Année politique Suisse 2002 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Frauen
Der Bundesrat verabschiedete Mitte November einen Bericht des EDI zur Umsetzung des an der UNO-Weltfrauenkonferenz von 1995 verabschiedeten Aktionsplans „Gleichstellung von Frau und Mann“. Dieser stellte fest, dass von den 287 aufgelisteten Massnahmen die meisten realisiert worden sind. Am besten sei dies in den Bereichen Bildung und Wirtschaft gelungen. Weitere positiv zu erwähnende Bereiche seien Anreizprogramme zur Förderung von Frauen in der Berufswelt und die Einrichtung von Krippen zur Kinderbetreuung. Auch seien Fachstellen für „Gender Health“ und gegen Gewalt geschaffen worden; auf internationaler Ebene habe sich die Schweiz verstärkt gegen den Frauenhandel engagiert. Schwierigkeiten bei der Umsetzung auf Bundesebene sind gemäss Bericht auf mangelnde Ressourcen der Behörden zurückzuführen. Mehrere Massnahmen seien zudem nicht realisiert worden, weil sie als nicht prioritär eingestuft wurden [31].
Mit einer Motion wollte Nationalrätin Teuscher (gp, BE) den Bundesrat beauftragen, Vorbereitungen zu treffen, damit die Schweiz unverzüglich das Protokoll Nr. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Verhinderung von Diskriminierungen unterzeichnen kann. Der Bundesrat anerkannte, dass er in seinem Jahresbericht 2000 über die Tätigkeit der Schweiz im Europarat die Bedeutung dieses Zusatzprotokolls für die Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann unterstrichen habe; im jetzigen Moment seien aber die Tragweite des Protokolls und die Folgen seiner Umsetzung für die schweizerische Rechtsordnung noch schwer abzuschätzen. Aus diesem Grund beantragte er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat. Nichts wissen wollte der Nationalrat hingegen von einer parlamentarischen Initiative Teuscher, die ein Gesetz verlangte, mit dem Gender-Mainstreaming auf Bundesebene zum verbindlichen Leitprinzip werden sollte. Die Initiantin wollte damit sicherstellen, dass der Aspekt der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern bei jedem politischen Handeln berücksichtigt wird. Auf Antrag der Kommission wurde die Initiative mit 118 zu 51 Stimmen abgelehnt [32].
Obgleich heute in der Schweiz rund 80% der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren einer Erwerbsarbeit nachgehen, ist Hausarbeit primär weiblich geblieben. Dies zeigte eine vom Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) in Auftrag gegebene Studie über die Verteilung der Haus- und Erwerbsarbeit von Frauen und Männern. Ausgehend von den Zahlen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) 2000 zeigte die Untersuchung, dass Frauen durchschnittlich 34 Stunden pro Woche Hausarbeit erledigen, Männer dagegen bloss 18 Stunden. Markante Unterschiede bestehen je nach Haushaltstyp. Am wenigsten ungleich verteilt ist die Hausarbeit unverheirateter Paare ohne Kinder. Am meisten Haus- und Familienarbeit übernehmen dagegen verheirate Frauen mit zwei oder mehr Kindern. Die Männer begnügen sich in diesen Partnerschaften damit, zwei Fünftel der Arbeit zu leisten, welche die Frauen erbringen. Etwas weniger ungleich wird der Zeitaufwand für die Betreuung der Kinder aufgeteilt, wo die Männer zwei Drittel der von den Frauen geleisteten Arbeit übernehmen; die Tendenz ist mit zunehmender Kinderzahl allerdings sinkend. Deutlich am stärksten engagieren sich hier die Väter in unverheirateten Partnerschaften. Da das konservative Rollenverständnis die Chancengleichheit der Geschlechter im Erwerbsleben behindert, rief das EBG in einer Sensibilisierungskampagne, die sich vor allem an jüngere Paare richtete, zu „Fairplay at home“ auf. Für das EBG war allerdings auch klar, dass neben der partnerschaftlichen Aufgabenverteilung zu Hause weitere flankierende Massnahmen nötig sind, um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, so die Mutterschaftsversicherung, die Lohngleichheit von Männern und Frauen, ein besseres Angebot an Krippenplätzen sowie die Bereitschaft der Arbeitgeber, geeignete Arbeitszeitmodelle anzubieten [33].
