Année politique Suisse 2002 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
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Landeskirchen
Die provisorischen Zahlen der Volkszählung 2000 bestätigten, dass die Schweiz zunehmend zu einer multikulturellen und multikonfessionellen Gesellschaft wird. Mit 41,8% (1990: 46,3%) resp. 33,0% (40,0%) dominieren die katholische und die protestantische Konfession zwar nach wie vor, zunehmend ist aber der Anteil der Religionslosen (11,1%; 1990: 7,4%), der Muslime (4,3%; 1990: 2,2%) und der Angehörigen der christlich-orthodoxen Kirche (1,8%) [29].
Angesichts der Ergebnisse der Volkszählung nahm der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) seine bereits in Zusammenhang mit der Volksabstimmung über die Abschaffung des Bistumsartikels erhobene Forderung nach einem eigentlichen Religionsartikel in der Bundesverfassung wieder auf. Aus Sicht des SEK ist Religion zwar eine persönliche Angelegenheit, in einem pluralistischen Staat aber nicht nur Privatsache; Religion habe auch einen Gemeinschaftsbezug und Öffentlichkeitsanspruch. Er schlug eine Erweiterung von Art. 15 BV vor, der die individuelle Glaubens- und Gewissensfreiheit regelt. Neu sollen die Religionsgemeinschaften das Recht erhalten, frei zu lehren und zu wirken, sich nach ihrem Selbstverständnis zu organisieren und ihre Angelegenheiten selber zu regeln. In Art. 72 BV, wonach die Kantone für die Beziehungen zwischen Kirchen und Staat zuständig sind, soll der Bund als „Hüter der Toleranz“ stärker eingebunden werden. Mit dem neuen Religionsartikel möchte der SEK die christlich-abendländische Prägung der schweizerischen Kultur bejahen, gleichzeitig aber die Weiterentwicklung der kulturellen und religiösen Identität ermöglichen. Entgegen früheren Erwägungen will der SEK aber zumindest vorderhand auf die Lancierung einer entsprechenden Volksinitiative verzichten [30].
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Andere Religionen
Die russisch-orthodoxen Gläubigen erhielten Ende Jahr in Zürich ihre erste geweihte Kirche in der deutschen Schweiz. Sie steht nicht nur Russen offen, sondern wird auch von zahlreichen Georgiern, Bulgaren, Ukrainern und Serben besucht [31].
Im Einvernehmen mit dem Israelitischen Gemeindebund liess der Bundesrat die geplante Lockerung des seit 1893 geltenden Schächtverbots nach dem massiven Widerstand in der Vernehmlassung fallen. Dafür soll der Import von Fleisch von Tieren, die nach jüdischem oder islamischem Brauch rituell geschlachtet werden, gesetzlich garantiert werden. Der Verzicht auf die umstrittene Änderung im Tierschutzgesetz wurde mit der Wahrung des konfessionellen Friedens begründet, da in den Diskussionen neben tierschützerischen Argumenten auch antisemitische Töne zu hören gewesen waren [32].
Mit einem einjährigen Pilotprojekt läuteten die beiden Luzerner Gemeinden Kriens und Ebikon im Schuljahr 2002/2003 eine Schweizer Premiere ein, indem sie islamischen Schülerinnen und Schülern in der Unterstufe muslimischen Religionsunterricht anboten. Der Beauftragte für Religion der drei Landeskirchen im Kanton Luzern erklärte, die aus Deutschland stammenden Lehrmittel seien eingehend geprüft worden; es handle sich um modernes Unterrichtsmaterial ohne fundamentalistische Inhalte. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren begrüsste das Projekt, da sie grundsätzlich empfiehlt, dass Kinder fremder Kulturen auch in ihrer Sprache und Kultur unterrichtet werden [33].
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Vereinnahmende Bewegungen
In Genf wurde das « Centre intercantonal d’information sur les croyances et les activités des groupements à caractère religieux, spirituel ou ésotérique » eröffnet. Das Zentrum, das gemeinsam von den Kantonen Genf, Waadt, Wallis und Tessin finanziert wird, ist eine Antwort auf die Ereignisse rund um den Sonnentemplerorden, denen Mitte der 90er Jahre über 70 Personen in der Westschweiz und in Frankreich zum Opfer fielen [34].
 
[29] Presse vom 23.1.02. Vgl. SPJ 1993, S. 263 f. Zu den Ergebnissen einer Befragung des GfS-Instituts, welche ebenfalls eine wachsende Entfremdung der Bevölkerung von den Landeskirchen aufzeigte, siehe TA, 30.3.02; BaZ, 8.5.02. Für die Bestrebungen, in Bern ein „Haus der Religionen“ zu errichten, siehe Bund, 6.12.02; TA, 27.12.02.
[30] Presse vom 30.10.02; NZZ, 14.11.02; BaZ, 28.11.02. Siehe SPJ 2001, S. 244 f.
[31] Presse vom 14.12.02. Zu andauernden Schwierigkeiten innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche bei der Besetzung von Priesterstellen, welche die Eidg. Ausländerkommission bewogen, sich aus ihrer Vermittlerrolle zurückzuziehen, siehe TA, 16.10.02. Vgl. SPJ 2001, S. 245.
[32] AZ, 29.1.02; LT, 30.1.02; Presse vom 14.3.02.
[33] Bund, 17.8.02; TA, 28.8.02. Siehe dazu die Stellungnahme des BR zu einer Interpellation Dunant (svp, BS) (AB NR, 2002, V, Beilagen, S. 219 ff.). Die Walliser Fremdenpolizei verweigerte einem fundamentalistischen Imam die Arbeitserlaubnis: LT, 9.10.02. Vgl. SPJ 2000, S. 292. Im Kanton Genf suspendierten die Behörden einen Sekundarlehrer, der ausserhalb der Schule radikal-islamisches Gedankengut verbreitete (LT, 12.10. und 16.10.02; TG, 22.10.02; NZZ, 20.12.02).
[34] LT, 28.8.02. Siehe SPJ 1999, S. 335.