Année politique Suisse 2003 : Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Das Parlament verabschiedete die 11. AHV-Revision. – Die 4. IV-Revision wurde abgeschlossen. – Die Räte stimmten der 1. BVG-Revision zu. – Die Volksinitiative der SP „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“ wurde an der Urne abgelehnt. – Die 2. KVG-Revision scheiterte definitiv im Nationalrat. – Der Ständerat sprach sich ebenfalls für die Einführung einer über die EO finanzierten Mutterschaftsversicherung aus.
 
Allgemeine Fragen
Im Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) erfolgten im Berichtsjahr gewichtige personelle Veränderungen. Am 1. Januar übernahm der Freisinnige Couchepin als neuer Vorsteher des Departements des Innern (EDI) die Verantwortung für dieses Amt. Kurze Zeit darauf gab BSV-Direktor Piller seinen Rücktritt per Ende Februar bekannt. Der Wechsel an der Spitze des BSV war nach der Rochade im Bundesrat allgemein erwartet worden. Pillers Nachfolge trat Yves Rossier an, bisher Direktor des Sekretariats der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK). Kurz nach seinem Amtsantritt liess Couchepin Vor- und Nachteile einer Eingliederung der Abteilung Kranken- und Unfallversicherung des BSV ins Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf die Frage hin prüfen, inwieweit sich mit dieser Umstrukturierung die Koordination der zentralen Fragen im Gesundheitsbereich innerhalb des EDI verbessern liesse. Auf seinen Antrag stimmte der Bundesrat im September dieser Abteilungsverlegung zu, die auf den 1.1.2004 effektiv wird [1].
Mit einer Motion wollte die FDP-Fraktion den Bundesrat beauftragen, im Hinblick auf die absehbaren finanziellen Mehrbelastungen für die Sozialwerke und die privaten und öffentlichen Haushalte den Bericht über die Entwicklung des finanziellen Mehrbedarfes aller Sozialversicherungen bis 2025 nachzuführen. Ihrer Ansicht nach erfordern die wichtigen zurzeit in parlamentarischer Bearbeitung stehenden Gesetzesvorhaben und -revisionen sowie die Schuldenbremse eine Gesamtschau im Sinne einer Aktualisierung der IDA-Fiso-1-Ergebnisse. Der Bundesrat erklärte, diese Aufdatierung erfolge laufend und werde den zuständigen Kommissionen jeweils umgehend kommuniziert. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss nur als Postulat verabschiedet [2].
Stillschweigend überwies der Nationalrat eine Motion der CVP-Fraktion, die den Bundesrat auffordert, in der Legislaturperiode 2003-2007 die rechtlichen Grundlagen anzupassen, damit Abrechnungen mit den einzelnen Sozialversicherungen in einem Schritt und nach einheitlichem Muster vollzogen werden können. Der elektronische Verkehr mit den Behörden sei zudem zu gewährleisten. Die CVP begründete ihren Vorstoss mit dem markant gestiegenen zeitlichen Aufwand, welchen vor allem kleinere Unternehmen für den Vollzug der Administrativlasten im Sozialversicherungsbereich leisten müssen. Eine Reduktion dieser Lasten würde die Standortattraktivität der Schweiz und die Konkurrenzfähigkeit der betreffenden Firmen erhöhen. Mit den neuen Informationstechnologien sei die Einrichtung eines "elektronischen Amtschalters" ein realistischer Schritt zu mehr Effizienz [3].
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Kostenentwicklung
Das seit 1998 beobachtete kontinuierliche Absinken der Sozialausgabenquote (Ausgaben für soziale Sicherheit im Verhältnis zum BIP) setzte sich 2001 und 2002 nicht weiter fort. Laut Schätzungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) betrugen die nominalen Gesamtausgaben für die soziale Sicherheit 2002 123,1 Mia und die Einnahmen 141,0 Mia Fr. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen die Ausgaben um 4,6% zu, während sich die Einnahmen um 0,1% verringerten. Die Differenz von 18 Milliarden Franken zwischen den Ausgaben und den Einnahmen ist grösstenteils auf das in der beruflichen Vorsorge angewandte Kapitaldeckungsverfahren zurückzuführen und darf somit nicht als Einnahmenüberschuss interpretiert werden. Die Sozialausgabenquote, die in den Jahren 1998-2000 bei rund 27% gelegen hatte, betrug 2001 etwa 27,8% und wird für 2002 auf 28,8% veranschlagt. Der grösste Teil der Sozialleistungen wird für die Altersvorsorge (43%) ausgegeben. Danach folgen Krankenpflege und Gesundheitsvorsorge (26%) sowie die Ausgaben für Invalidität [4].
Nach einem Defizit von 191 Mio Fr. im Vorjahr erzielte die AHV 2003 einen Überschuss von 1977 Mio Fr. Die IV wies dagegen ein von 1189 auf 1448 Mio erhöhtes Defizit aus. Bei der EO resultierte nach dem vorjährigen anlagebedingten Defizit von 30 Mio ein Überschuss von 229 Mio Fr. Die markante Verbesserung bei AHV und EO war darauf zurückzuführen, dass sich die Börse nach zwei schlechten Jahren wieder erholte. Der Ausgleichsfonds erreichte einen Anlageerfolg von 1517 Mio Fr., was einer Jahresperformance von 7,6% entspricht. Die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber, des Bundes und der Kantone, die Anteile der AHV an Steuern und die Einnahmen aus Regress brachten 40 510 Mio Fr. ein. Der Aufwand der drei Sozialwerke von 41 270 Mio Fr. war damit nicht ganz gedeckt. Für den Ausgleich des IV-Defizits mussten wiederum die positiven Umlageergebnisse von AHV und EO herangezogen und das Vermögen mit 760 Mio Fr. belastet werden. Ende 2003 wies die AHV ein Kapital von 25 040 Mio Fr. aus. Das entspricht 84% einer Jahresausgabe (Vorjahr 79%). Die EO verfügte noch über 2270 Mio Fr., nachdem 1500 Mio an die IV übertragen worden waren. Trotz der EO-Spritze blieb der Verlustvortrag der IV mit 4450 Mio Fr. praktisch unverändert. Das Vermögen des Ausgleichsfonds betrug 19 690 Mio Fr., d.h. knapp die Hälfte der Jahresausgabe 2003 der drei Sozialwerke [5].
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Ende 2000 hatte der Bundesrat dem EDI den Auftrag erteilt, gemeinsam mit dem EFD und dem EVD ein Forschungsprogramm zur längerfristigen Finanzierung der Altersvorsorge im Hinblick auf die 12. AHV-Revision durchzuführen und 2003 einen Synthesebericht vorzulegen. Die Arbeiten wurden durch die interdepartementale Arbeitsgruppe „IDA ForAlt“ geleitet. Sie untersuchten insbesondere die zentralen Faktoren, welche heute den Altersrücktritt bestimmen, welches mögliche Entwicklungen für die Zukunft sind, und welche Auswirkungen verschiedene Massnahmen in der AHV hätten. Bezüglich des vorzeitigen Altersrücktritts zeigten die Forschungsergebnisse deutlich dessen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation der betroffenen Person: Wer es sich leisten kann, scheidet früh aus dem Arbeitsprozess aus. Dabei spielen die überobligatorischen Leistungen der beruflichen Vorsorge und die Gesamtarbeitsverträge, welche je nach Branche die Möglichkeit der Frühpensionierung vorsehen, eine grosse Rolle. Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass der Frührücktritt nicht allein eine individuelle Entscheidung ist. Bei den Restrukturierungen der Unternehmen in den 90er Jahren wurden vielfach ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „freigestellt“, indem ihnen mit attraktiven Angeboten der Frührücktritt angeboten wurde.
Ermittelt wurde auch der demografisch bedingte finanzielle Mehrbedarf in der AHV. Wie die Untersuchungen zeigten, hängt dieser wesentlich von der weiteren demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung ab. Ein mittleres Szenario ging von einem Mehrbedarf von rund vier resp. fünf Mehrwertsteuerprozentpunkten bis 2025 bzw. bis ins Jahr 2040 aus, wobei bei einer genügend starken Erhöhung der Produktivität und einem entsprechenden Wirtschaftswachstum der finanzielle Mehrbedarf auch deutlich tiefer ausfallen könnte. Der Forschungsbericht untersuchte die Auswirkungen von drei Stossrichtungen möglicher Massnahmen und kam dabei zum Schluss, dass, wenn die Einnahmen zur Deckung des Mehrbedarfs erhöht werden müssen, die Mehrwertsteuer als Finanzierungsquelle volkswirtschaftlich am vorteilhaftesten abschneidet. Eine Erhöhung des Rentenalters um zwei Jahre würde den finanziellen Mehrbedarf bezogen auf das Jahr 2025 zwischen 30 und 40% reduzieren, wobei bei guter konjunktureller Lage ein längerer Verbleib der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Arbeitsprozess auch den Arbeitskräftemangel reduzieren könnte. Eine Anpassung der Renten aufgrund des Preis- anstatt des Mischindexes schliesslich würde die Finanzierungslücke bis 2025 um rund einen Drittel und bis 2040 um rund die Hälfte reduzieren, eine Anpassung allein aufgrund der Lohnentwicklung hingegen um ca. den Faktor 1,5 erhöhen [6].
Kaum im Amt als neuer Vorsteher des EDI legte Bundespräsident Couchepin seine Vorstellungen für die künftige Entwicklung der Altersvorsorge dar. Insbesondere sprach er sich dafür aus, mittelfristig das Rentenalter um ein oder zwei Jahre hinaufzusetzen. In einem Positionspapier, das er dem Gesamtbundesrat kurz vor seinem traditionellen Medienspaziergang auf die Petersinsel vorlegte, plädierte er für eine Erhöhung vorerst auf 66 (2015) und später auf 67 Jahre (2025). SP, Grüne und CVP wiesen diesen Vorschlag umgehend zurück; selbst die SVP, die 2000 sogar eine Erhöhung auf 68 Jahre verlangt hatte, äusserte sich – wenige Wochen vor den anstehenden eidgenössischen Wahlen – reserviert. Einzig die FDP hielt zu ihrem Bundesrat. Der Arbeitgeberverband unterstützte ebenfalls eine Erhöhung, wollte sich aber nicht auf ein starres Regelrentenalter festlegen, sondern verlangte eine Flexibilisierung nach oben [7].