Das EBG möchte, dass in den Texten der Bundesverwaltung der französische Begriff „droits de l’homme“ für Menschenrechte konsequent durch „droits de la personne“ ersetzt wird, da die sprachliche Nichtberücksichtigung der Frauen sehr oft auf einen Ausschluss auch aus den Vorstellungen und der Realität hindeute. Bisher widersetzte sich der Bundesrat diesem Ansinnen, obgleich der von der Bundeskanzlei herausgegebene „Guide de formulation non sexiste des textes administratifs et législatifs“ empfiehlt, dort wo es möglich ist, den Begriff „droits de la personne humaine“ zu verwenden. Auf Druck mehrerer privater Organisationen sah sich der Bundesrat allerdings gezwungen, eine für November angesetzte Tagung über die schweizerische Politik der „droits de l’homme“ in „Conférence sur la politique suisse des droits humains“ umzubenennen. Bei seinem Besuch in der Schweiz erklärte der neue UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Sergio Vieira de Mello, dass er sich ebenfalls für die Formulierung „droits humains“ einsetzen werde [34].
Dass in der Schweiz nur Männer Wehrpflichtersatz zahlen müssen, wenn sie weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, verstösst laut einem neuen Urteil des Bundesgerichts nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter, wie er in der Bundesverfassung und in verschiedenen internationalen Vereinbarungen verankert ist. Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit der ein dienstuntauglicher Mann den ihm in Rechnung gestellten Wehrpflichtersatz anfocht, wurde in Lausanne als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Schon bei der Auslegung der alten Bundesverfassung, die in diesem Zusammenhang einfach von „Schweizern“ sprach, wurde die Militärdienstpflicht auf Männer beschränkt. Auch als 1981 der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter in die Bundesverfassung aufgenommen wurde, lehnte es das Bundesgericht ab, die Wehrpflicht auf Frauen auszudehnen. Heute ergibt sich klar aus dem Wortlaut von Art. 59 BV, dass nur Männer dienstpflichtig sind und eine Ersatzabgabe zahlen müssen, wenn sie keinen Dienst leisten. Auch ein Verstoss gegen die UNO-Menschenrechtspakte oder die Europäische Menschenrechtskonvention wurde vom Bundesgericht einstimmig verneint [35].
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Politische Vertretung
Eine Gruppe von Parlamentarierinnen, denen neben Nationalratspräsidentin Maury Pasquier (sp, GE) die Nationalrätinnen Gadient (svp, GR), Nabholz (fdp, ZH) und Zapfl (cvp, ZH) angehörten, traf sich im März in Bamako (Mali) mit Parlamentarierinnen aus Westafrika. Ziel des Erfahrungsaustauschs, der auf dem Hintergrund anstehender Wahlen in Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Benin stattfand, war, den kandidierenden Frauen Rückendeckung zu geben und die Frauen generell zu einer stärkeren Beteiligung am politischen Leben zu ermuntern. Alt Nationalrätin Leni Robert (gp, BE), die das Treffen in Afrika koordinierte, bezeichnete das neu geschaffene Netzwerk zwischen Parlamentarierinnen aus verschiedenen Ländern als einzigartig; wohl gebe es internationale Parlamentarier-Organisationen, doch für die spezifische Unterstützung von Frauen für Frauen in Parlamenten stehe keine Plattform zur Verfügung. In einer zweiten Etappe will die Parlamentarierinnengruppe einen Austausch mit Kolleginnen in den jungen Demokratien Osteuropas und den zentralasiatischen Staaten aufbauen, die wie die fünf Länder Westafrikas zu den Schwerpunktländern der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gehören [36].
Der Frauenstreik 1991 war Ausgangspunkt für die Bildung reiner Frauenparteien gewesen (FraP! in Zürich, FraB in Basel). Diese waren mit dem Ziel angetreten, Frauen und neue politische Inhalte in die Parlamente zu bringen. Christine Goll (ZH) wurde als Einzige aus diesem Kreis in den Nationalrat gewählt, trat aber 1997 der SP und deren Fraktion im Bundeshaus bei, weil sie der Auffassung war, es sei nicht möglich, mit so wenig infrastruktureller Unterstützung die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Im Berichtsjahr lösten sich Frap! und FraB mangels Nachwuchs auf [37].
