Année politique Suisse 2003 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
An ihrer Delegiertenversammlung in Regensdorf (ZH) verabschiedete die CVP fast diskussionslos die beiden Wirtschaftspapiere „Mehr Innovation schafft sichere Jobs und Wohlstand“ und „Neues Vertrauen schaffen“, welche beide Bestandteile der Wahlplattform waren [26].
Eine Woche vor den dortigen Regierungs- und Parlamentswahlen trafen sich die CVP-Delegierten in Luzern zur Parolenfassung für die neun Vorlagen, welche im Mai zur Abstimmung gelangten. Sie empfahlen alle sieben von der Linken unterstützten Volksinitiativen zur Ablehnung, die Revision der Armee und des Bevölkerungsschutzes zur Annahme. Einstimmig nahmen sie eine Resolution der Jungen CVP an, welche einen Ausbildungsabzug zur steuerlichen Entlastung von Familien forderte [27].
Im Mai verabschiedeten die CVP-Frauen einen Forderungskatalog, der ihnen auch als Programm für die eidgenössischen Wahlen vom Herbst dienen sollte. Darin verlangten sie ein Bundesgesetz über Familienzulagen, Ergänzungsleistungen für erwerbstätige Eltern mit niedrigem Einkommen, Entlastungen bei der direkten Bundessteuer für Familien mit mittleren Einkommen sowie einen Steuerabzug für Personen, die zu Hause Angehörige pflegen. Weiter sollten alle Kantone dafür sorgen, dass bei häuslicher Gewalt die Täter und nicht die Opfer die gemeinsame Wohnung verlassen müssen [28].
An ihrem Parteitag in Baar (ZG) verabschiedeten die CVP-Delegierten ein 3-Punkte-Programm, das eine Halbierung der bürokratischen Lasten für Bürger und Wirtschaft forderte. Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss stellte ein Massnahmenpaket zur administrativen Entlastung der KMU bei den Sozialversicherungen, den Lohnausweisen und den Steuererklärungen in Aussicht [29].
Anfang August stellten die Christlichdemokraten ein Positionspapier „Stopp der Jugendgewalt“ vor, in dem sie ihre Vorschläge an Eltern, Lehrer, Kinder und Behörden zum Thema zusammenfassten; das Papier enthielt keine neuen Erkenntnisse und keine Angaben zu den Kosten. Während die Pressemitteilung das Schwergewicht vor allem auf die Repression legte, kamen an der Pressekonferenz auch Prävention und Intervention zur Sprache [30].
Als der Vatikan die christlichen Parteien aufforderte, Bestrebungen zur Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu bekämpfen und Bischof Kurt Koch eine Christentum-Verträglichkeitsprüfung anregte, verwahrte sich die CVP-Spitze gegen diese Einmischung mit dem Argument, die CVP sei eine überkonfessionelle Partei [31].
An ihrer Delegiertenversammlung in Genf präsentierte sich die CVP als Partei der Familien: Einstimmig und ohne Enthaltung hiess sie einen bezahlten Urlaub für erwerbstätige Mütter gut, obwohl das Parlament die Vorlage zur Mutterschaftsversicherung noch nicht zu Ende beraten hatte; die Stellungnahme war als Antwort auf die Referendumsdrohung der SVP gedacht. Im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen vom Herbst warb Parteipräsident Philipp Stähelin in seiner Rede „Nachwuchs fördern heisst Renten sichern“ dafür, der Familienpolitik einen neuen Stellenwert einzuräumen [32].
Drei Wochen vor den Wahlen sprach sich Parteipräsident Philipp Stähelin an einem ausserordentlichen CVP-Parteitag in Basel mit Nachdruck für starke Mitteparteien und die Beibehaltung der Konkordanz aus und rechtfertigte damit den zweiten Bundesratssitz der CVP. Die beiden CVP-Bundesratsmitglieder skizzierten die aus ihrer Sicht wichtigsten Herausforderungen der kommenden Legislatur: Rentenalter, Konsolidierung der bilateralen Beziehungen mit der EU, Prioritätensetzung bei den staatlichen Ausgaben, mehr Wettbewerb und Marktöffnung sowie echte Familienpolitik, das heisst steuerliche Entlastung der Familien. Die CVP wolle am Rentenalter 65 festhalten; um die Renten zu finanzieren, sollten die Kinder früher eingeschult werden und junge Erwachsene somit früher die Berufstätigkeit aufnehmen. Praktisch diskussionslos hiessen die Delegierten schliesslich einen 34 Punkte umfassenden „Wahlvertrag der CVP mit dem Schweizervolk“ gut [33].
