Année politique Suisse 2003 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Arbeitsmarkt
Der Vergleich der Volkszählungen 1990 und 2000 ergab laut BFS, dass die Schweizer Erwerbsbevölkerung im letzten Jahrzehnt um 7,9% auf 3,95 Mio Personen anstieg. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (zwischen 15 und 64 Jahren) wuchs in der gleichen Zeitspanne jedoch nur halb so stark. Die deutliche Erhöhung der Zahl der erwerbstätigen Personen ist vorwiegend auf die Frauen zurückzuführen, von denen mittlerweile viele auch als Mütter einer Arbeit nachgehen. Ferner nahm das durchschnittliche Alter der Erwerbsbevölkerung von 38 auf 39,5 Jahre zu. Die Daten zeigten auch einen relevanten Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Erwerbsquote: 2000 lag die Erwerbsquote bei Frauen im erwerbsfähigen Alter ohne nachobligatorische Ausbildung bei 63%; bei Frauen mit Lehre oder Matura betrug sie 72% und bei jenen mit Hochschulabschluss 82%. Gemäss BFS zeigte sich dieser Zusammenhang erstmals auch bei Männern: Nur 86% der Männer ohne nachobligatorische Ausbildung waren 2000 erwerbstätig; bei Männern mit Lehr- oder Matura-Abschluss betrug die Quote 92,9%, und bei jenen mit abgeschlossenem Studium 96%. Bei der Erwerbsquote der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren lagen die Kantone Zürich und Bern mit 81,8 resp. 80,8% deutlich über dem schweizerischen Durchschnitt von 78,9% [7].
Die OECD führte eine Analyse zu den Beschäftigungsperspektiven älterer Arbeitnehmender in rund 20 Ländern durch, darunter auch in der Schweiz. Ziel war es, die Regierungen vermehrt für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, ältere Arbeitnehmende so lange wie möglich und unter möglichst guten Voraussetzungen im Erwerbsleben zu halten. Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung ist diese Frage – nicht zuletzt im Hinblick auf die Finanzierung der Sozialwerke – von erstrangiger Bedeutung. Für die Schweiz kam die OECD zum Schluss, dass trotz der im internationalen Vergleich hohen Arbeitsmarktpartizipation älterer Arbeitnehmender das Arbeitskräftemanagement für diese Alterskategorie (50 Jahre und älter) nicht optimal ist. Verbesserungsmöglichkeiten sah sie namentlich in der Koordination zwischen den verschiedenen Stellen, die für sozialpolitische und arbeitsmarktliche Belange zuständig sind, sowie bei der Koordination zwischen den Kantonen. Die OECD monierte, dass bei Entscheiden auf verschiedenen staatlichen Ebenen und in den einzelnen Sozialwerken den Auswirkungen auf die anderen Bereiche zu wenig Beachtung geschenkt wird. Sie betonte ausserdem, dass es künftig immer wichtiger werde, dass sich die Arbeitnehmenden permanent weiterbilden, damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt gewahrt bleiben. Die Empfehlungen der OECD erstreckten sich auch auf andere Bereiche. So müssten die Instrumente der Arbeitslosenversicherung, insbesondere bei regionalen Arbeitsvermittlungszentren, den Besonderheiten der älteren Arbeitslosen noch besser angepasst werden. Gemäss der OECD sollte ferner in der Lohnpolitik die altersbezogene Lohnbemessung vermehrt einer kompetenz- und produktivitätsbasierten Bewertung Platz machen, um auf dem Arbeitsmarkt eine grössere Flexibilität in der letzten Phase des Erwerbslebens zu erreichen [8].
Der Nationalrat nahm ein Postulat der liberalen Fraktion an, das den Bundesrat beauftragt, einen detaillierten Bericht zu erstellen über das Bedürfnis von über 65-jährigen, selbständig oder unselbständig erwerbenden Personen, auch über das 65. Altersjahr hinaus berufstätig zu sein; in dem Bericht soll auch die Haltung der Arbeitgeber zu diesem Thema untersucht werden [9].
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Arbeitslosigkeit
Die Wirtschaftsflaute schlug erneut massiv auf den Arbeitsmarkt durch. Ende Dezember waren 162 800 Personen beim Seco als arbeitslos registriert, 6200 mehr als einen Monat zuvor und 33 000 mehr als vor Jahresfrist, so viele wie seit März 1998 nicht mehr. Im Jahresdurchschnitt betrug die Arbeitslosenquote 3,7%. Die zweite Jahreshälfte zeigte jedoch eine markante Verlangsamung der monatlichen Zunahme der Arbeitslosigkeit gegenüber den entsprechenden Vorjahresmonaten. So betrug der monatliche Anstieg zwischen Juli und Dezember nur jeweils rund die Hälfte der entsprechenden Zunahme im Vorjahr. Nachdem noch im Februar ein deutlich stärkerer Anstieg als 2002 resultiert hatte, und auch in den Folgemonaten bis in den Juni hinein nur eine sehr geringe Abnahme der Arbeitslosigkeit stattgefunden hatte, wies der in der zweiten Jahreshälfte flachere Verlauf in der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen gemäss Seco auf eine sich abzeichnende Trendwende hin. Unter Ausschluss der Saisoneffekte sank die Zahl der Arbeitslosen in den Monaten November und Dezember sogar leicht. Die Kurzarbeit nahm ebenfalls zu. Betroffen waren 747 Betriebe (Vorjahr 494) mit 8934 (9128) Beschäftigten; 6 491 584 (515 475) Arbeitsstunden fielen aus.
