Année politique Suisse 2002 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Grundschulen
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Schulreformen und -modelle
Im Kanton Zürich wollte der abtretende Bildungsdirektor Buschor (cvp) die Volksschule einer grundlegenden Reform unterziehen. Die Schulpflicht sollte zwecks Schaffung einer Basisstufe (Zusammenfassung von zweijährigem Kindergarten sowie 1. und 2. Klasse) um ein Jahr auf zehn Jahre verlängert, das Pilotprojekt mit Englisch- und Computerunterricht ab der 3. Primarklasse auf den ganzen Kanton ausgedehnt und für den vormittäglichen Unterricht verbindliche Blockzeiten eingeführt werden. Vorgeschlagen war auch eine grössere Autonomie der einzelnen Schulen, die Abschaffung der Bezirksschulpflege und ihre Ersetzung durch eine Fachstelle, ein Mitwirkungsrecht der Eltern (verbunden mit Elternpflichten), die spezielle Förderung multikultureller Schulen, ein verstärkter Einbezug sonderpädagogischer Angebote in den normalen Schulbetrieb sowie die Neuregelung der Schulversuche. Obgleich im Kantonsrat mit Ausnahme der SVP und der EVP alle die Vorlage unterstützt hatten, bildete sich quer durch die Parteien ein sehr aktives Nein-Komitee, das im Wesentlichen gegen die Einführung der Basisstufe und die Abschaffung der Bezirksschulpflege kämpfte. Die linken Gegner kritisierten zudem, das neue Gesetz richte sich einseitig nach den Forderungen der Wirtschaft. Die Argumente des Nein-Komitees schienen vor allem in den ländlichen Gebieten auf fruchtbaren Boden zu fallen. Während die Stadt Zürich das neue Volksschulgesetz mit 58,6% Ja-Stimmen annahm, wurde es vom Kanton mit 52,2% Nein-Stimmen verworfen. Die Abschaffung der Bezirksschulpflege, die eine Verfassungsänderung nötig machte, weshalb sie dem Volk in einer separaten Vorlage unterbreitet wurde, erhielt hingegen Zustimmung (52,6% Ja), gleich wie die ebenfalls gesondert vorgelegte Neuregelung der Schulversuche (58,7%). Wenige Tage nach der Abstimmung reichten Vertreterinnen und Vertreter der FDP, SP, CVP und der Grünen eine parlamentarische Initiative mit den unbestrittenen Elementen des Volksschulgesetzes ein (Teilautonomie der Schulen, professionelle Schulaufsicht). Da in erster Linie die Basisstufe zur Niederlage in der Abstimmung geführt hatte, verlangt die Initiative einen kantonsweit einheitlich geregelten Kindergarten, wobei der Besuch eines der beiden Jahre obligatorisch sein soll [6].
Neun Kantone vornehmlich aus der Ostschweiz (AG, AI, AR, GL, GR, SG, SH, TG, ZH) sowie Liechtenstein beteiligen sich ab dem Schuljahr 2002/03 an den Schulversuchen zur Grund- und Basisstufe. Die Grundstufe umfasst zwei Kindergartenjahre und das erste Primarschuljahr, die Basisstufe zwei Kindergartenjahre und die ersten zwei Primarschuljahre. Die Grundstufe kann in minimal zwei und maximal vier Jahren durchlaufen werden, die Basisstufe in minimal drei und maximal fünf Jahren – in beiden Stufen je nach Entwicklungsstand des Kindes [7].
Seit Beginn des Schuljahres 2002/03 können im Kanton Bern renitente Schülerinnen und Schüler während maximal zwölf Wochen vom Unterricht ausgeschlossen werden, wobei allein die Eltern verpflichtet sind, während dieser Zeit für eine angemessene Beschäftigung ihrer Kinder zu sorgen. 18 Mütter und Väter reichten gegen den neuen Artikel des Volksschulgesetzes beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie machten geltend, ein derart langer Ausschluss ohne begleitende Massnahmen der Behörden verstosse gegen den grundrechtlichen Anspruch auf Schulunterricht und erschwere die Reintegration in die Regelklasse. Das Bundesgericht verneinte zwar eine Grundrechtsverletzung, weil die teilweise Einschränkung des Leistungsanspruchs durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt erscheinen könne, weshalb es die Beschwerde abwies. Allerdings stimmte es mit den Beschwerdeführern überein, dass ein Schulausschluss aus pädagogischer und jugendpsychologischer Sicht in Fachkreisen umstritten sei und sich die Dauer von zwölf Wochen „im oberen Teil des Vertretbaren“ bewege. Zudem befanden die Richter, bei einem derart langen Ausschluss dürfe auf eine fachliche Begleitung nicht verzichtet werden [8].