Als gerüchteweise bekannt wurde, Bundesrat Villiger wolle im Bestreben um Einsparungen den Mischindex (Anpassung der Renten nicht nur an die Teuerung, sondern auch an die Lohnentwicklung) für die Berechnung der laufenden AHV-Renten zur Disposition stellen, winkten alle grossen Parteien mehr oder weniger entschieden ab. Die SP erklärte, der Mischindex sei für sie unantastbar. Die CVP meinte, fürs Sparen sei es sinnvoller, die Renten weniger häufig anzupassen, wie dies ja in der 11. AHV-Revision vorgesehen ist. Auch Politiker der FDP und sogar der SVP, welche in der Vergangenheit selber schon angeregt hatten, die Renten lediglich der Preisentwicklung anzupassen, sprachen sich nun dagegen aus. Im Vorfeld des Ausflugs auf die Petersinsel brachte Bundespräsident Couchepin das Thema in einer etwas anderen Form in die Diskussion. Seiner Ansicht nach sollte der Mischindex zur Berechnung der Ausgangsrente beibehalten, für die periodische Erhöhung der laufenden Renten hingegen abgeschafft werden [8].
Schliesslich begnügte sich der Bundesrat damit, dem Parlament im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 (EP 03) zu beantragen, den Mischindex einmalig (2006) auszusetzen, um damit rund 110 Mio Fr. einzusparen. Der SGB kündigte umgehend an, diesen Angriff auf die AHV-Renten, so er denn beschlossen würde, mit dem Referendum zu bekämpfen. Im Ständerat führte das Ansinnen des Bundesrates zu einem längeren Schlagabtausch. Leuenberger (sp, SO) warnte eindringlich davor, das EP 03 mit diesem „Pferdefuss“ zu belasten. Mit der Aussetzung des Mischindexes würde erstmals in der Geschichte der AHV eine Leistungsreduktion vorgenommen. Die negative politisch-psychologische Wirkung wäre weit grösser als der sparpolitische Nutzen. Unterstützt wurde er von David (cvp, SG), der betonte, beim Mischindex handle es sich um eine „zentrale Rahmenbedingung“ der AHV. Eine solche „Übung“, wie sie der Bundesrat und die Mehrheit der Kommission vorhätten, könne man nicht im Rahmen eines Sparprogramms durchziehen. Bundesrat Villiger argumentierte demgegenüber, dass es sich bei der Aussetzung um eine einmalige Massnahme handle, die von den Rentnerinnen und Rentnern durchaus verkraftet werden könne. Bei künftigen Revisionen seien Abstriche beim Mischindex und ein höheres Rentenalter die einzige Alternative zu zusätzlichen Mehrwertsteuerprozenten. Mit 23 gegen 16 Stimmen stimmte der Ständerat dem Antrag zu. Da in der Zwischenzeit die 11. AHV-Revision ohne soziale Abfederung des Rentenvorbezugs bereinigt worden war (siehe unten), verzichtete der Nationalrat auf das Aussetzen, überwies aber eine Motion der Spezialkommission Entlastungsprogramm, die den Bundesrat beauftragt, verschiedene Varianten zur Indexierung der AHV-Renten vorzulegen. Der Ständerat schloss sich dem Entscheid stillschweigend an; die Motion nahm er, primär aus formalrechtlichen Gründen, nur in der Postulatsform an [9].
Im Vorjahr hatte der Ständerat im Rahmen der 11. AHV-Revision beschlossen, dem Antrag des Bundesrates zur Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten von AHV und IV nur für den Bereich der IV zuzustimmen (1%), den Beschluss für die AHV (0,5% voraussichtlich 2008, 1% schätzungsweise 2012) aber aufzuschieben, bis der zusätzliche Finanzierungsbedarf tatsächlich ausgewiesen ist. Gleichzeitig hatte er sich einmal mehr dafür ausgesprochen, der Bundeskasse ihren Anteil am Ertrag des seit 1999 bestehenden Mehrwertsteuerprozents zugunsten der AHV (Demografieprozent) sowie an den neuen Prozentpunkten zu belassen. Neben allgemeinen Bundesmitteln und den zweckgebundenen Einnahmen aus der Tabak- und der Alkoholsteuer dient dieser Anteil dem Bund dazu, seinen Beitrag an die Kosten der AHV und der IV zu bezahlen, von deren jährlichen Ausgaben er 16,4% (AHV) resp. 37,5% (IV) übernimmt. Der Nationalrat hatte demgegenüber stets die Auffassung vertreten, der Ertrag aus den für die AHV und IV erhobenen Mehrwertsteuerprozenten sei vollumfänglich in den AHV-Fonds zu leiten [10].
Gegen einen freisinnigen Minderheitsantrag, der die Unterstützung der CVP und der LP fand, hielt der Nationalrat in der Frühjahrssession mit 105 zu 67 Stimmen an der Streichung des Bundesanteils fest. Mit 92 zu 86 Stimmen aus FDP, SVP und LP, welche sich gegen „Steuern auf Vorrat“ wehrten, folgte er auch dem Antrag der Kommission, auf den separaten Finanzierungsbeschluss des Ständerates zur IV nicht einzutreten und die Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV und die IV wieder im Paket der 11. AHV-Revision zusammenzuführen. Beim Ausmass der Erhöhung zu Gunsten der IV standen sich drei Varianten gegenüber: Die SP beantragte, Bundes- und Ständerat zu folgen und den Mehrwertsteuersatz für die IV um einen Prozentpunkt anzuheben, die Kommission sprach sich für 0,8% aus, und ein SVP/FDP-Antrag wollte nur 0,7%. Mit 114 zu 64 Stimmen setzte sich klar der Kommissionsantrag durch [11].
Entgegen einem Antrag Brunner (sp, GE) beharrte der Ständerat mit 39 zu 4 Stimmen aus Rücksicht auf die Bundesfinanzen darauf, dem Bund seinen Anteil am Ertrag des Demografieprozents und der neuen Mehrwertsteuerprozentpunkte zu belassen. Beim Ausmass der Erhöhung zu Gunsten der IV schloss sich die kleine Kammer mit 33 zu 9 Stimmen hingegen dem Nationalrat an. Vergeblich versuchte Brunner darauf aufmerksam zu machen, dass diese beiden Beschlüsse zueinander in Widerspruch stünden. 0,8% ohne Bundesanteil würden etwa 1% mit Bundesanteil entsprechen; bei 0,8% mit Bundesanteil sei eine Sanierung der IV praktisch ausgeschlossen. Mit ihrer Argumentation fand sie die Zustimmung ihrer Genfer Kollegin Saudan (fdp) sowie von Bundespräsident Couchepin. Der Kommissionssprecher begründete den Antrag auf 0,8% mit dem politischen Druck, der auf den Bundesrat, das BSV, die kantonalen IV-Stellen und die zuständige ärztliche Kommission ausgeübt werden soll, mit der Gewährung von neuen Invalidenrenten zurückhaltend zu sein. Bei der Zusatzfinanzierung der AHV bot der Ständerat Hand zu einem Kompromiss: er verzichtete stillschweigend darauf, den Finanzierungsbeschluss aufzusplitten, doch wollte er lediglich eine erste Erhöhung um 0,5% vornehmen [12].
In der Maisession bekräftige der Nationalrat mit 95 zu 59 Stimmen noch einmal seinen Beschluss bezüglich Streichung des Bundesanteils. In der Diskussion um das Ausmass der Anhebung der Steuersätze zu Gunsten der AHV wollte sich eine Minderheit I (Triponez, fdp, BE) dem Ständerat anschliessen, eine Minderheit II (Zäch, cvp. AG) hingegen dem Antrag des Bundesrates auf 1,5 Prozentpunkte folgen. Schliesslich setzte sich mit 90 zu 75 resp. 101 zu 64 Stimmen der Antrag der Kommission auf eine Erhöhung um einen Prozentpunkt durch [13]. Der Ständerat folgte der grossen Kammer bei der Erhöhung, unterstrich aber, dass er nach seinem Entgegenkommen erwarte, dass der Bundesrat den neuen Mehrwertsteuersatz frühestens 2010 in Kraft setze. Beim Bundesanteil blieb er hingegen hart. Auch in der dritten Runde fand keine Annäherung der Standpunkte statt. Die Einigungskonferenz übernahm den Beschluss des Ständerates, dem schliesslich auch SP und GP, bis anhin Gegnerinnen des Bundesanteils, zustimmten, um ein Scheitern der Mehrwertsteuervorlage zu vermeiden. Mit Ausnahme einer starken Mehrheit der SVP stimmten alle Parteien zu. Da es sich bei Mehrwertsteueranpassungen um Verfassungsänderungen handelt, untersteht dieser Finanzierungsbeschluss dem obligatorischen Referendum [14].