Alle Wirtschaftssektoren wiesen einen Anstieg der Arbeitslosigkeit aus. Während in der Land- und Forstwirtschaft die Quote mit 1,0% (Vorjahr 0,7%) nach wie vor deutlich unter dem Landesmittel und im industriellen Sektor mit 3,9% (2,9%) nur leicht darüber lag, war der Dienstleistungsbereich mit 4,3% (2,9%) erneut am stärksten betroffen. Die höchste Quote wurde im Gastgewerbe registriert (9,4%), gefolgt von der Textil- und Schuhherstellungsindustrie (8,4 resp. 7,6%) und den Informatikberufen (6,3%). Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stieg innert Jahresfrist von 12 548 auf 23 200 Personen. Ihr Anteil an der gesamten Arbeitslosigkeit erhöhte sich damit von 12,5 auf 15,9%.
Auffällig waren nach wie vor die Unterschiede nach Nationalitäten und Regionen. Während bei den Schweizerinnen und Schweizern 2,8% der Personen im erwerbsfähigen Alter von Arbeitslosigkeit betroffen waren, belief sich die Quote bei den Ausländern auf 6,9%. Der Grund für diese Differenz liegt gemäss Seco nicht in Diskriminierung, sondern im Unterschied der Qualifikationen. Obwohl auch viele Spezialisten etwa bei Banken und Informatikfirmen ihre Stelle verloren, galt doch auch im Berichtsjahr die Grundtendenz der vergangenen Jahre: Je besser die Qualifikation, desto geringer ist die Gefahr der Arbeitslosigkeit. Die Westschweiz und das Tessin waren erneut stärker betroffen als die Deutschschweiz. Doch während in den Jahren 1999 und 2000 die Arbeitslosenquote in der romanischen Schweiz jeweils doppelt so hoch ausgefallen war wie in den deutschsprachigen Regionen, pendelte sie sich seither auf eine Differenz von 1,2 Prozentpunkten ein (3,4 vs. 4,6%). Erstmals ausgeglichen war die Verteilung der Arbeitslosigkeit nach Geschlecht (Frauen und Männer je 3,7%). Als besorgniserregend wurde der erneute starke Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit gewertet. Nach Jahren unterdurchschnittlicher (1999) resp. durchschnittlicher Quoten (2000/2001) hatte sie 2002 mit 3,0% bereits deutlich über dem Mittel von 2,5% gelegen; im Berichtsjahr weitete sich die Differenz gar auf einen ganzen Prozentpunkt (4,7%) aus [10].
Ende Mai beschloss der Bundesrat, die Entschädigungsdauer bei Kurzarbeit um sechs Monate auf anderthalb Jahre zu erhöhen. Auf den 1. Oktober senkte er zudem die Karenzfrist zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigung um einen Tag. Er berücksichtigte damit, dass die konjunkturelle Erholung nicht innert der gewünschten Zeit eingetreten war. Diese Möglichkeit wird ihm im Arbeitslosenversicherungsgesetz eingeräumt [11].
 
[7] Presse vom 7.6.03.
[8] Lit. Die Volkswirtschaft, 2003, Nr. 8. Zu den Gründen, die in der Schweiz zum frühzeitigen Rücktritt aus dem Erwerbsleben führen, siehe CHSS, 2003, S. 115-117 sowie unten, Teil I, 7c (AHV).
[9] AB NR, 2003, S. 1226. Siehe dazu auch eine Studie der Stiftung Avenir Suisse (NZZ, 20.2.03). Zum Umstand, dass Grossfirmen Altersarbeit nicht zu fördern gewillt sind, vgl. TA, 10.3.03. Vgl. auch unten, Teil I, 7c (AHV).
[10] Presse vom 9.1.2004; Die Volkswirtschaft, 2004, Nr. 7, S. 87 f.*. Vgl. SPJ 2002, S. 186. Zur Jugendarbeitslosigkeit siehe die Antwort des BR auf eine Anfrage im NR: AB NR, 2003, Beilagen V, S. 276 ff. Das Seco appellierte denn auch an die Unternehmen, vermehrt Praktikumsplätze für junge Stellensuchende zur Verfügung zu stellen, um ihnen erste Berufserfahrungen zu ermöglichen; 2002 finanzierte die ALV mit 7,4 Mio Fr. rund 800 Berufspraktika (Presse vom 8.8.03). Für die Arbeitskräfteerhebung des BFS (SAKE), welche aufgrund abweichender Datenerhebung etwas unterschiedliche Zahlen liefert, siehe Presse vom 31.10.03. Zu den Auswirkungen der Wirtschaftsflaute auf die Gesamtrechnung der ALV siehe unten, Teil I, 7c (Arbeitslosenversicherung).
[11] Presse vom 29.5. und 20.9.03. Siehe dazu auch ein vom NR überwiesenes Postulat Berberat (sp, NE) in AB NR, 2003, S. 1228 und Beilagen III, S. 373 f.