Année politique Suisse 2003 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos und des Weltsozialforums in Porto Alegre (Brasilien) plädierten die Sozialdemokraten für eine Globalisierung der Gerechtigkeit. Sie seien nicht gegen die Globalisierung, doch gehe es nicht nur um den weltweiten Export von Gütern, sondern auch um den Export von Menschenrechten, demokratischer Teilnahme und wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Die SP verurteilte die Kriegsdrohungen der USA gegenüber dem Irak und begrüsste die Haltung des Bundesrates, der die USA in Davos an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen erinnern wollte; nur solle der Bundesrat nicht nur Davos, sondern auch Porto Alegre als offizielles Forum nutzen [3].
An ihrer Delegiertenversammlung in Landquart (GR) beschlossen die Sozialdemokraten zu allen im Mai zur Abstimmung gelangenden Volksinitiativen die Ja-Parole. Bei der Moratoriumsinitiative machte Bundesrat Moritz Leuenberger durch seine Stimmenthaltung indirekt klar, dass er das Begehren unterstützte, obwohl der Gesamtbundesrat die Vorlage zur Ablehnung empfohlen hatte. Bei der Vorlage zur Armee XXI folgten die Delegierten dem Antrag der Parteileitung und beschlossen Stimmfreigabe, die Revision des Bevölkerungsschutzes empfahlen sie zur Annahme. In einer Resolution zum Irak-Krieg forderten die Delegierten den Bundesrat auf, militärische Überflüge zu verweigern und im Kriegsfall die Rüstungsgeschäfte mit den USA zu stoppen. Ausserdem sagten sie ihrer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey für deren öffentliche Diplomatie, konkret für deren Initiative zu einem humanitären Treffen in Genf, die Unterstützung zu. In ihrer Rede zur Entwicklungspolitik rief Calmy-Rey dazu auf, den Pauperismus in der Welt nicht wie das mit diesem Ausdruck bezeichnete vorindustrielle Massenelend hinzunehmen [4].
Im Mai eröffneten die SP-Frauen mit einer Frauen-Konferenz in Bern ihren Wahlkampf; sie beabsichtigten, bei den Nationalratswahlen gleich viele Sitze zu gewinnen wie ihre männlichen Kollegen. Um dieses Ziel zu erreichen, forderten sie die Kantonalparteien dazu auf, ihre Listen paritätisch zu besetzen; die SP Schweiz solle Kandidatinnen ebenso oft an öffentliche Anlässe und zu Fernsehdiskussionen schicken wie Kandidaten [5].
An ihrer Delegiertenversammlung in Yverdon (VD) unterstützten die Sozialdemokraten das Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket und sprachen sich für einen starken Service public aus. Auf Antrag der JungsozialistInnen verschärften sie eine Resolution der Geschäftsleitung und forderten Bundesrat und Parlament auf, jegliche Privatisierungstendenzen bei der Post zu unterbinden, die Monopolgrenzen nicht weiter zu senken und den Abbau von Poststellen zu stoppen. Bundesrat Moritz Leuenberger wandte erfolglos ein, die Post könne nur dann ein sozialer Arbeitgeber bleiben, wenn sie ihre Dienstleistungen den neuen Kundenbedürfnissen anpasse und rentable Strukturen aufweise [6].
An einer Medienkonferenz zum Rentenalter und zur AHV warf die SP dem Freisinn in Anspielung auf den Vorschlag Bundespräsident Couchepins, das Rentenalter auf 67 zu erhöhen, vor, das Vertrauen des Volkes in die AHV zu schwächen. Um die Altersvorsorge zu sichern, müsse vor allem die AHV gestärkt werden. Bei der zweiten Säule sei dagegen im überobligatorischen Bereich ein Abbau sinnvoll [7].
Für ihr Wahlhappening in Bern übernahm die SP das Motto der deutschen Sozialdemokraten aus deren letztjährigem Wahlkampf: „Job und Kind – wir wollen beides“. In ihrer Rede verlangte Parteipräsidentin Christiane Brunner eine Mutterschaftsversicherung, mehr Krippen und Horte, Tagesschulen und Aufgabenhilfen, Steuergutschriften für Familien und höhere Kinderzulagen. Diese Forderungen seien zwar alt, aber immer noch nicht erfüllt. Im Gegensatz zur CVP bestehe eine Familie für die SP nicht zwingend nur aus Mutter, Vater und Kind, sondern umfasse jede Form des Zusammenlebens zwischen Erwachsenen und Kindern. Wichtig sei, dass Eltern wirklich wählen könnten, wie sie Erziehung und Berufsarbeit unter sich aufteilen wollten [8].