Der seit Jahren andauernde Streit um die Bundesanteile führte unter anderem dazu, dass der Bundesrat eine im Anschluss an die Beratung der 11. AHV-Revision eingereichte und gleichentags angenommene Motion der SGK des Ständerates umsetzte, bevor sich der Nationalrat dazu äussern konnte. Mit der Motion wurde die Regierung ersucht, bei der 12. AHV-Revision eine transparente Finanzierung der AHV vorzuschlagen, in der die sämtlichen für die AHV erhobenen Mehrwertsteuerprozente direkt in den AHV-Fonds fliessen und die Beiträge aus der Bundeskasse entsprechend nach unten angepasst werden. Im November beauftragte der Bundesrat – ohne darüber öffentlich zu informieren – das BSV und die Finanzverwaltung mit den Vorarbeiten für eine Herauslösung von AHV und IV aus dem Bundeshaushalt. Er entschied zudem, dieses Vorhaben nicht in die 12. AHV-Revision einzubauen, sondern zeitlich vorzuziehen. Von dieser Entflechtung erhofft sich der Bundesrat neben mehr Transparenz auch eine Erhöhung des Spardrucks auf die beiden Sozialwerke, die nicht mehr auf automatisch steigende Bundesbeiträge zählen könnten [15].
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11. AHV-Revision
In der Maisession hielt der Nationalrat vorerst an seinen 2001 gefällten Beschlüssen zur inhaltlichen Revision der AHV fest [16], allerdings mit bedeutend knapperen Mehrheiten als zwei Jahre zuvor. Während sich in der ersten Runde der Beratungen das vom Bundesrat vorgeschlagene Modell der Frühpensionierung für Personen mit niedrigem Einkommen, das zu Mehrkosten (resp. zu geringeren Einsparungen) von 400 Mio Fr. geführt hätte, nur mit Stichentscheid des Präsidenten gegen einen grosszügigeren Antrag auf 800 Mio Fr. hatte durchsetzen können, votierten jetzt nur noch 90 Abgeordnete für die zweckgebundene Verwendung der durch die Heraufsetzung des Frauenrentenalters eingesparten 400 Mio, während 83 dem Ständerat folgen wollten, der sich gegen jede soziale Abfederung des Rentenvorbezugs ausgesprochen hatte. Für die 400 Mio Fr. stimmten die geschlossenen Fraktionen der SP und der Grünen, eine Mehrheit der CVP und eine Hand voll Bauernvertreter aus der SVP. Auch bei der Witwenrente schwenkte der Nationalrat mit 91 zu 73 Stimmen – wieder Linke, Grüne und diesmal fast die ganze CVP gegen FDP und SVP – nicht auf den harten Sparkurs des Ständerates ein, der die Witwenrente für Frauen mit Kindern auf 60% einer vollen Rente hatte kürzen wollen, unter gleichzeitiger Anhebung der Waisenrenten von 40 auf 60% [17].
Im Ständerat wehrten sich die beiden Sozialdemokraten Brunner (GE) und Studer (NE) vergeblich für die sozialverträgliche Ausgestaltung des vorgezogenen Rentenbezugs. Sie wurden von Beerli (fdp, BE) unterstützt, die erklärte, wer behaupte, die 400 Mio würden ohne nennenswerten Nutzen für die Rentnerinnen und Rentner verpuffen, der argumentiere zynisch. Für Leute mit einer kleinen Rente seien 100 Fr. mehr oder weniger im Monat nicht nichts. Die Mehrheit hielt dem entgegen, es seien nicht die Leute mit den geringsten Einkommen, die am meisten profitieren würden, sondern der untere Mittelstand. Reduzierte Kürzungssätze wären das Eingangstor zur allgemeinen Frühpensionierung. Mit 29 zu 9 Stimmen wurde die soziale Abfederung noch deutlicher abgelehnt als im Vorjahr. Die Verschärfung bei der Witwenrente hatte hingegen einen schwereren Stand als 2002, wurde mit 21 zu 18 Stimmen aber dennoch angenommen [18].
In der Spezialkommission des Nationalrats, welche das EP 03 vorzuberaten hatte, brachte Blocher (svp, ZH) einen Antrag durch, der die SP und die CVP unter Druck setzte. Seine Formel lautete: entweder Verzicht auf die soziale Abfederung des Rentenvorbezugs oder Streichung des Mischindexes im Jahr 2006 (siehe oben, AHV). Beides sei nicht zu haben. Daraufhin schlug Dormann (cvp, LU) einen Mittelweg vor, damit die 11. AHV-Revision nicht allein den Frauen die Last der Sparopfer aufbürde. Im Gegenzug zur Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre und der Verschlechterung bei der Witwenrente sollten für die Frauen der Jahrgänge 1948 bis 1957 bei einem Vorbezug von bis zu zwei Jahren die Renten nur zur Hälfte gekürzt werden. Mit 107 zu 71 Stimmen wurde dieser Antrag vom Rat angenommen. Bei der Witwenrente setzte sich mit 90 zu 78 Stimmen ein Minderheitsantrag Egerszegi (fdp, AG) durch, beim Status quo zu bleiben, d.h. allen Witwen mit Kindern bis zum Erreichen des Pensionsalters eine 80%-ige Witwenrente auszubezahlen. Egerszegi machte geltend, gerade in ländlichen Gebieten hätten Frauen mit mehreren Kindern kaum die Gelegenheit, nach der Familienpause wieder Tritt im Erwerbsleben zu finden, weshalb sie oft von der Witwenrente allein leben müssten [19].
Der Ständerat beharrte aber auf seinen Beschlüssen. Der CVP-Vorschlag für die Frauenrenten wurde als unbrauchbar erachtet, weil er mangels Definition einer oberen Einkommenslimite nach dem Giesskannen-Prinzip funktioniere. Gegen eine Schonung der Witwen machte Beerli (fdp, BE) geltend, dank der langen Übergangsfrist von 17 Jahren, in denen die Rente schrittweise an das neue Modell herangeführt würde, seien die heutigen älteren Witwen gar nicht betroffen. Die Einigungskonferenz übernahm im Wesentlichen die Positionen des Ständerates. Einzig beim Rentenvorbezug der Frauen machte er eine Geste in Richtung der grossen Kammer: während fünf Jahren nach Inkrafttreten der Revision können Frauen der Jahrgänge 1948 bis 1952 die Rente um ein Jahr mit dem halben Kürzungssatz vorbeziehen [20].
Vor der Zustimmung zum Ergebnis der Einigungskonferenz machten im Nationalrat Gewerkschaftsvertreter aus der SP, der GP und der CVP ihrem Ärger über die Bilanz dieser Revision Luft, die sie als reinen Sozialabbau resp. als Nichteinhalten des Versprechens auf eine echte Flexibilisierungsvorlage anprangerten. In der Schlussabstimmung wurde die 11. AHV-Revision von der grossen Kammer mit 109 zu 73 Stimmen angenommen. SP und Grüne stimmten dagegen, ebenso eine kleine Minderheit der CVP. Der Ständerat hiess die Vorlage mit 34 zu 9 Stimmen gut [21].
An ihrer Delegiertenversammlung von Anfang Oktober beschloss die SP geschlossen, das Referendum gegen die 11. AHV-Revision zu ergreifen. Begründet wurde dieser Entscheid zwar auch mit der Erhöhung des Rentenalters der Frauen und den Abstrichen bei der Witwenrente, wodurch die Frauen gleich doppelt zur Kasse gebeten würden. Im Zentrum stand aber der Verzicht der bürgerlichen Parlamentsmehrheit auf eine soziale Abfederung des flexiblen Rentenalters. In einer koordinierten Aktion machte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zwischen dem 20. und dem 22. November an 200 Standorten für das Referendum gegen die 11. AHV-Revision mobil. In 48 Stunden kam die Rekordzahl von über 80 000 Unterschriften zusammen. Da auch weitere Organisationen (SP, GP, Travail.Suisse) zur Sammlung beitrugen, kam das Referendum mit 152 031 Unterschriften zustande [22].
Im Anschluss an die Beratungen reichte Nationalrat Studer (evp, AG) eine Motion ein, welche verlangte, in die nächste AHV-Revision sei eine sozial abgefederte Flexibilisierung des Rentenalters für tiefere Einkommen wieder aufzunehmen. Zudem sei zu prüfen, ob die AHV-Rente bereits nach einer zu bestimmenden Zahl von Beitragsjahren bezogen werden kann. Der Bundesrat erklärte, er wolle sich im jetzigen Zeitpunkt nicht festlegen, er werde aber ganz unterschiedliche Modelle verfolgen, weshalb er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat beantragte [23].
 
Invalidenversicherung (IV)
In der Frühjahrssession konnten die Beratungen der 4. IV-Revision abgeschlossen werden. Die gewichtigste noch bestehende Differenz zwischen National- und Ständerat betraf die Form und Ausgestaltung der Geschäftsprüfung der IV-Stellen. Der Nationalrat hatte die Prüfung externen Organen übertragen wollen, während der Ständerat die Notwendigkeit betont hatte, dass die materielle Prüfung beim BSV bleiben müsse. Nachdem der Nationalrat in der Differenzbereinigung an seiner Auffassung festgehalten hatte, schlug der Ständerat eine Kompromisslösung vor: Die Überprüfung des Leistungsanspruchs, d.h. die Bemessung der Invalidität und des Assistenzbedarfs wird weiter vom BSV vorgenommen, die Rechnungsprüfung hingegen durch private, spezialisierte Treuhandgesellschaften. Diesem Mittelweg konnte die grosse Kammer folgen. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage im Nationalrat mit 178 zu 5 Stimmen und im Ständerat oppositionslos [24].
Im Rahmen der Beratungen der 4. IV-Revision hatte der Ständerat im Vorjahr eine Motion seiner SGK angenommen, welche den Bundesrat beauftragte, dem Parlament 2006 eine neue Revisionsvorlage zu unterbreiten, wenn bis dahin die eingeleiteten Massnahmen nicht zu einem Rückgang der Invalidisierungsquote führen. Da er den Auftrag als zu kurzfristig erachtete – die 4. IV-Revision tritt frühestens auf den 1.1.2004 in Kraft –, verlängerte der Nationalrat mit einer Motion seiner SGK die Frist stillschweigend bis 2008 und lehnte sinngemäss (wenn auch knapp mit 73 zu 67 Stimmen) den ständerätlichen Vorstoss ab. Da sie dringenden Handlungsbedarf ausmachte, beantragte die SGK des Ständerates erfolgreich, diese zweite Motion abzulehnen. Weil der Bundesrat ohnehin für 2005 die 5. IV-Revision in Aussicht stellte, verzichtete die Kommission aber darauf, ihre ursprüngliche Motion wieder aufzunehmen [25].
