Année politique Suisse 2003 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Grüne Partei (GP)
Nach seiner Wahl in die Genfer Stadtregierung gab der Co-Präsident der Grünen, Patrice Mugny (GE), bekannt, er werde sein Nationalratsmandat nach der Sondersession abgeben und Ende Jahr das Vizepräsidium der Partei. Im November liess Co-Präsidentin Ruth Genner (ZH) durchblicken, sie würde das Präsidium gerne im Vollamt übernehmen. Als Vizepräsidenten wünsche sie sich einen welschen Fraktionskollegen. Die Delegiertenversammlung der Grünen entscheidet im Januar 2004 über die Neuerungen an der Parteispitze [51].
Mit einem Fest mit Biomarkt und Podiumsgespräch feierte die Grüne Partei im Mai in Bern ihr 20-Jahr-Jubiläum. Co-Präsidentin Ruth Genner rief zu mehr Bewegung an der Basis auf und ermunterte die Parteimitglieder, utopische Ziele anzupeilen. Gefragt sei insbesondere der Nachwuchs [52]. Einen Monat vor den eidgenössischen Wahlen präsentierten sich die Jungen Grünen, die bisher nur kantonal in Erscheinung getreten waren, erstmals als nationale Bewegung und luden zu einem „Fair-Trade-Frühstück“ auf der Bundesterrasse in Bern ein. Als ersten politischen Vorstoss übergaben sie dem Parteipräsidium eine Forderung an die Bundesverwaltung: Diese solle in ihren Cafeterias nur noch Kaffe aus fairem Handel ausschenken [53].
Anfang Jahr beschlossen die Grünen an ihrer Delegiertenversammlung in Luzern die Nein-Parole zum Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte, auf Kritik stiess vor allem die hohe Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative. Ausserdem verabschiedeten die Delegierten den Text zur Volksinitiative „für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft“, welche ein fünf- (statt wie ursprünglich vorgesehen ein 10-jähriges) Gentech-Moratorium vorsieht. Mit 35:24 Stimmen bei 5 Enthaltungen sprachen sie sich zudem für die Mitlancierung der Volksinitiative „für eine soziale Einheitskrankenkasse“ aus. Die Befürworter hofften auf mehr Transparenz, demokratische Strukturen und Sparmöglichkeiten, die Gegner hingegen befürchteten einen aufgeblähten Verwaltungsapparat und die Gefährdung des Grundleistungskatalogs. Schliesslich stimmten die Grünen einer Resolution gegen den Irak-Krieg zu, in welcher sie den Bundesrat aufforderten, alle diplomatischen Mittel zu nutzen, um möglichst viele Regierungen gegen den Krieg zu mobilisieren [54].
Im April beschlossen die Grünen die Ja-Parole zu den beiden Atominitiativen „Strom ohne Atom“ und „Moratorium Plus“, zur Initiative „Gleiche Rechte für Behinderte“, zur Lehrstelleninitiative, zur Initiative „Ja zu fairen Mieten“, zur Sonntagsinitiative, zur Gesundheitsinitiative der SP sowie zur Revision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes. Umstritten war einzig die Vorlage zur Armee XXI, zu der die Delegierten auf Antrag des Vorstandes mit 43:16 Stimmen bei 8 Enthaltungen leer Einlegen empfahlen; der Antrag, die Nein-Parole herauszugeben, wurde mit 44:29 Stimmen abgelehnt. Anschliessend verabschiedeten die Grünen eine Resolution, worin sie wegen der ihrer Ansicht nach völkerrechtswidrigen Intervention der USA im Irak den Umzug der UNO von New York in die neutrale Schweiz nach Genf anregten. Zu reden gab schliesslich die Erhöhung des Mitgliederbeitrags, welcher erstmals seit dem 20-jährigen Bestehen der Partei angehoben wurde (von 25 auf 35 Fr. pro Jahr). Dadurch verfügt die nationale GP neu über ein Jahresbudget von knapp 500 000 Fr. [55].