Mit dem Referendum gegen die 11. AHV-Revision starteten die Sozialdemokraten Anfang Oktober in die Schlussphase des Wahlkampfs. Erstmals in der Geschichte der AHV habe das Parlament eine reine „Abbauvorlage“ beschlossen, welche vor allem die Frauen, die Witwen sowie die unteren und mittleren Einkommen belaste. In einer Resolution zur Krankenversicherung forderten die SP-Delegierten, nicht ausgeschöpfte Beiträge zur Prämienverbilligung, vor allem der Kinderprämien, einzusetzen. Zudem sollte die Ärzteschaft vermehrt preisgünstige Arzneimittel resp. Generika verschreiben [9].
Bei den eidgenössischen Wahlen konnte die SP ihre Vertretung im Parlament um insgesamt 4 Sitze, 3 davon im Ständerat, erhöhen. Auf die Forderung von SVP-Parteipräsident Ueli Maurer, der SVP einen zweiten Bundesratssitz zuzugestehen, der mit Christoph Blocher (ZH) zu besetzen sei, reagierten die Sozialdemokraten mit Ablehnung. An einer Delegiertenversammlung Ende November bekräftigte die SP-Basis insbesondere angesichts der Drohung der SVP, auch den Sitz von SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey anzugreifen, die Linie der Parteileitung, alles zu unternehmen, um einen Bundesrat Blocher zu verhindern. Obschon die Sozialdemokraten mit ihrer Gesundheitsinitiative im Mai gescheitert waren, entschieden sie sich entgegen der ursprünglichen Absicht der Parteileitung, das Volksbegehren des „Mouvement populaire des familles“ für eine soziale Einheitskrankenkasse zu unterstützen und je nach Ausgang der Parlamentsberatungen das Referendum gegen die Revision des KVG zu ergreifen oder zu unterstützen. Nach der Wahl von Christoph Blocher (svp, ZH) und Hans-Rudolf Merz (fdp, AR) in den Bundesrat erklärte die SP, sie wolle auf diesen Rechtsrutsch mit verstärkter Opposition reagieren [10].
Im November wählte die Gewerkschaft VPOD SP-Vizepräsidentin Christine Goll (ZH) zu ihrer neuen Präsidentin; Goll stellte ihr Amt in der SP auf Ende Jahr zur Verfügung. Ende Dezember gab Christiane Brunner bekannt, sie werde am 6. März 2004 als Parteipräsidentin zurücktreten. Sie hatte die Leitung der SP im Herbst 2000 übernommen, als die Partei nach dem Rücktritt von Ursula Koch heillos zerstritten war. Als aussichtsreichster Anwärter auf ihre Nachfolge galt SP-Vizepräsident Hans-Jürg Fehr (SH), Chancen wurden auch Preisüberwacher Werner Marti (GL) eingeräumt. Die Berner Nationalrätin Ursula Wyss wurde als Kandidatin fürs Vizepräsidium gehandelt [11].
 
[3] Presse vom 18.1.03.
[4] Presse vom 3.3.03.
[5] LT und NZZ, 12.5.03.
[6] SoZ, 29.6.03; Presse vom 30.6.03.
[7] Presse vom 16.8.03.
[8] Presse vom 1.9.03.
[9] Presse vom 6.10.03.
[10] Presse vom 31.10., 8.11., 1.12. und 11.-19.12.03. Bei den kantonalen Wahlen eroberte die SP 15 zusätzliche Parlamentsmandate; nach den Regierungsratswahlen ist sie im Kanton AR nicht mehr vertreten; in ZH und in SO gewann sie aber je einen Sitz hinzu.
[11] BZ, 15.11.03; NZZ, 20.11.03; Presse vom 20.12.03; vgl. SPJ 2000, S. 347 f. Brunner hatte bereits im Sommer erklärt, sie werde als Parteipräsidentin zurücktreten, wenn sie als Ständerätin nicht wiedergewählt würde; ihre Wahl war gefährdet gewesen, weil die äusserste Linke im Kanton Genf ein Zusammengehen mit der SP verweigert hatte (Presse vom 15.8.03).