In Basel wird ab dem Schuljahr 2003/2004 in allen Volksschulen bis zum 7. Schuljahr in Blockzeiten unterrichtet. Damit wird Basel-Stadt der erste Deutschschweizer Kanton mit einer derart umfassenden Blockzeitenregelung [9]. Im Kanton Basel-Land fand das Prinzip der Blockzeiten ebenfalls Eingang ins neue Bildungsgesetz, doch kann den Gemeinden erlaubt werden, davon Ausnahmen zu machen [10].
Die Kantone Uri, Ob- und Nidwalden sowie Schwyz entschieden, vom Schuljahr 2005/06 an ab der 3. Klasse Englisch als erste Fremdsprache unterrichten zu lassen [11]. An den Tessiner Schulen wird Englisch künftig obligatorisch; Priorität im Fremdsprachenunterricht behalten aber Französisch und Deutsch [12]. Die Ostschweizer Kantone beschlossen, Frühenglisch koordiniert einzuführen, liessen den Zeitpunkt aber noch offen; die Nordwestschweizer Kantone bleiben bei Französisch als erster Fremdsprache, wollen den Beginn des Fremdsprachenunterrichts aber ebenfalls vorziehen. Übereinstimmend betonten die regionalen Erziehungsdirektorenkonferenzen der Deutschschweiz, es sei dringender, die Konsequenzen aus der PISA-Studie im Bereich der Muttersprache zu ziehen als Ressourcen in den frühen Fremdsprachenunterricht zu investieren [13].
 
[6] NZZ und TA, 19.1., 27.3., 29.5., 21.6., 7.9., 25.11., 26.11. und 3.12.02. Eine Nachbefragung der Stimmenden zeigte, dass das Volksschulgesetz vor allem daran gescheitert ist, dass es gleichentags mit der Asylinitiative der SVP zur Abstimmung gelangte. Diese mobilisierte besonders konservative und ältere Stimmberechtigte (TA, 19.12.02). Eine Motion Gutzwiller (fdp, ZH) für eine generelle Einschulung im 6. Altersjahr wurde in der Postulatsform verabschiedet (AB NR, 2002, S. 301 ff.).
[7] AZ, 5.3.02; NZZ, 8.6.02.
[8] Bund, 22.1.,13.11. und 21.12.02. Andere Kantone prüfen ebenfalls einen Schulausschluss auf Zeit, allerdings in weit geringerem Umfang oder mit begleitenden Massnahmen. AG: AZ, 16.12. und 17.12.02; BS: BaZ, 14.2. und 4.12.02; TI: CdT, 9.1. und 26.11.02. Im Kanton Zürich sah das abgelehnte Volksschulgesetz einen Ausschluss von maximal vier Wochen vor. Zu ersten Erfahrungen des Kantons St. Gallen mit seinen „Besonderen Unterrichts- und Betreuungsstätten“ siehe SGT, 13.12.02. Vgl. SPJ 2001, S. 218 f.
[9] Presse vom 4.12.02.
[10] BaZ, 19.4., 7.9., 23.9. und 30.11.02.
[11] NLZ, 14.2., 24.5. und 29.9.02; Bund, 26.9.02.
[12] CdT, 23.4., 29.5., 29.8. und 17.10.02.
[13] Bund und TA, 30.10.02; LT, 1.11.02. Die Erziehungsdirektorenkonferenz der Romandie und des Tessins verlangten in der Vernehmlassung zum neuen Sprachengesetz, dass dieses eine Landessprache als erste Fremdsprache vorschreiben soll (siehe unten, Teil I, 8b,Sprachenpolitik).