Année politique Suisse 2002 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Berufsbildung
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Berufsordnungen
Wer in einem Kanton eine Berufslizenz hat, darf seinen Beruf grundsätzlich in der ganzen Schweiz ausüben. Mit einem Gutachten zu einem konkreten Fall (Bündner Psychotherapeutin vs. Kanton St. Gallen) verlieh die Wettbewerbskommission (Weko) diesem Prinzip des Binnenmarktgesetzes Nachdruck. Sie verwies auf das dort verankerte Herkunftsortprinzip (Cassis-de-Dijon-Prinzip), wonach eine Person ihre privatrechtliche Erwerbstätigkeit in der ganzen Schweiz ausüben darf, wenn ihr dafür von einem Kanton die Erlaubnis erteilt wurde. Laut Weko darf von diesem Prinzip nur „aus überwiegenden öffentlichen Interessen“ abgewichen werden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Kanton die im Herkunftskanton geltenden Anforderungen an die Berufsausübung als ungenügend erachtet und deswegen die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sieht [25].
Am 1. Juni trat das neue Anwaltsgesetz in Kraft, welches die interkantonale Freizügigkeit für Anwälte einführt. Seit diesem Datum können Anwälte ohne zusätzliche Bewilligung in der ganzen Schweiz vor Gericht auftreten. Als Konsequenz wurden die Berufsregeln und Disziplinarmassnahmen auf Bundesebene vereinheitlicht. Gestützt auf das Abkommen der Schweiz und der EU über den freien Personenverkehr regelt das Anwaltsgesetz ebenfalls die Modalitäten für die Zulassungsbedingungen für Anwälte aus Mitgliedstaaten der EU; da dies im Vorjahr vergessen worden war, genehmigte das Parlament diskussionslos die Ausweitung auf die EFTA-Staaten.
 
[25] NZZ, 9.1. und 22.1.02.