In der Wintersession überwies der Ständerat mit 21 zu 10 Stimmen eine Motion seiner SGK, welche eine Trennung des IV- vom AHV-Fonds verlangt. Damit soll die IV-Rechnung transparent gemacht und eine Grundlage gelegt werden, um die heutige Verschuldung der IV zulasten des AHV-Ausgleichsfonds zu beseitigen. Der Bundesrat war nicht grundsätzlich gegen eine Ausscheidung, stellte aber die Frage, wie denn ein Fonds mit einem Defizit von 5,5 Mia Fr. verselbständigt werden könne. Der AHV-/IV-Fonds müsse zuerst saniert werden. Um vor einer definitiven Weichenstellung die Fragen vertiefter prüfen zu können, beantragte er erfolglos Umwandlung in ein Postulat [26].
Stillschweigend gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Suter (fdp, BE) Folge, die verlangte, bei der Berechnung des Rentenanspruchs einer Person, die vor Eintritt der Invalidität nur teilzeitlich erwerbstätig war, sei von einem vollen Arbeitspensum auszugehen. Suter wollte damit vor allem Frauen besser stellen, die neben einer Teilzeitstelle unentgeltlich im Betrieb des Ehemannes mitarbeiten [27].
 
Ergänzungsleistungen
Ausgehend von der Feststellung, dass zwischen einem Drittel und einem Viertel aller potenziellen Anspruchsberechtigten keinen Antrag auf EL stellen, was vielfach auf mangelnder Information beruht, überwies der Nationalrat eine Motion der SGK, die den Bundesrat verpflichtet, die Massnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die von den Kantonen im Rahmen des ELG verwendeten Informationssysteme zu harmonisieren. Gleichzeitig verabschiedete der Rat ein Postulat der SGK, das die Regierung ersucht, innert zwei Jahren einen Bericht erstellen zu lassen, welcher die Form und Wirkung der Information in den Kantonen beleuchtet [28].
 
Erwerbsersatzordnung
Im Rahmen der Revision des Erwerbsersatzgesetzes, mit der – ausgehend von einer vom Nationalrat angenommen parlamentarischen Initiative – ein Mutterschaftstaggeld von 80% des vor der Niederkunft erzielten Erwerbseinkommens eingeführt werden soll (siehe unten, Mutterschaftsversicherung), wurden im Gegenzug auch die Taggelder der Dienstleistenden im Militär- und Zivildienst von 65 auf 80% des entgehenden Lohnes (bis zur Höhe des maximal versicherbaren Salärs) angehoben, womit eine Gleichstellung beim Erwerbsausfall und eine Harmonisierung mit den Taggeldern der Unfallversicherung und der IV erreicht wurde. Da der Bundesrat in der Zwischenzeit in Ausführung einer als Postulat überwiesenen Motion des Nationalrats vorgeschlagen hatte, die Rekrutenentschädigung mit der Einführung von „Armee XXI“ von 20 auf 25% des Höchstbetrages der Gesamtentschädigung zu erhöhen, beantragte die Kommission erfolgreich, den bundesrätlichen Entwurf nicht separat zu behandeln, sondern direkt in diese Revision einzubeziehen. Diesem Entscheid schloss sich der Nationalrat stillschweigend an und übernahm auch diskussionslos die vorgeschlagenen Erhöhungssätze [29].
 
Berufliche Vorsorge
Ende Januar beschloss der Bundesrat ein umfassendes Arbeitsprogramm zur Analyse und Behebung von Schwachstellen sowie zur Umsetzung der vom Parlament eingeleiteten Massnahmen im Bereich der beruflichen Vorsorge. Seine Agenda „Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge“ umfasst drei Schwerpunkte: Systemfragen, finanzielle Stabilität und Umsetzung der 1. BVG-Revision. Im Juli setzte das EDI zwei Expertenkommissionen für die Überprüfung von Systemfragen ein. Die Kommission „Rechtsformen der Vorsorgeeinrichtungen“ erhielt den Auftrag, Vorschläge für eine neue Rechtsform von Vorsorgeeinrichtungen zu erarbeiten, um den Zielsetzungen des BVG besser gerecht zu werden. Die Kommission „Optimierung der Aufsicht“ wurde mit der Überprüfung der heutigen Aufsichtsinstrumente und -strukturen betraut [30].
Im September leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge zu. Da sich zu diesem Zeitpunkt die finanzielle Lage vieler Pensionskassen bereits leicht entspannt hatte, beantragte er nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, die Gesetzesänderungen im beschleunigten Verfahren zu behandeln. Um den Handlungsspielraum der Vorsorgeeinrichtungen mit Deckungslücken vor allem im obligatorischen Bereich zeitlich und materiell zu erweitern, soll vom gesetzlichen Erfordernis der jederzeitigen 100-prozentigen Deckung sämtlicher Verpflichtungen unter gewissen Bedingungen abgewichen werden können und der Katalog von Massnahmen, die zur Behebung einer Unterdeckung ergriffen werden können, erweitert werden. Die Einführung dieser zusätzlichen Massnahmen soll wie bisher im Entscheidungs- und Verantwortungsbereich der Vorsorgeeinrichtungen liegen und deren Kompetenz zur freien Gestaltung der Finanzierung ihrer Leistungen nicht einschränken. Der Massnahmenkatalog sieht insbesondere folgende Möglichkeiten vor, die alle auf den Zeitraum der Unterdeckung beschränkt sind: Erhebung zusätzlicher Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge, Verzinsung der Altersguthaben unter dem gesetzlichen Minimum und Erhebung eines Beitrags von den Rentnerinnen und Rentnern unter Verrechnung mit den laufenden Renten [31].
Der Ständerat genehmigte in der Wintersession die vorgeschlagenen Sanierungsmassnahmen ohne grosse Diskussionen einstimmig. Er schränkte aber die Kompetenz zur Erhebung von Sanierungsbeiträgen bei den Rentnerinnen und Rentnern etwas ein. Seiner Auffassung nach dürfen sie nur auf jenem Teil der Renten erhoben werden, der in den letzten zehn Jahren durch Verbesserungen entstanden ist, die über die gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen hinausgehen; Leistungsverbesserungen, die mehr als zehn Jahre zurückliegen, sollen nicht zu Abzügen führen dürfen. Zwei Minderheitsanträge aus der SP (Brunner, GE und Studer, NE), gänzlich auf das „Rentneropfer“ zu verzichten, wurden mit 30 gegen 9 Stimmen klar verworfen. Gegen den Willen des Bundesrates, der Umwandlung in ein Postulat beantragte, überwies die kleine Kammer anschliessend eine Motion ihrer SGK, die vom Bundesrat einen Gesetzesentwurf zu Sanierungsmassnahmen auch bei den öffentlichen Kassen verlangt [32].
Der Bundesrat entschied im September, den Mindestzinssatz in der beruflichen Vorsorge per 1. Januar 2004 von 3,25 auf 2,25% zu senken. Dieser gilt nur für den obligatorischen Teil und nur für Kassen, die nach dem Beitragsprimat funktionieren. Die BVG-Kommission hatte im Mai 2% vorgeschlagen. Die Arbeitgeber befürworteten einen Mindestzinssatz von maximal 2%, während die Gewerkschaften 3% für angemessen erachteten. Angesichts der leichten Erholung der Finanzmärkte während der Sommermonate verzichtete der Bundesrat darauf, die Empfehlung der BVG-Kommission zu übernehmen. Den Zinssatz von 2,25% bezeichnete er als vorsichtig und als Beitrag zur Entlastung der Pensionskassen. Wegen der Schwankungen auf dem Kapitalmarkt beschloss er, ab dem kommenden Jahr bis auf Weiteres eine jährliche Überprüfung des Mindestzinssatzes vorzunehmen [33].
Noch bevor sich der Bundesrat zum Mindestzinssatz geäussert hatte, prellte die Winterthur-Versicherung, einer der grössten Versicherer im Bereich der Sammelstiftungen, im Juni mit einem vom BSV und dem Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) bereits abgesegneten neuen Modell vor, das eine gewisse Teilautonomie der ihr angeschlossenen Pensionskassen vorsieht, bei dem die Risiken vermehrt auf die Kunden abgeschoben werden. Ab 2004 garantiert die Winterthur sowohl im obligatorischen wie im überobligatorischen Bereich nur noch einen Zins von 2% (Garantieprämie). Sind die Erträge höher, sollen sie an die Sammelstiftungen weitergegeben werden. Fallen sie jedoch tiefer aus, müssen die Vorsorgeeinrichtungen selber einspringen, beispielsweise durch eine Erhöhung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge. Im überobligatorischen Bereich wird der bis zum Inkrafttreten der 1. BVG-Revision geltende Umwandlungssatz (Prozentsatz, mit dem bei der Pensionierung das Vorsorgekapital in die jährliche Rente umgewandelt wird) von 7,2% auf 5,835% für Männer und 5,454% für Frauen gesenkt, also deutlich unter die vom Parlament zur Kompensation der Längerlebigkeit beschlossenen 6,8%. Zwei Tage später kündigte die Zürich sämtliche Ende Jahr auslaufenden BVG-Verträge; den Gekündigten bot sie neue Versicherungsverträge an, welche mit Ausnahme des Umwandlungssatzes im Überobligatorium, bei dem für Männer und Frauen 5,8% gelten, praktisch identisch waren mit dem Winterthur-Modell. Gleichzeitig beantragte sie beim BPV eine massive Anhebung der Prämien zur Absicherung des Invaliditätsrisikos sowie den Übergang zur Garantieprämie. Diese wurden der Rentenanstalt/Swiss Life vom BPV für den überobligatorischen Teil, nicht aber fürs Obligatorium bewilligt. Im Laufe des Juli reichten weitere Versicherungsgesellschaften (Genfer, Patria) ähnliche Genehmigungsgesuche ein, denen vom BPV teilweise stattgegeben wurde [34].