Obschon die CVP einen aufwändigen Wahlkampf betrieben hatte, musste sie 7 Nationalratsmandate abgeben; besonders hoch waren die Verluste in ihren traditionellen Stammlanden. Als erste Reaktion auf die Wahlniederlage stellte CVP-Präsident Philipp Stähelin sein Amt zur Verfügung; die Parteileitung sprach ihm jedoch das Vertrauen aus. Sie schloss den Rückzug eines ihrer Bundesratsmitglieder zugunsten von Christoph Blocher (svp, ZH), den SVP-Präsident Ueli Maurer am Wahlabend gefordert hatte, aus; für die Regierungsbildung stehe die Handlungsfähigkeit des künftigen Bundesrates im Vordergrund. Dieser Entscheid stiess parteiintern nicht auf einhellige Zustimmung; so erklärte der ehemalige CVP-Präsident, Ständerat Carlo Schmid (AI), man käme um einen Bundesrat Blocher nicht mehr herum. Ende Oktober entschied die CVP-Fraktion mit 33:5 Stimmen, mit beiden Bundesratsmitgliedern zur Wiederwahl anzutreten und der Vereinigten Bundesversammlung damit die Entscheidung über die künftige Regierungszusammensetzung zu überlassen. Gemäss Fraktionschef Jean-Michel Cina (VS) anerkenne die CVP den Anspruch der SVP auf einen zweiten Bundesratssitz. Ihrer Meinung nach solle die SVP jedoch den Sitz des zurücktretenden FDP-Bundesrats Kaspar Villiger einnehmen; mit drei Sitzen im Bundesrat und mit der Bundeskanzlerin sei der gemäss Cina neu formierte Rechtsblock von SVP und FDP angemessen vertreten. Dieses Vorgehen stiess bei einigen CVP-Kantonalparteien wie jener von Luzern auf Kritik, weil diese auf die Zusammenarbeit mit der FDP angewiesen sind. Am 10. Dezember bestätigte das Parlament nicht CVP-Bundesrätin Ruth Metzler, sondern wählte Christoph Blocher (svp, ZH) in die Regierung. Die Parteileitung der CVP wies jegliche Mitschuld an der Abwahl ihres Regierungsmitglieds von sich und erklärte, die CVP wolle ihr Glück in einer „Politik der radikalen Mitte“ suchen und sich programmatisch erneuern. Die Fraktion werde Ende Januar 2004 in Klausur gehen und im Frühling einen „Grundsatzparteitag“ durchführen [34].
Einen Tag nach der Bundesratswahl gab Philipp Stähelin seinen Rücktritt als Parteipräsident nach nur zweieinhalb Jahren Amtsdauer bekannt. Mit seinem Rücktritt zu Beginn einer neuen Legislatur wolle er der neuen Parteiführung ermöglichen, die eidgenössischen Wahlen 2007 in aller Ruhe vorzubereiten. Das neue Präsidium solle an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung Anfang 2004 gewählt werden. Der neue Präsident müsse laut Stähelin ein Mitglied des Parlaments sein, da eine enge Verbindung zur nationalen Politik wichtig sei, und von der Fraktion getragen werden. Er würde sich besonders freuen, wenn eine Frau seine Nachfolge anträte. Als Favoriten gehandelt wurden Vizepräsidentin Doris Leuthard (AG), Ständerat Bruno Frick (SZ), Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz (SG), Nationalrätin Thérèse Meyer (FR) und Fraktionschef Jean-Michel Cina (VS). Die Junge CVP forderte den Ausschluss von Ständerat Carlo Schmid (AI) aus Partei und Fraktion. Falls noch andere Fraktionsmitglieder bei den Bundesratswahlen für Christoph Blocher statt Ruth Metzler gestimmt hätten, solle auch gegen diese ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet werden [35].
 
[26] BaZ, 4.1.03; NZZ, 11.1.03; Presse vom 13.1.03.
[27] Presse vom 31.3.03.
[28] AZ und NZZ, 5.5.03.
[29] Presse vom 16.6.03; NZZ, 17.6.03.
[30] Presse vom 6.8.03.
[31] SoZ, 10.8.03; Presse vom 11.-12.8.03; NLZ, 14.8.03; LT, 15.8. und 23.8.03; siehe auch oben, Teil I, 8b (Kirchen).
[32] Presse vom 25.8.03; BZ, 27.8.03.
[33] Presse vom 29.9.03.
[34] Presse vom 20.-21.10., 30.-31.10. und 11.12.03; siehe auch oben, Teil I, 1c (Regierung).
[35] Presse vom 12.10.03.