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Arbeitswelt
Gemäss Bundesgericht verbietet das Lohngleichheitsgebot keineswegs, dass ein typischer Frauenberuf im Verhältnis zu einem vergleichbaren geschlechtsneutralen Beruf besoldungsmässig tiefer eingestuft wird, wenn auch die Arbeitszeiten kürzer sind. Ganz im Gegenteil verlange das Gebot der Rechtsgleichheit, Lohnvergleiche auf der Basis eines gleichen Arbeitspensums vorzunehmen und allfälligen Unterschieden in der quantitativen Belastung bei der Festlegung der Besoldung Rechnung zu tragen. Konkret zu beurteilen war die Situation der Kindergärtnerinnen im Kanton Freiburg, die sich über eine geschlechterspezifische Lohndiskriminierung beklagten, weil sie gut 20% weniger Gehalt bekommen als die Primarlehrer. Diese Lohndifferenz ist laut einstimmigem Urteil des Bundesgerichtes gerechtfertigt, weil die Freiburger Kindergärtnerinnen auch ein im Vergleich mit den Lehrern um 25% geringeres zeitliches Arbeitspensum zu bewältigen haben [38].
Erstmals war eine Lohngleichheitsklage in der Privatwirtschaft erfolgreich. Das von einer Arbeiterin wegen Diskriminierung eingeklagte Unternehmen verzichtete auf einen Rekurs gegen ein Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts ans Bundesgericht, wodurch dieses rechtskräftig wurde. Das Kantonsgericht hatte insbesondere festgehalten, dass ein Lohnunterschied sexistischer Natur besteht, wenn Angestellte beiden Geschlechts eine ähnliche Position im Unternehmen und ein vergleichbares Pflichtenheft haben, dafür aber nicht den gleichen Lohn beziehen. Im Urteil war insbesondere der Grundsatz der Beweislastumkehr konkretisiert worden, der nach Ansicht von Experten bei den Gerichten bisher zu wenig bekannt war [39].
Das Institut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen präsentierte eine Studie, die anhand der Lohnstrukturerhebung des Jahres 1998 einmal mehr geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Entlöhnung von Frauen und Männern nachwies. Gemäss der Untersuchung verdienen Frauen in den Branchen Gesundheitswesen, Gastgewerbe, Banken und Versicherungen für vergleichbare Arbeit rund 20% weniger als gleich qualifizierte Männer. Festgestellt wurde auch, dass bei höherer Qualifikation und in anspruchsvollen Positionen die Lohnungleichheiten zunehmen [40].
 
[31] NZZ, 14.11.02. Siehe SPJ 1999, S. 300. Das EDI schuf eine Fachstelle für Gewalt gegen Frauen (TA, 2.10.02; WoZ, 21.11.02). Siehe auch oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[32] AB NR, 2002, S. 265 f. Zu ähnlichen Vorstössen siehe SPJ 2000, S. 249 und 2001, S. 208.
[33] Presse vom 15.1.02; TA, 4.4.02. Siehe auch Lit. Levy. Eine als Postulat überwiesene Motion Goll (sp, ZH) forderte den BR auf, eine fundierte Zeitbudgetstudie erstellen zu lassen, um den Umfang der Arbeit ausserhalb der Erwerbstätigkeit besser bestimmen zu können (AB NR, 2002, S. 2157). Mit einer Motion wollte NR Bortoluzzi (svp, ZH) die Abschaffung des EBG erreichen, scheiterte mit 107:47 Stimmen aber deutlich (a.a.O., S. 1497 f.).
[34] Lib., 2.10.02.
[35] NZZ, 11.6.02.
[36] AZ, 19.3.02.
[37] TA, 31.10. und 30.12.02; WoZ, 7.11.02. Zum Erfolg von traditionelle Parteien mit Frauenlisten siehe BZ, 27.6.02. Zum Abschneiden der Frauen bei den NR-Wahlen 1999 vgl. Bund, 4.1.02. Zu den vom Parlament abgelehnten „Sensibilisierungskampagnen“ zur Verbesserung der Wahlchancen von Frauen siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte).
[38] NZZ, 9.11.02.
[39] WoZ, 24.1.02; TA, 29.1.02; Presse vom 4.2.02. Der NR überwies eine Motion Hubmann (sp, ZH) zur Verstärkung des Kündigungsschutzes bei Lohngleichheitsklagen auf Antrag des BR nur als Postulat (AB NR, 2002, S. 1124).
[40] SGT, 18.2.02. Obgleich die Ziele nur sehr beschränkt erreicht wurden, löste sich das Netzwerk „Taten statt Worte“, das Frauen auf allen beruflichen Ebenen fördern wollte, nach 16 Jahren auf (TA, 11.5.02).