Die Gewerkschaften protestierten umgehend gegen das Winterthur-Modell. Damit trage die Versicherungsgesellschaft kein Risiko mehr, sondern schöpfe nur noch allfällige Gewinne ab. Sämtliche Kosten und das Risiko würden dagegen auf die Versicherten abgewälzt. Sie rechneten vor, dass die Senkung des Umwandlungssatzes im überobligatorischen Bereich für die Frauen zu lebenslänglichen Renteneinbussen von 24% und für die Männer von 19% führen würden. Arbeitgeberverband und Gewerbeverband signalisierten hingegen Sympathien für das neue Modell, welches den Realitäten Rechnung trage. Aber auch unter den bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern der für das BVG verantwortlichen Kommissionen (SGK) regte sich Unmut über das undurchsichtige Vorgehen der Versicherer, und es wurde die Vermutung geäussert, die Versicherungsgesellschaften wollten noch rasch vor Inkraftsetzung der 1. BVG-Revision (siehe unten) deren Bestimmungen zu Transparenz und paritätischer Mitwirkung unterlaufen. Kritik wurde auch an der raschen Genehmigung durch BSV und BPV laut. Nachdem die SGK des Nationalrats an ihrer Juli-Sitzung die beiden involvierten Bundesämter mit einem umfassenden Fragenkatalog eingedeckt hatte, befasste sich die SGK des Ständerates in ihrer Augustsitzung mit dem Ansinnen der Versicherungsgesellschaften. Sie befand zwar, dass der in der 1. BVG-Revision festgeschriebene Umwandlungssatz von 6,8% zu hoch sei, wollte den „Schock in der Öffentlichkeit“, der die Gefahr einer Rezession erhöhe, indessen vermeiden, weshalb sie das Bundesamt für Justiz beauftragte, eine Sistierung der Genehmigung zu überprüfen; im September befand sie dann aber, die Genehmigung sei rechtens gewesen, und sie stellte ihre Opposition ein. Die SGK-NR reichte dagegen mit 15 gegen 9 Stimmen ein Postulat ein, das den Bundesrat auffordert, auf die Genehmigung des Modells der Winterthur zurückzukommen [35].
Ende September nahm der Bundesrat Stellung. Er weigerte sich, die Genehmigung rückgängig zu machen. Die Entkoppelung von Vorsorge- und Versicherungsverhältnis respektiere die gesetzlichen Vorschriften, weshalb sie zu Recht vom BSV bewilligt worden sei. Auch die drastische Kürzung des Umwandlungssatzes im überobligatorischen Bereich habe vom BPV genehmigt werden müssen. Denn massgebend sei einzig, dass die Tarife weder die Solvenz der Versicherer gefährdeten, noch missbräuchlich seien. Hingegen sehe das Gesetz nicht vor, dass die „soziale Angemessenheit“ eines solchen Modells bewertet werde. Der Bundesrat habe ursprünglich eine derartige Überprüfung im BVG vorgeschlagen, sei aber im Parlament damit gescheitert [36].
Da das BPV trotz persönlichem Vorsprechen von Abgeordneten deren Ansicht nach nur unzureichende Unterlagen vorlegte, gründeten Parlamentarierinnen und Parlamentarier die „Schutzgemeinschaft für KMU und ihre Versicherten“. Unter dem Präsidium von Nationalrat Ineichen (fdp, LU) und dem Vizepräsidium von Nationalrat und SGK-NR-Präsident Bortoluzzi (svp, ZH) gehörten ihr als weitere Mitglieder die Nationalrätinnen Egerszegi (fdp, AG) und Fetz (sp, BS), Nationalrat Rechsteiner (sp, BS) sowie Ständerat und SGK-SR-Präsident Frick (cvp, SZ) an. Die Gründung der Vereinigung war nötig im Hinblick auf eine allfällige Beschwerde, mit der die Offenlegung weiterer Unterlagen erreicht werden sollte. Unterstützung fand sie beim Präsidenten des Gewerbeverbands. Aber auch der Präsident des Arbeitgeberverbandes, grundsätzlich ein Befürworter der Senkung des Umwandlungssatzes auf unter 6,8%, befand, eine derartige Massnahme könne nicht schockartig ergriffen werden, sondern müsse über Jahre erfolgen. Die Gewerkschaften beschlossen ebenfalls eine Beschwerde. Beide Rekurse wurde Mitte September eingereicht. Insgesamt gingen 29 Begehren um aufschiebende Wirkung ein, die Ende Jahr von der zuständigen Eidgenössischen Rekurskommission abgelehnt wurden [37].
Der Ständerat behandelte in der Herbstsession im Nachgang an diese Diskussionen eine Motion seiner SGK, die umgehend mit einer weiteren Revision der beruflichen Vorsorge den Umwandlungssatz den realen Verhältnissen anpassen wollte. Im Plenum war umstritten, ob der Umwandlungssatz im obligatorischen Bereich wirklich mit jenem im überobligatorischen Bereich übereinstimmen solle, wie dies bisher praktiziert wurde. Einig war sich der Rat nur, dass der Umwandlungssatz auf seine technischen Grundlagen überprüft und soweit erforderlich den realen Voraussetzungen angeglichen werden soll. Einzig diesen Teil des Vorstosses überwies er mit 24 zu 1 Stimmen. Die restlichen Forderungen der Motion lehnte er ab. In der Diskussion standen sich die Vertreter der Versicherungsbranche (Merz, fdp, AR, Verwaltungsratspräsident der Patria; Spoerry, fdp, ZH, ehemalige Verwaltungsrätin der CS Group, zu der die Winterthur gehört) und jene der KMU (Jenny, svp, GL; Forster, fdp, SG) gegenüber [38].
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BVG-Revision
Nicht nur beim AHV-Gesetz, sondern auch bei der BVG-Revision widersetzte sich der Nationalrat dem Ständerat und hielt an seinem Bestreben fest, die Situation der Personen mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Er bekräftigte seinen Willen, tiefen Löhnen den Zugang zur 2. Säule zu erleichtern; davon betroffen sind v.a. Frauen und Teilzeitbeschäftigte. Die Kommission hatte grundsätzlich am Beschluss des Vorjahres festhalten wollen, die Eintrittsschwelle sofort auf 18 990 Fr. zu senken, hatte aber, um die Erhöhung der Altersgutschriften für ältere Arbeitnehmer zu vermeiden, auf ihre ursprüngliche Idee eines flexiblen, lohnabhängigen Koordinationsabzuges verzichtet. Gegen diese Auffassung setzte sich mit 91 zu 71 Stimmen ein Antrag Rechsteiner (sp, BS) durch, der die Unterstützung der SVP fand, die sich von der Wirtschaftsverträglichkeit des neuen Modells überzeugen liess. Demnach sollte, unter Beibehaltung des flexiblen Koordinationsabzugs, die heutige Eintrittsschwelle von 25 320 Fr. so lange eingefroren werden, bis der Indexstand (Lohnentwicklung und Teuerung) so weit angehoben ist, dass dieser Betrag real drei Viertel einer maximalen AHV-Rente (heute 18 990 Fr.) entspricht. So wären kleine Einkommen während einer Dauer von 10 bis 20 Jahren schrittweise ins BVG „hineingewachsen“. Als Hauptargumente für seine Lösung nannte Rechsteiner die vorderhand ausbleibende Belastung der Wirtschaft sowie einen höheren Nutzen für die Versicherten. Im Namen der FDP warnte Triponez (BE) dagegen vor weiteren Leistungsverbesserungen; sein Antrag, beim Status quo zu bleiben, wurde mit 92 zu 70 Stimmen abgelehnt [39].
Entgegen seinen Beschlüssen des Vorjahres trat der Ständerat auf das Absenken der Eintrittsschwelle ein. Das Zeichen zum Rückzug gab Beerli (fdp, BE). Nachdem sie in der ersten Lesung noch vehement dagegen referiert hatte, befürwortete sie den Wechsel nun mit einer neuen Begründung: Das von beiden Räten bereits beschlossene Absenken des Umwandlungssatzes von 7,2 auf 6,8% bringe ohne flankierende Massnahmen eine Rentenkürzung von rund 6%; eine sofortige Senkung der Eintrittsschwelle führe faktisch zu einer Beitragserhöhung der bereits Versicherten, weshalb deren Renten gehalten werden könnten. Gegen eine Senkung sprachen sich die Vertreter der SVP sowie Forster (fdp, SG) aus. Ihr Antrag auf Beibehaltung geltenden Rechts wurde mit 25 zu 7 Stimmen abgelehnt. Das Modell Rechsteiner wurde als in späteren Jahren für die Wirtschaft zu belastend sowie durch die Beibehaltung des flexiblen Koordinationsabzugs als für die älteren Arbeitnehmer als zu ungünstig für deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt erachtet, weshalb der Ständerat dem im Nationalrat unterlegenen neuen Modell der Kommission (sofortige Senkung der Eintrittsschwelle auf 18 990 Fr.) zustimmte, worauf sich die grosse Kammer diesem Beschluss anschloss. Als auch noch eine geringfügige Differenz in der Einigungskonferenz ausgeräumt worden war, konnte die Vorlage in der Herbstsession definitiv verabschiedet werden. Im Nationalrat wurde die Revision mit 156 zu 30 Stimmen (vorwiegend aus der SVP), im Ständerat einstimmig gutgeheissen [40].
