Année politique Suisse 2002 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Sprachen
Französisch als im Alltag hauptsächlich verwendete Sprache ist in der Schweiz in den 90er Jahren gestärkt worden, Deutsch blieb mit 63,7% (1990: 63,6%) konstant, während Italienisch und Rätoromanisch gesamtschweizerisch zurückgingen. Das zeigte die Analyse der definitiven Ergebnisse der Volkszählung 2000. Französisch nahm um 1,2 Prozentpunkte auf 20,4% zu. Die Zunahme war doppelt so stark wie bei der schweizerischen Wohnbevölkerung insgesamt (+6,0%). Der starke Zuwachs erfolgte vor allem in den Kantonen Genf und Waadt, aber auch im französischen Sprachgebiet der zweisprachigen Kantone Wallis und Freiburg sowie in den meisten deutschsprachigen Kantonen. Die Erosion des Italienischen und des Rätoromanischen setzte sich fort, allerdings mit 1,1 resp. 0,1 Prozentpunkten weniger stark als im Jahrzehnt zuvor (-7,6% und -0,6%). Der Rückgang des Italienischen war ausschliesslich auf die Abnahme der italienischsprachigen ausländischen Bevölkerung zurückzuführen (durch Rückwanderung oder Übernahme des Deutschen oder Französischen als Hauptsprache). Im Tessin erfuhr das Italienische sogar eine Stärkung (+9,1%), während das Deutsche an Bedeutung verlor. Ein Symbol für diese Entwicklung ist der Wechsel der ursprünglich rein deutschsprachigen Walsergemeinde Bosco/Gurin zum italienischen Sprachgebiet. Wie bereits früher erfolgte der Rückgang des Rätoromanischen vor allem in der Diaspora der deutschsprachigen Kantone (-11,4%); im Kanton Graubünden selber betrug er 8,9%. In fünf Bündner Gemeinden änderte sich die Sprachmehrheit zugunsten des Deutschen.
Obwohl der Ausländeranteil zwischen 1990 und 2000 von 18,1% auf 20,5% zugenommen hat, blieb der Anteil der
Nicht-Landessprachen konstant (8,9% resp. 9,0%), wobei sich allerdings deren Zusammensetzung stark veränderte. Das Serbokroatische behauptete seine Stellung als „4. Landessprache“, während Portugiesisch, Spanisch und Türkisch von Albanisch überflügelt wurden. Prozentual stark zugenommen haben auch Russisch sowie afrikanische und übrige Sprachen. Als zentralen Trend der 90er Jahre bezeichnete das BFS die
deutliche Verbesserung der sprachlichen Integration der Ausländerinnen und Ausländer: 62,3% (1990: 56,7%) gaben als Hauptsprache eine der Schweizer Landessprachen an. Sowohl bei der ersten wie bei der zweiten Generation von Zuwanderern lag 2000 der Anteil jener, die eine Landessprache als Hauptsprache angaben, je nach Herkunft um 10 bis 35% höher als 1990
[21].
Der Entwurf zum
Sprachengesetz wurde in der Vernehmlassung tendenziell positiv aufgenommen, weshalb der Bundesrat dem EDI den Auftrag erteilte, auf dieser Basis und in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Botschaft auszuarbeiten. Die Notwendigkeit zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage war bei den Kantonen unbestritten, doch lehnten sie alle Vorschläge ab, welche ihre Kompetenzen in den Bereichen Schule und Bildung tangieren könnten. Mit Ausnahme der SVP, die keinen Gesetzgebungsbedarf sah, hiessen alle Parteien ein Sprachengesetz grundsätzlich gut. Breite Zustimmung fanden die Abschnitte über die Amtssprachen des Bundes, über die Förderung der mehrsprachigen Kantone sowie des Rätoromanischen und Italienischen. Die Bundesratsparteien forderten darüber hinaus eine angemessene Vertretung der Sprachregionen in der Bundesverwaltung. Unterschiedlich wurde der Abschnitt über die Förderung der Verständigung und des Austauschs beurteilt. Während SP, Grüne und EVP hier dem Bund durchaus eigene Kompetenzen einräumen wollten, äusserten sich FDP und CVP aus föderalistischen sowie finanzpolitischen Gründen eher zurückhaltend. Allgemein gut aufgenommen wurde der vorgesehene Austausch von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften zwischen den Sprachregionen. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer bedauerten, dass sich der Entwurf nicht zur Frage der Landessprachen als erste Fremdsprache im Unterricht und damit zu der Kontroverse über das Frühenglisch äussert. Drei französischsprachige und drei zweisprachige Kantone (GE, NE, JU, VS, FR und BE), drei Parteien (Grüne, EVP, SD) sowie die Erziehungsdirektorenkonferenz der Suisse romande und des Tessins verlangten eine Regelung im Sinn der Festschreibung einer
Landessprache als erste Fremdsprache. Die SP begrüsste zwar eine Landessprache als erste Fremdsprache, äusserte jedoch Verständnis dafür, dass diese Frage nicht im Sprachengesetz geregelt werden kann. CVP und SVP waren hingegen der Meinung, die Frage des Frühenglisch sei Sache der Kantone. Auf keine Unterstützung stiess die vorgesehene Bundeskompetenz, Immigranten Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur anzubieten. Die Parteien waren sich einig, dass eine derartige Bestimmung nicht in ein Gesetz über die Landessprachen gehört
[22].
