Année politique Suisse 2002 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Grundschulen
Erstmals in der Schweiz wurde im Kanton Basel-Stadt eine umfassende
Analyse der Arbeitsbedingungen, Belastungen und Befindlichkeiten der
Lehrerschaft durchgeführt. Erfasst wurden alle Lehrpersonen von den Kindergärten bis zu den Gymnasien sowie KV und Berufsschulen. Positiv fiel auf, dass der Beruf an sich vor allem hinsichtlich Verantwortung, Anforderungsvielfalt und Tätigkeitsspielraum durchaus geschätzt wird. Als Defizite im Berufsalltag wurden die fehlende Kultur der Offenheit und Toleranz, geringe Mitsprachemöglichkeiten und das eher niedrige Niveau der Löhne genannt. Zu schaffen machte der Lehrerschaft aber vor allem die zunehmende
Belastung. 71% der Lehrkräfte erachteten das Verhalten schwieriger Schülerinnen und Schüler als stark bis sehr stark belastend. Es folgten die Heterogenität der Klasse (55%), Verpflichtungen ausserhalb des Unterrichts (54%) und administrative Pflichten (53%). Auf die zunehmende Belastung zurückgeführt wurde, dass sich bei fast einem Drittel der Lehrkräfte Merkmale des
Burnout-Syndroms – emotionale Erschöpfung (29,6%), reaktives Abschirmen (27,4%) und verminderte Zuwendungsbereitschaft gegenüber Schülern (21,6%) zeigten. Als Verbesserungen wünschten sich die befragten Lehrpersonen eine zeitliche Entlastung für Aufgaben ausserhalb des Unterrichts (85%), mehr Geld für die Schule (81%), eine Reduktion der Pflichtstundenzahl und vermehrte Unterstützung (je 76%), ein besseres Image der Schule (68%) und eine Verkleinerung der Klassengrössen (62%)
[14].
Eine vom Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) in Auftrag gegebene Studie über die Zufriedenheit von Deutschschweizer Lehrpersonen kam zu einem ähnlichen Befund. Wichtigstes Resultat war, dass die
Attraktivität des Pädagogenberufs weiter abnimmt. Nur noch etwa zwei Drittel aller Lehrer (71%) würden sich noch einmal für diesen Beruf entscheiden. Das sind 4% weniger als bei einer 1990 durchgeführten Umfrage. Besonders ausgeprägt ist der Schulfrust bei Lehrkräften mit Vollpensum, bei männlichen Pädagogen und bei Lehrern an der Oberstufe (7. bis 9. Schuljahr). Wie die Studie zeigte, macht den Lehrern vor allem das veränderte soziale Umfeld zu schaffen. Die Zunahme von erzieherischen Aufgaben erschwert den Unterricht und schafft Stress. Der wachsende Reformdruck bringt zusätzliche Unruhe in die Klassen und absorbiert Energien, die beim eigentlichen Kerngeschäft fehlen. Auf die Motivation drücken zudem das schlechte Image des Lehrerberufs, fehlende Aufstiegschancen und stagnierende Löhne
[15].
Die von der EDK im Vorjahr eingesetzte „Task Force Lehrerberufsstand“, die Masnahmen zur
Attraktivitätssteigerung des Lehrerberufs erarbeiten sollte, stellte im Sommer ihre Vorschläge in Form von neun Thesen vor. Viele Betroffene meinten allerdings, die Thesen seien ein ziemlich nebulöses Konstrukt mit vielen geschwollenen Begriffen („Gesellschaftsarbeiterin“, „Menschenbildnerin“, „Agentin der sozialen Integration“, „Kulturwirt“). Nur eine einzige These des Papiers war der eigentlichen Kernkompetenz des Lernens und Lehrens gewidmet. Sie enthielt zumindest eine klare Forderung: Der Allrounder, der von allem ein bisschen kann, gehört der Vergangenheit an. Lehrer sollen künftig Fachleute mit individuellem Profil sein. Das sei die beste Garantie, dass der Pädagogenberuf nicht mehr in eine Sackgasse führe und ausgebrannte Lehrer noch umsteigen könnten
[16].
Einstimmig überwies der Ständerat eine Empfehlung seiner WBK, die den Bundesrat ersucht, das
Schweizerische Institut für Berufspädagogik in das System der schweizerischen Hochschulen zu integrieren
[17].
[16]
TA, 30.8.02. Siehe
SPJ 2001, S. 219 f.
[17]
AB SR, 2002, S. 529 f.
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