläuft; Maissen (cvp, GR) hatte eine jährliche Abnahme von 10% gefordert, während der Bundesrat dem Parlament beim Abbau hatte freie Hand lassen wollen. In der Gesamtabstimmung gab es zwar keine Gegenstimmen, aber einige Enthaltungen. Diese wurden zum Teil damit begründet, dass der Rat einen Antrag Spoerry (fdp, ZH) abgelehnt hatte, welcher verlangte, dass der neue Finanzausgleich erst in Kraft tritt, wenn auch der neue Lastenausgleich (welcher die Sonderbelastungen der städtischen Agglomerationen ebenfalls berücksichtigt) eingeführt ist. Enthaltungen gab es zudem wegen der zeitlichen Begrenzung des Fonds für den Härteausgleich  AB SR, 2002, S. 829 ff., 857 ff. und 890 ff.; NZZ, 14.8.02; Presse vom 7.9. (Kommission) und 2.10.-3.10.02 (Parlament). Vgl. auch SPJ 2001, S. 109 f. Zu den Implikationen der NFA auf den bundesstaatlichen Aufbau vgl. auch die Antwort des BR auf die Frage von Nationalrat Favre (fdp, VD) (AB NR, 2002, III, Beilagen, S. 448). Zur Allgemeinverbindlicherklärung von kantonalen Zusammenarbeitsverträgen siehe auch René Rhinow und Rainer Schweizer in NZZ, 7.5. resp. 25.6.02. Zur Haltung Zürichs siehe TA, 5.2., 6.2., 20.3. und 18.4.02; NZZ, 11.2. und 24.4.02. Vgl. auch SPJ 2001, S. 109..