 
Krankenversicherung
Am 18. Mai gelangte die Volksinitiative der SP „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“ („Gesundheitsinitiative“) zur Abstimmung. Neben Massnahmen zur Kostendämpfung (insbesondere verstärkte Kompetenzen des Bundes bei Planung, Steuerung und Festlegung von Preisen) zielte sie vor allem auf eine grundlegend andere Finanzierung des Gesundheitswesens ab: Die obligatorische Krankenversicherung sollte einerseits maximal zur Hälfte durch Mehrwertsteuerprozente, andererseits durch einkommens- und vermögensabhängige Prämien finanziert werden. Nach dem Scheitern der 2. KVG-Revision Ende 2002, welche von den bürgerlichen Parteien wegen des Ausbaus der Prämienverbilligung stets als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative bezeichnet worden war, wurden der Initiative anfänglich gute Chancen eingeräumt. In einer zu Beginn des Jahres durchgeführten repräsentativen Umfrage gaben 75% der Befragten an, mit einkommensabhängigen Prämien „sehr“ oder „eher“ einverstanden zu sein [41].
Gleich nach der Volksabstimmung zur Neuregelung der Spitalfinanzierung (siehe oben, Teil I, 7b, Gesundheitspolitik) eröffneten sowohl die Befürworter wie die Gegner die Abstimmungskampagne, welche bald in einen heissen Zahlenstreit mündete, konnte doch weder die eine noch die andere Seite schlüssig darlegen, wer bei einer Annahme der Initiative gewinnen und wer allenfalls verlieren würde. Die SP machte geltend, ein Ja zur Initiative bedeute tiefere Prämien für 80% der Versicherten und führe zur Entlastung einer Durchschnittsfamilie um rund 6000 Fr. pro Jahr. Die Gegner – der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien – konterten, wegen der Erhöhung der Mehrwertsteuer erfolge lediglich eine Umverteilung; für Leute mit geringem Einkommen, welche heute dank der Prämienverbilligungen praktisch nichts an die Grundversicherung bezahlen, würde dies sogar zu einer Schlechterstellung führen. Über diesem Zahlenhickhack gerieten jene Elemente, welche eine Kostendämpfung anstrebten, etwas in den Hintergrund. Die Unklarheiten der Finanzierung – insbesondere wurde auch darüber gestritten, ob eine Annahme der Initiative zu einer Mehrwertsteuererhöhung um 3,5% (Bürgerliche) führen würde, oder ob 1,5% (SP) ausreichen würden – sorgten für grosse Verunsicherung in der Bevölkerung und erwiesen sich für das Begehren schliesslich als fatal, was auch in den Meinungsumfragen zum Ausdruck kam, in denen die Zustimmung kontinuierlich zurückging. Um der Initiative etwas Konstruktives entgegen zu setzen, arbeiteten Bundesrat und vorberatende Kommission der kleinen Kammer zudem fieberhaft an einer Neuauflage der 2. KVG-Revision, welche das Element einer zusätzlichen Prämienentlastung für Familien wieder aufnahm, und die bereits in der Frühjahrssession im Ständerat behandelt wurde (siehe unten) [42].
Trotz bröckelnder Unterstützung rechnete niemand mit dem Ausmass der Ablehnung an der Urne. Die Initiative wurde mit knapp 73% der Stimmen und in allen Kantonen verworfen. Wie allgemein voraus gesagt worden war, schnitt sie in den „Prämienhöllen“ der Westschweiz besser ab als in der Deutschschweiz, aber auch da blieb die Zustimmung weit unter den Erwartungen. In Genf, wo die Prämien doppelt so hoch sind wie in der Ostschweiz, reichte es gerade mal zu 38% Ja-Stimmen. So etwas wie einen Achtungserfolg errang das Begehren lediglich im Kanton Jura, wo 44% zustimmten. In der Deutschschweiz kam die Initiative nirgends über 40%: in Basel-Stadt, ebenfalls einem Kanton mit hohen Prämien, wurde mit 36,6% die höchste Zustimmung erreicht. In der „prämiengünstigen“ Ostschweiz und in der Innerschweiz lag die Ablehnung meist über 80%; besonders massiv war das Nein in Nidwalden und Appenzell-Ausserrhoden (rund 87%) [43].
Volksinitiative „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“
Abstimmung vom 18. Mai 2003

Beteiligung: 49,7%
Ja: 652 073 (27,1% / 0 Stände)
Nein: 1 682 694 (72,9% / 20 6/2 Stände)
Parolen:
Ja: SP, GP (1*), EVP (2*), CSP, PdA; SGB, Travail.Suisse
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, SD, EDU, FP; Economiesuisse, SBV; Santésuisse
Stimmenthaltung: Lega

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse dieser Abstimmung zeigte, dass die Parteiparolen mehrheitlich befolgt wurden, am deutlichsten von den Anhängerschaften der CVP und SVP mit Neinstimmen-Anteilen von 95 resp. 93%. Dass die Initiative aber auch unter den SP-Sympathisanten nicht unbestritten war, zeigt der beträchtliche Neinstimmen-Anteil von 41%. Bereits bei der Lancierung der Initiative war die SP gespalten gewesen; eine bedeutende Minderheit in der Partei hätte einen alternativen, abgeschwächten Initiativtext bevorzugt. Personen in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen lehnten die Initiative erwartungsgemäss überdurchschnittlich ab (84%). Aber auch die Haushalte mit den tiefsten Einkommen stimmten etwas häufiger Nein (74%) als das Mittel. Die Autoren der Studie erklärten dieses Stimmverhalten mit der Furcht vor (ungewissen) Veränderungen; offenbar bevorzugten diese Personen den Status quo, bei dem sie am meisten von Prämienverbilligungen profitieren. Auch sprachregionale Differenzen beeinflussten den Stimmentscheid, aber nur in geringem Ausmass [44].
Mitte Januar lancierte die SVP ihre seit längerem angekündigte Volksinitiative „für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“ („Prämiensenkungsinitiative“). Mit mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen und einer Straffung des Leistungskatalogs will die SVP die Krankenkassenprämien um 15 bis 20% senken. Sie verzichtete allerdings darauf zu konkretisieren, wo und wie der Leistungskatalog ausgedünnt werden soll, und erklärte, es gehe in erster Linie darum, einen weiteren unnötigen Leistungsausbau zu verhindern. Indem die geltenden Bestimmungen über den Leistungskatalog auf Verfassungsstufe verankert werden, sollen sie mehr Gewicht erhalten; zudem wäre ihre Veränderung dem obligatorischen Referendum mit Volks- und Ständemehr unterstellt. Durch eine Koppelung der Beiträge des Bundes und der Kantone an das Kostenwachstum soll die öffentliche Hand vermehrt in die Verantwortung genommen werden, um verstärkt zu Einsparungen beizutragen. Mit ihrer Forderung nach Aufhebung des Kontrahierungszwangs von Versicherern und Leistungserbringern und Einführung der monistischen Spitalfinanzierung nahm die Initiative Themen auf, die für die 2. oder 3. KVG-Revision schon auf dem Tisch liegen. Die im Vorjahr präsentierte Idee, die Grundversicherung einzuschränken und eine neue, freiwillige Ergänzungsversicherung einzuführen, wurde als zu kompliziert erachtet und deshalb wieder aufgegeben [45].
Nur eine gute Woche nach dem Scheitern der SP-Gesundheitsinitiative lancierte die Westschweizer Organisation „Mouvement populaire des familles“ die Volksinitiative „für eine soziale Einheitskrankenkasse“. Sie strebt eine nichtstaatliche Einheitskasse mit einkommensabhängigen Prämien (ohne Einbezug der Mehrwertsteuer zu deren Finanzierung) und die völlige Transparenz bezüglich der Verwendung der Gelder der Grundversicherung und der Reserven an. Hinter dem Begehren standen von Anbeginn die Grüne Partei der Schweiz, die SP-Sektionen Waadt, Genf und Unterwallis, die Jungsozialisten (Juso), die PdA sowie die Gewerkschaft Comedia. Nationalrat Cavalli (sp, TI) kündigte bereits am Abstimmungssonntag an, seine Partei werde diese Initiative unterstützen. Von der SP-Geschäftsleitung wurde er allerdings umgehend desavouiert. Parteipräsidentin Brunner (GE) sprach sich deutlich für eine Denkpause aus. Damit setzte sie sich Ende Juni an der Delegiertenversammlung ihrer Partei auch durch; die SP befürchtete offenbar, dass die Unterstützung einer Einheitskasse als erster Schritt zur Einführung von gesamtschweizerischen Einheitsprämien verstanden würde, in der Deutschschweiz mit ihrem tieferen Prämienniveau wohl kein populäres Thema so kurz vor den nationalen Wahlen. Mitte November sprach sich die SP-Geschäftsleitung dann doch für eine politische Unterstützung der Volksinitiative aus; die Delegiertenversammlung stellte sich daraufhin ebenfalls hinter dieses Vorhaben [46].
Sowohl der Ständerat wie der Nationalrat sprachen sich in der Frühjahrssession klar gegen die Schaffung einer Einheitskasse aus. Sehr deutlich, mit 31 zu 5 Stimmen, lehnte der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Jura ab, die eine zentrale Landeskasse und einkommensabhängige Prämien verlangte. Die Gegner machten geltend, eine Studie des BSV sei zum Schluss gekommen, dass eine Einheitskasse kaum eine positive Wirkung auf die Eindämmung der Kosten hätte. Die Erfahrungen des Auslandes hätten gezeigt, dass Monopolsituationen im Krankenversicherungsbereich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schlechterer Servicequalität und beeinträchtigter Produktevielfalt führe. Gesamtschweizerisch einheitliche Prämien würden zudem die Kantone östlich von Bern wesentlich stärker belasten als bisher. Mit den gleichen Argumenten und mit 106 zu 63 Stimmen wurde vom Nationalrat auch eine parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) verworfen, die für die obligatorische Grundversicherung eine nationale Einheitskrankenkasse mit Bundesgarantie wollte [47]. In der Wintersession lehnte der Ständerat – allerdings im klar weniger deutlichen Verhältnis von 18 zu 11 Stimmen – eine weitere Standesinitiative des Kantons Tessin ab, welche eine Einheitskasse auf Bundesebene, mehr Transparenz in der Rechnungslegung der Versicherer und den Einbezug der Krankenkassenprämien in den Landesindex der Konsumentenpreise anstrebte [48].