Die Kantone Graubünden, Freiburg, Bern und Solothurn meldeten ihren Anspruch auf die Beherbergung des im Gesetzesentwurf vorgesehenen
Instituts zur Förderung der Mehrsprachigkeit an. Der Kanton Graubünden machte geltend, er sei von der Problematik der Mehrsprachigkeit intensiv betroffen und biete daher gute Voraussetzungen als Standort für die Mehrsprachigkeitsforschung. Bern wies auf das in Biel angesiedelte „Forum der Zweisprachigkeit“ hin, Freiburg auf seine Rolle als einzige zweisprachige Universitätsstadt und Solothurn auf seine Lage an der Schwelle der Deutschschweiz zur Romandie und am Schnittpunkt der Nord-, Süd-, West- und Ostverbindungen sowie auf den Umstand, dass sich der Geschäftssitz der ch-Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit seit 1967 in Solothurn befindet
[23].
Im Einverständnis mit dem Bundesrat überwies der Nationalrat eine Motion Pelli (fdp, TI), die den Bundesrat beauftragt, die
Bundespersonalstatistik so zu gestalten, dass für alle vier Landessprachen ersichtlich wird, welche Angestellten Verwaltungsarbeiten verrichten und welche Übersetzungen anfertigen. Damit soll dargelegt werden, wie viele Personen deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Muttersprache tatsächlich am Entscheidungsprozess teilnehmen und wie viele für die landesweite Verständigung arbeiten
[24].
Gegen den Antrag der vorberatenden Kommission, die auf den technischen Aufwand verwies, weshalb sie den Vorstoss lediglich in Postulatsform überweisen wollte, nahm der Ständerat mit 23 zu 14 Stimmen eine Motion des Nationalrates (Galli, cvp, BE) an, die verlangt, dass die
Geschäftsdatenbanken des Parlaments („Curia“ und „Curia Vista“) ebenfalls auf Italienisch konzipiert und unterhalten werden sollen. Ausschlaggebend für die Zustimmung waren die Voten der beiden Tessiner Marty (fdp) und Lombardi (cvp), die darauf hinwiesen, dass sämtliche parlamentarischen Akten (mit Ausnahme des „Amtlichen Bulletins“, in dem jeder Redner in der Sprache protokolliert wird, in der er spricht) ohnehin zuhanden der insgesamt zehn italienischsprachigen Abgeordneten der Bundesversammlung auf Italienisch übersetzt und dabei elektronisch erfasst werden
[25].
Die Stadt
Bern strich ihren Beitrag an die auf ihrem Gemeindegebiet liegende
Französische Schule. Bisher hatte sie 10% der Betriebskosten der Schule übernommen. In der Fragestunde der Frühjahrssession sprachen zwei welsche Abgeordnete – Bugnon (cvp, VD) und Dupraz (fdp, GE) – Bundesrätin Dreifuss darauf an und baten sie zu prüfen, ob allenfalls der Bund die nun fehlenden 350 000 Fr. übernehmen könnte. Dreifuss unterstrich die Bedeutung dieser Schule für die Familien der französischsprachigen Bundesangestellten und Diplomaten, erklärte aber, der Bund könne nicht mehr als die bis anhin geleisteten 25% übernehmen. Sie bedauerte den Entscheid der Stadt Bern, verwies aber darauf, dass es sich bei der Französischen Schule um eine Kantonsschule handelt, weshalb dies in erster Linie eine Angelegenheit des Kantons Bern sei. Ähnlich abschlägig beantworte der Bundesrat auch eine Einfache Anfrage Rennwald (sp, JU)
[26].
