Année politique Suisse 2003 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Suchtmittel
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Tabak
Nach langem Seilziehen einigten sich die 192 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf eine Rahmenkonvention gegen das Rauchen, das erste internationale Abkommen überhaupt, das die WHO je ausgehandelt hat. Sie tritt in Kraft, wenn 40 Staaten sie ratifiziert haben. Gemäss der Konvention sollen Vertragsstaaten Werbung und Sponsoring verbieten oder zumindest erheblich einschränken, wenn ein Verbot mit ihrer Verfassung nicht zu vereinbaren ist. Der relativierende Zusatz war nötig, um verfassungsrechtliche Bedenken Deutschlands und der USA auszuräumen. Das Verbot gilt auch für grenzüberschreitende Werbung. Bezeichnungen wie „mild“ oder „light“, die verharmlosend wirken, sollen auf Zigarettenpackungen ganz verschwinden. Hinweise auf die Schädlichkeit des Rauchens müssen in Zukunft mindestens die halbe Oberfläche einer Schachtel einnehmen. Der Verkauf von Zigaretten an Minderjährige soll untersagt, die Besteuerung von Tabakwaren drastisch erhöht und der Schmuggel unterbunden werden [34].
Das erste Tabakmonitoring des BAG bestätigte die Vermutung, dass international verglichen die Schweizer viel rauchen. Knapp ein Drittel der 14- bis 65-Jährigen konsumiert täglich Tabak. Männer (37%) rauchen mehr als Frauen (29%). Bei den Jugendlichen ist dies nicht so ausgeprägt. Die Differenz zwischen jungen Frauen (27%) und jungen Männern (30%) wurde von der Studie als nicht relevant bezeichnet. Frauen rauchen zwar gesamthaft weniger, haben aber mehr Mühe, davon wegzukommen. In der Alterskategorie der über 35-Jährigen waren 39% der Männer, aber nur 20% der Frauen Exraucher und Exraucherinnen. Auch punkto Bildung, Region und Nichtraucher-Wunsch lieferte die Studie interessante Daten. Personen mit einer tieferen Schulbildung rauchen häufiger täglich (31%) als höher Ausgebildete (20%). In der Deutschschweiz gibt es – vor allem verglichen mit dem Tessin – signifikant weniger täglich Rauchende. Über die Hälfte der Tabakkonsumenten möchte von ihrer Abhängigkeit loskommen [35].
In der Frühjahrssession bereinigten die Räte die Differenzen beim Bundesgesetz über die Tabakbesteuerung. Umstritten war, ob dem Bundesrat die Ermächtigung zur Erhöhung der Steuersätze um bis 50% oder um bis 80% erteilt und ob aus den Mitteln der Tabaksteuer ein Präventionsfonds geschaffen werden soll. In der ersten Runde der Differenzbereinigung hielt der Nationalrat mit 95 zu 75 Stimmen an der Erhöhungskompetenz bis 80% fest, ebenso (mit 102 zu 65 Stimmen) an der Errichtung eines Präventionsfonds. Der Ständerat schloss sich bei der Erhöhungskompetenz dem Nationalrat an, beharrte aber, vorab aus verfassungsrechtlichen Bedenken, mit 22 zu 14 Stimmen auf seiner Ablehnung des Fonds. In der zweiten Runde bekräftigen beide Kammern mit praktisch dem gleichen Stimmenverhältnis (101 zu 64 resp. 18 zu 16 Stimmen) ihre Position. In der Einigungskonferenz obsiegte die Haltung des Nationalrates, worauf der Ständerat zustimmte, dass 2,6 Rappen pro Zigarettenpackung den Präventionsfonds alimentieren. Von dieser Abgabe werden jährlich rund 18 Mio Fr. erwartet. Die Organisation des Fonds obliegt dem BAG und dem BASPO gemeinsam [36].
Entgegen dem Antrag der vorberatenden Kommission wurde einer parlamentarischen Initiative Grobet (-, GE), die insbesondere ein Verbot der Tabakwerbung sowie Massnahmen für den Konsumentenschutz verlangte, mit 92 zu 85 Stimmen knapp keine Folge gegeben. Die von Gewerbeverbandsdirektor Triponez (fdp, BE) angeführten Gegner machten geltend, Werbeverbote würden Grundrechte verletzen [37].
Bezüglich einer Motion Sommaruga (sp, BE) für eine rauchfreie Wandelhalle vor dem Nationalratssaal beantragte das Büro dem Plenum zwar erfolgreich Umwandlung in ein Postulat, versprach aber gleichzeitig, die verlangte Massnahme umzusetzen [38].
 
[34] Presse vom 22.5.03; TA, 17.6.03. Für eine Einfache Anfrage Wyss (sp, BE) zum Beitritt der Schweiz zur Tabakrahmenkonvention der WHO vgl. AB NR, 2003, Beilagen IV, S. 269. Zur Vernehmlassung zur neuen Tabakverordnung, welche erste Elemente der Rahmenkonvention umsetzen will, siehe NZZ, 29.9.03; TA, 4.11.03.
[35] Presse vom 25.6.03. Für eine BAG-Umfrage zum Passivrauchen siehe NZZ, 29.10.03.
[36] AB NR, 2003, S. 187 ff., 370 ff., 455 und 519; AB SR, 2003, S. 230 ff., 292 f., 338 und 370. Siehe SPJ 2002, S. 203 f. Eine Motion Genner (gp, BL), welche den BR verpflichten wollte, bis 2005 eine Erhöhung des Preises des Zigarettenpäckchens um 80 Rp. vorzunehmen, wurde von Polla (lp, GE) bekämpft und die Beratung deshalb ausgesetzt (AB NR, 2003, S. 1724). Im Rahmen des Entlastungsprogramms hatte der BR vorgeschlagen, die Mittel des BAG in den Jahren 2004-2006 um 15 Mio Fr. zu beschneiden; auf Antrag der CVP, welche die Gelder lieber für die Bildung verwenden wollte, stimmte das Parlament einer weiteren Kürzung um 15 Mio Fr. zu; Hauptbetroffene wird das Programm zur Tabakprävention 2001-2005 sein: AB SR, 2003, S. 805; AB NR, 2003, S. 1634 ff.; WoZ, 11.9.03.
[37] AB NR, 2003, S. 2033 f. Eine Motion Wyss (sp, BE) zum Verbot der Tabakwerbung wurde von Scherer (svp, ZG) bekämpft und deshalb vorerst der Behandlung im NR entzogen (a.a.O., S. 501).
[38] AB NR, 2003, S. 2120.