Ein ebenfalls mehrfach vorgetragenes Anliegen nahm eine Standesinitiative des Kantons Jura auf, nämlich eine umfassende Taggeldversicherung im KVG bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, welche den daraus resultierenden Lohn- oder Verdienstausfall deckt. Die Kommission des Ständerates anerkannte zwar, dass die heutige Regelung unbefriedigend ist, da der Verdienstausfall in der Grundversicherung nach KVG individuell nur minim versichert werden kann. Da die meisten Arbeitnehmer aber über den Arbeitgeber für eine gewisse Dauer versichert sind, eine umfassende Taggeldversicherung also einer Zwangsumverteilung von Personen, die in einem geregelten Arbeitsverhältnis stehen, zu Personen, die lediglich über eine prekäre Anstellung verfügen, gleichkäme, beantragte sie die Initiative zur Ablehnung. Diese wurde denn auch diskussionslos verworfen [49].
Insbesondere in der Westschweiz schien das Misstrauen gegen die als intransparent empfundene Politik der Reservebildung gewisser Krankenkassen weiter zuzunehmen, führte allerdings im Parlament nur selten zu konkreten Ergebnissen. Der Nationalrat hatte im Vorjahr gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Meyer (cvp, FR) angenommen, welche die Einführung einer detaillierteren Rechnungslegung der Krankenversicherer verlangte. Der Ständerat unterstützte diese Forderung diskussionslos. 2001 hatte er noch zwei Standesinitiativen der Kantone Waadt und Genf abgelehnt, welche einheitliche Methoden zur statistischen Erfassung der Finanzdaten insbesondere der überkantonal agierenden Krankenkassen verlangten. Im Nationalrat erreichte nun eine Minderheit aus der SP mit Unterstützung von bürgerlichen welschen Abgeordneten, dass den vom Ständerat abgelehnten Initiativen mit 81 zu 67 Stimmen Folge gegeben wurde. In der Differenzbereinigung hielt der Ständerat allerdings an seinem ersten Beschluss fest, worauf ihm der Nationalrat zustimmte. Auch zwei weitere Standesinitiativen der Kanton Genf und Wallis, welche die Transparenz und Veröffentlichung der Rechnungen postulierten resp. dem BSV mehr Mittel zugestehen wollten, um diese Rechnungen zu prüfen, wurden in der grossen Kammer wie schon im Ständerat abgelehnt [50].
Im Vorjahr hatte der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Jura für einen verbesserten Risikoausgleich unter den Krankenkassen angenommen. Auf Antrag einer rechtsbürgerlichen Minderheit wurde diese vom Nationalrat aber mit 86 zu 67 Stimmen mit dem Argument abgelehnt, eine Ausdehnung des Risikoausgleichs über die beiden Kriterien Alter und Geschlecht hinaus würde diesen kaum noch handhabbar machen. Auch hier hielt der Ständerat am ersten Beschluss fest, da das Begehren jenem entsprach, das die kleine Kammer in die KVG-Revision aufgenommen hatte [51]. Der Nationalrat nahm aber ein Postulat seiner SGK an, das den Bundesrat einlädt, Bericht und Antrag zu einer Neuordnung des Risikoausgleichs vorzulegen. Dabei sollen insbesondere auch alternative Modelle einbezogen werden (Hochkostenpool für Behandlungskosten ab bestimmter Höhe pro Jahr oder für bestimmte Personengruppen und Rückversicherung im Rahmen von Ärztenetzen). Der Bundesrat erklärte in seiner Stellungnahme, der Antrag für den Bericht zur Neuordnung des Risikoausgleichs sei im Rahmen des Projekts „Grundlagen 3. Teilrevision KVG“ bereits erteilt worden; der Hochkostenpool solle bei diesem Bericht jedoch nicht im Vordergrund stehen [52].
Der geltende Beschluss über die jährlichen Beiträge des Bundes an die Prämienverbilligung der Kantone lief Ende 2003 aus. Wegen der Verzögerungen bei der KVG-Revision beantragte der Bundesrat dem Parlament eine Übergangsregelung. Gegenüber den 2,3 Mia Fr. im laufenden Jahr sollen die Beiträge 2004-2007 jährlich um 1,5% steigen. Im Ständerat verlangte eine Minderheit um die Genfer SP-Abgeordnete Brunner eine Erhöhung der Beitragsleistung des Bundes um je 500 Mio Fr, scheiterte aber mit 30 zu 6 Stimmen. Im Nationalrat beantragte eine Minderheit Guisan (fdp, VD) eine Erhöhung um je 100 Mio Fr., während eine Minderheit Gross (sp, TG) den Antrag Brunner wieder aufnahm. In einer Eventualabstimmung setzte sich vorerst Guisan mit 97 zu 58 Stimmen gegen Gross durch, unterlag dann aber mit 91 zu 69 Stimmen dem Antrag der Kommissionsmehrheit, Bundesrat und Ständerat zu folgen [53].
Auf dem Verordnungsweg nahm das EDI eine Erhöhung von Selbstbehalt und Franchise auf Anfang 2004 vor. Begründet wurde dieser Schritt mit dem Kostenanstieg seit Inkrafttreten des neuen KVG (1996) resp. seit der letzten Anpassung der Minimalfranchise (1998). Die Minimalfranchise wurde von 230 auf 300 Fr. angehoben, der Selbstbehalt von bisher 600 auf jährlich maximal 800 Fr. für Erwachsene und von 300 auf 400 Fr. für Kinder. Nach Schätzungen des BSV wird dadurch das gesamte Prämienvolumen um rund 1,5% zurückgehen, doch werden die Haushalte stärker direkt belastet. Gleichzeitig wurden auch die Rabatte für freiwillig erhöhte Franchisen neu ausgestaltet, weil festgestellt worden war, dass Versicherte mit selbst gewählter höherer Franchise zwar weniger Kosten auslösen, ihre Rabatte aber meist bedeutender waren als das zusätzlich eingegangene betragsmässige Risiko. Die Rabatte wurden auf 80% des mit der Wahlfranchise zusätzlich übernommenen Risikos begrenzt (bisher 100%). Für mehr Transparenz wurde zudem eine einheitliche Einteilung der kantonalen Prämienregionen eingeführt [54].
Erstmals wurde eine Krankenkasse von der Aufsichtsbehörde geschlossen. Wegen gravierender organisatorischer und finanzieller Mängel entzog das BSV der Accorda auf Anfang 2004 die Betriebsbewilligung. Aber auch andere Krankenversicherer kämpften mit finanziellen Problemen. Neben der Accorda wiesen noch drei weitere der insgesamt 90 Kassen einen negativen Reservestand aus. Der Intras wurde deshalb eine vorgezogene Prämienerhöhung im laufenden Jahr gestattet. Dass die Reserven der Kassen zum Teil weit unter das gesetzliche Minimum von 15% des Prämienvolumens gesunken sind, wurde nicht zuletzt der Politik angelastet. In der Ära Dreifuss/Piller waren die Versicherer ermuntert worden, Reserven abzubauen, um die Prämienerhöhungen zu begrenzen, resp. waren ihnen nicht die Prämienerhöhungen zugestanden worden, die sie als wirtschaftlich notwendig erachteten [55].
Der Ständerat hiess einstimmig eine Motion sowie eine Empfehlung seiner SGK gut, welche verlangen, dass das Beschwerdeverfahren zum KVG gestrafft und beschleunigt wird. Das geltende Recht billigt dem Bundesrat vier bis maximal acht Wochen zur Erledigung einer Beschwerde zu; in der Realität wird diese Frist aber regelmässig überschritten. Heikle Beschwerden ziehen sich sogar über Jahre hinweg. Für die Kantone und Spitäler hat dies ernsthafte Konsequenzen. Sie können ihre Rechnungen vergangener Jahre nicht ordnungsgemäss abschliessen und haben entsprechende Probleme bei der Erstellung ihrer Budgets [56].
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Teilrevision des KVG
Nachdem das Revisionsvorhaben in der Wintersession des Vorjahres im Nationalrat in der Gesamtabstimmung gescheitert war, lag der Ball wieder beim Ständerat, der sich umgehend an die Differenzbereinigung machte. In mehreren Sitzungen erarbeitete dessen SGK zusammen mit der Verwaltung neue Lösungen, in der Hoffnung, diese würden bei den involvierten Akteuren auf eine breitere Zustimmung stossen. In der Eintretensdebatte im Plenum führte der Kommissionssprecher aus, man wolle grundsätzlich an den ersten Beschlüssen vom Dezember 2001 festhalten. Die Vorlage sei aber verbessert, Ideen aus dem Nationalrat seien aufgenommen und neue Entwicklungen berücksichtigt worden. In der Detailberatung wurden die Vorschläge der Kommission weitgehend akzeptiert, insbesondere der Übergang zur dual-fixen Spitalfinanzierung sowie die Lockerung des Vertragszwangs im ambulanten Bereich (siehe oben, Teil I, 7b, Gesundheitspolitik). Bei der Prämienverbilligung schwenkte der Ständerat auf die Lösung des Nationalrates und damit den Vorschlag des Bundesrates um. Die maximale Prämienbelastung wurde nicht fix bei 8% des Einkommens festgelegt, wie dies die kleine Kammer in erster Lesung beschlossen hatte, sondern für Familien mit Kindern je nach Einkommen in einer Bandbreite zwischen 2% und 10% festgelegt, für alle anderen zwischen 4% und 12%. Zusätzlich wurde beschlossen, einem Entscheid des Nationalrats aus dem Vorjahr zu folgen und die Prämie für das erste Kind zur Hälfte und für alle weiteren Kinder vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand zu subventionieren. Diese Bestimmung, von Beerli (fdp, BE) als verpönte „Giesskanne“ angeprangert, war allerdings sehr umstritten und wurde mit 18 zu 17 Stimmen nur ganz knapp angenommen. Um diese Entlastung der Familien zu finanzieren, schlug die Mehrheit der Kommission vor, die Bundesbeiträge für die Prämienverbilligung ab 2004 um 200 Mio Fr zu erhöhen. Beerli beantragte eine Anhebung um lediglich 150 Mio Fr. und setzte sich mit 17 zu 14 Stimmen durch. Gegen einen Antrag Beerli beschloss der Ständerat, dass die jährlichen Bundesbeiträge aufgrund der Kostenentwicklung in der obligatorischen Krankenversicherung und unter Berücksichtigung der Finanzlage des Bundes und der Kantone indexiert werden [57].