In einem Positionspapier forderten die Grünen eine ganzheitliche Gesundheitspolitik, welche die Prävention ins Zentrum stellt. Die gesundheitspolitische Debatte dürfe sich nicht länger fast ausschliesslich um Kostenfragen drehen; Voraussetzung für ein gesundes Leben seien intakte ökologische und soziale Lebensbedingungen. Nach Meinung der Grünen seien Gesundheitskosten von 43 Mia Fr. (10,7% des BIP) für die reiche Schweiz nicht zuviel. Sparpotenziale böten unter anderem eine bessere Spitalplanung, die Aufhebung des Vertragszwangs für Spezialärzte, Einkommensplafonds für Ärzte mit Privatpraxis im Spital, Parallelimporte billiger Medikamente und die Förderung der Generika-Abgabe. Ausserdem unterstützten die Grünen die Forderung der SP-Initiative nach Abschaffung der Kopfprämien und nach Prämienbefreiung der Kinder [56].
Ende Juni beschloss der Vorstand der Grünen Partei, sich aktiv für ein Referendum gegen das Steuerpaket zu engagieren und sich nicht allein auf das Kantonsreferendum zu verlassen [57].
Im Zusammenhang mit einem Bundesgerichtsurteil, das Urnenentscheide über Einbürgerungen als verfassungswidrig bewertet, forderten die Grünen eine Migrationspolitik, welche auf der Anerkennung der Menschenrechte gründet und konsequent die Integration fördert; obligatorische Deutschkurse lehnten sie jedoch ab. Die Einbürgerungsfrist solle auf acht Jahre gesenkt, die zweite und die dritte Ausländergeneration automatisch eingebürgert werden [58].
Mit dem Hinweis, Klimapolitik sei für die Grünen nicht erst seit diesem Hitzesommer ein heisses Thema, rechtfertigte Fraktionschefin Cécile Bühlmann (LU) das lange Schweigen der Partei. Anstelle der punktuellen Massnahmen wie befristeten Temporeduktionen im Tessin und in Graubünden fordere die GP eine Verlagerungspolitik hin zum öffentlichen Verkehr auch im Personenverkehr. Anfangs September verabschiedeten die Delegierten eine Resolution „für eine glaubwürdige Klimapolitik“, welche die dringliche Einführung der CO2-Abgabe auf den 1. Januar 2004 und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs verlangte. Um die Mehrkosten zu finanzieren, solle ein Klimafranken pro Liter Benzin erhoben werden. Vor allem die Waadtländer Grünen kritisierten diesen Vorschlag als unausgegoren; sie vermissten eine vorgängige Vernehmlassung in den Kantonalparteien und verlangten eine Abfederung für die Bewohner der Randregionen. Die Resolution wurde schliesslich mit 39:0 Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen [59].
Bei den eidgenössischen Wahlen konnten die Grünen die Zahl ihrer Nationalratsmandate von 9 auf 13 erhöhen. Als Reaktion auf die Drohung der SVP, in die Opposition zu gehen, falls ihr das Parlament nicht einen zweiten Bundesratssitz für Christoph Blocher (svp, ZH) zugestehen würde, brachten die Grünen Co-Präsidentin Ruth Genner (ZH) als Kandidatin für den Bundesrat ins Spiel, um eine allfällige Regierung mit einer Mitte-links-Mehrheit ohne SVP-Beteiligung zu ermöglichen. Gewählt wurde Christoph Blocher an Stelle von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler. Bei den kantonalen Wahlen errangen die Grünen insgesamt 5 zusätzliche Sitze [60].
 
[51] LT und TA, 6.5.03; NZZ, 22.11.03.
[52] Presse vom 26.5.03. Für Rückblicke auf die Entwicklungsgeschichte der Grünen siehe Bund, 20.5.03; TA, 21.5.03; Presse vom 23.-24.5.03.
[53] NZZ, 24.9.03.
[54] NZZ, 18.1.03; Presse vom 20.1.03; vgl. SPJ 2002, S. 335.
[55] Presse vom 14.4.03.
[56] NZZ, 26.4.03.
[57] NZZ, 30.6.03.
[58] TA, 11.7.03.
[59] Presse vom 13.8. und 1.9.03.
[60] Presse vom 22.11.03; siehe auch oben, Teil I, 1c (Regierung).