Als das BFS Anfang Jahr die provisorischen Ergebnisse der Volkszählung 2000 bekannt gab (siehe oben), forderten die „Lia Rumantscha“ (LR) sowie die im Vorjahr gegründete Gruppe der romanischsprachigen bündnerischen Grossrätinnen und Grossräte umgehend griffige Massnahmen, namentlich Weichenstellungen im Rahmen der Totalrevision der Kantonsverfassung und bei der Ausarbeitung des Bundessprachengesetzes. Ende März überreichte eine Initiantengruppe der Kantonsregierung ein „Manifest zur Lage des Rätoromanischen“, das auch an Bundepräsident Villiger übermittelt wurde. Darin verlangten sie ein kantonales Kompetenzzentrum zur Förderung der romanischen Sprache sowie ein eigenes Sprachengesetz. Die romanischen Organisationen orteten in der Einführung des neuen Sprachenkonzeptes an den Bündner Schulen eine weitere Bedrohung des Rätoromanischen. Sie verlangten insbesondere einen obligatorischen romanischen Erstsprachenunterricht an der Oberschule für Schüler aus romanischen Primarschulen. Als Mittel zur Förderung der rätoromanischen Sensibilität sieht die LR die unverzügliche Einführung der Standardsprache Rumantsch Grischun (RG) an allen Schulen, die heute in einem der Bündner Idiome unterrichten. Zudem soll RG an Mittelschulen und an der Pädagogischen Hochschule die wichtigste romanische Sprache werden. Auch die Kantonsregierung sieht eine Privilegierung des RG vor, doch möchte sie dabei gemächlicher vorgehen als die LR
[27].
Das Idiom der jenischen Bevölkerung wird von der Schweiz als
nicht territorial gebundene Sprache anerkannt. Zusammen mit den Fahrenden prüft der Bund konkrete Möglichkeiten, diese Minderheitensprache im Sinn der neu formulierten Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen zu erhalten und zu fördern. Statistische Daten zum Jenischen gibt es nicht. Die Fahrenden verwenden ihr Idiom ausschliesslich innerhalb der Gruppe. Die jenische Bevölkerung wird auf 30 000 bis 35 000 Personen geschätzt, wovon etwa 3000 heute noch Fahrende sind. Auf Empfehlung der Experten und des Ministerkomitees des Europarates soll untersucht werden, wie das Jenische besser geschützt werden kann. Gemäss BAK geht es insbesondere um eine Bestandesaufnahme und eine bessere Bekanntmachung der Sprache nach aussen. Förderungsmassnahmen, die möglicherweise Eingang ins neue Sprachengesetz finden, müssten nach Ansicht des BAK vor allem Frauen und Mädchen ansprechen, da diese massgeblich zur Pflege und Weitergabe des Jenischen beitragen
[28].
[21] Presse vom 20.12.02. Siehe
SPJ 1992, S. 278 und
1993, S. 260.
[22] Presse vom 11.2. und 17.10.02. Siehe dazu auch die Antworten des BR auf zwei Interpellationen aus der Fraktion der Grünen (
AB NR, 2002, S. 307 ff. und I, Beilagen, S. 100 f. und 108 f.). Vgl.
SPJ 2001, S. 243 f. Zu Englisch als erster Fremdsprache siehe oben, Teil I, 8a (Grundschulen).
[23]
BüZ, 11.1. und 25.1.02;
LT, 9.2.02;
SZ, 22.2.02;
NZZ, 26.2.02.
[24]
AB NR, 2002, S. 1125.
[25]
AB SR, 2001, S. 1152 f. Siehe
SPJ 2001, S. 243.
[26]
AB NR, 2002, S. 160 und 1142. Zur Beteiligung der Schweiz an der Organisation der frankophonen Staaten siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales). Für Diskussionen über die Frage des Territorialitätsprinzips in der neuen Freiburger Verfassung vgl. oben, Teil I, 1a (Kantonale Verfassungsrevisionen).
[27]
BüZ, 23.1., 24.1., 26.1., 30.1., 26.3., 29.5., 3.7.,10.10., 23.10. und 28.10.02; Presse vom 22.3.02.
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