Der Nationalrat begann die Beratung der Differenzen in der Sommersession. Gleich zu Beginn machte die bürgerliche Ratsmehrheit der SP klar, dass sie nach dem Scheitern ihrer „Gesundheitsinitiative“ (siehe oben) auf kein Entgegenkommen mehr zählen könne. Die Anträge der SP wurden gleich reihenweise abgeschmettert, selbst solche, die im Vorjahr noch angenommen worden waren. So sagte die grosse Kammer Nein zu einem Verbot der Billigkassen, zur Verschreibung der Wirkstoffe anstatt der Originalmedikamente, zu vermehrter Planungskompetenz des Bundes, zur Einführung eines Qualitätsmanagements im ambulanten Bereich, zu einer freiwilligen Hotellerie-Versicherung in der Grundversicherung, zu einkommensabhängigen Franchisen und zur Schaffung eines von Bund, Kantonen und Kassen alimentierten Hochrisiko-Pools, mit dem besonders kostspielige Behandlungen finanziert werden sollten.
Grundsätzlich unbestritten blieb das neue System der Prämienverbilligung mit einem differenzierten Sozialziel. Auf Antrag von Guisan (fdp, VD) fügte der Rat mit 108 zu 33 Stimmen eine Klausel ein, wonach die Kantone für den Anspruch auf Prämienverbilligung ein Höchsteinkommen festzulegen haben. Der Entscheid zur Prämienbefreiung von Kindern wurde mit 84 zu 65 Stimmen bekräftigt. In der Frage der Finanzierung der Prämienverbilligung, bzw. der Erhöhung der Bundesbeiträge nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision, standen verschiedene Vorschläge im Raum, nämlich ein Antrag einer bürgerlichen Kommissionsminderheit I auf 150 Mio Fr. sowie der Antrag einer links-grünen Minderheit II auf 500 Mio Fr. Schliesslich setzte sich der Antrag der Kommissionsmehrheit (zusätzliche 200 Mio Fr.) mit 75 zu 67 Stimmen gegen den geringeren und mit 90 zu 52 Stimmen gegen den höheren Betrag durch; die jährliche Indexierung sollte sich, anders als vom Ständerat beschlossen, aber nur auf die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung beziehen [58].
In der zweiten Runde der Differenzbereinigung schloss sich der Ständerat bei der Erhöhung der Bundesbeiträge dem Nationalrat an (+ 200 Mio Fr). Da in der Zwischenzeit die kantonalen Finanzdirektoren bei der Kommission vorstellig geworden waren und auf die enormen Kosten verwiesen hatten, die auch auf sie zukommen würden, entschied er diesmal mit 22 zu 19 Stimmen, auf die zusätzliche einkommensunabhängige Subventionierung der Kinderprämien zu verzichten [59]. Im Nationalrat setzte aber eine Koalition aus CVP, SP und Grünen mit 92 zu 90 Stimmen durch, dass daran festgehalten wurde. Mit 10 zu 12 Stimmen schloss sich die Einigungskonferenz dem Ständerat an; sie lehnte auch einen Kompromissvorschlag ab, der die Kinderprämien nur für Familien mit einem Einkommen bis 126 000 Fr. übernehmen wollte. Der Ständerat stimmte den Anträgen der Einigungskonferenz diskussionslos zu [60].
Im Nationalrat wiederholte sich dann aber das Debakel des Vorjahres – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. SP und Grüne lehnten die Vorlage geschlossen ab, weil ihrer Meinung nach für das neue Modell der Prämienverbilligung zu wenig Geld gesprochen wurde und weil sie mehr Planung statt mehr Wettbewerb wünschten. Die CVP enthielt sich wegen der gestrichenen Kinderrabatte ebenso geschlossen der Stimme. Besonders in der neuen Zusammensetzung der grossen Kammer hätte diese Allianz allein nicht genügt, um die Vorlage bachab zu schicken. Auch die je vier Abweichler in FDP (die drei Waadtländer Favre, Vaudroz und Guisan, der formell den Antrag auf Ablehnung stellte, sowie Markwalder, BE) und SVP (die drei Zürcher Kaufmann, Keller und Maurer sowie Dunant, BS), welche die Revision gegen den Willen der Fraktionsmehrheit ablehnten, hätten nicht unbedingt zum Kippen der Vorlage führen müssen. Ausschlaggebend waren letztlich Absenzen: Auf der linken Seite fehlten nur zwei Nationalräte, während bei der FDP acht und bei der SVP neun Mitglieder abwesend waren. FDP-Fraktionschef Pelli (TI) äusserte sich entsprechend enttäuscht über seine Leute, die andere Termine dieser wichtigen Abstimmung vorgezogen hätten. Pelli ortete aber auch ein „Problem Couchepin“: im Nationalrat habe dieser zwar noch mit einem dringlichen Appell versucht, die Vorlage zu retten; tags zuvor habe er sie im Ständerat aber scheinbar lustlos verteidigt und erklärt, bei einem Referendum würde es zwar nicht unmöglich, aber schwierig, das Volk von dieser Revision zu überzeugen. Die Vorlage wurde mit 71 zu 66 Stimmen verworfen. Da sie in rund drei Jahren das ganze parlamentarische Verfahren durchlaufen hatte, war sie damit definitiv gescheitert [61].
 
Unfallversicherung
Im Vorjahr hatte der Nationalrat zwei Motionen angenommen, die Vereinfachungen bei der Prämienerhebung in der obligatorischen Unfallversicherung sowie einen verstärkten Wettbewerb unter den Versicherungsgesellschaften anstrebten. Die SGK des Ständerates fasste die beiden Anliegen in einer parlamentarischen Initiative zusammen, die vom Plenum stillschweigend angenommen wurden. Die beiden Motionen wurden sinngemäss abgelehnt [62].
Mit einer Motion wollte Nationalrat Bortoluzzi (svp, ZH) den Bundesrat beauftragen, zur Förderung von mehr Wettbewerb eine Änderung des Unfallversicherungsgesetzes in dem Sinn vorzulegen, dass den Betrieben die freie Wahl des Versicherers (SUVA, Branchenversicherung, private Versicherungsgesellschaft) gewährt wird. Der Bundesrat vertrat einerseits die Ansicht, dass die SUVA ihr Teilmonopol behalten soll, und verwies andererseits auf bereits laufende Diskussionen über die Organisationsstruktur der SUVA. Auf seinen Antrag wurde die Motion nur als Postulat angenommen [63].
1999 hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Folge gegeben, die eine Änderung des SchKG in dem Sinn verlangte, dass die Prämien der obligatorischen Unfallversicherung in Zukunft von der Konkursbetreibung ausgenommen werden. Die grosse Kammer genehmigte nun auch die gesetzlichen Umsetzung einstimmig, worauf der Ständerat stillschweigend diese Bestimmungen ebenfalls guthiess [64].
 
Mutterschaftsversicherung
In der Sommersession behandelte der Ständerat die durch eine parlamentarische Initiative des Nationalrats initiierte Revision des Erwerbsersatzgesetzes, mit welchem der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Mütter ausdehnt wird, die im Zeitpunkt der Niederkunft als Arbeitnehmerinnen oder Selbstständigerwerbende im Sinn des Sozialversicherungsrechts gelten oder die im Betrieb des Ehemannes mitarbeiten und dafür einen Barlohn erhalten. Ihnen wird während 14 Wochen eine Erwerbsersatzentschädigung gewährt, die 80% des durchschnittlichen versicherten Lohnes beträgt, welcher vor dem Verdienstausfall erzielt wurde. In seinem Eintretensvotum betonte der Sprecher der Kommission, es handle sich nicht um eine eigenständige Mutterschaftsversicherung im Sinn eines neuen Sozialversicherungszweiges, sondern es werde – mit der Finanzierung über die EO – ein bisheriges Instrument ausgebaut, weshalb die zusätzlichen Administrativkosten gering seien. Forster (fdp, SG) betonte, eine Mutterschaftsversicherung gehöre „zu den vordringlichen politischen Aufgaben“. Mehrere Rednerinnen erklärten, auch wenn das Volk dreimal entsprechende Vorlagen abgelehnt habe, so sei der Verfassungsauftrag doch nie in Frage gestellt worden.
Eintreten wurde ohne Gegenantrag beschlossen, obgleich die SVP die Vorlage als „ordnungspolitischen Sündenfall“ bezeichnete, da damit der Sozialstaat weiter ausgebaut und die Eigenverantwortung der Familien geschwächt werde, sowie als „Zwängerei“ gegenüber dem Ergebnis der letzten Volksabstimmung. Für die meisten erstaunlich war die Argumentation von Germann (svp, SH), er widersetze sich dem Vorschlag deshalb, weil nur die erwerbstätigen Mütter berücksichtigt würden; dabei war es 1999 gerade die SVP gewesen, welche die Mutterschaftsversicherung mit dem Argument bekämpft hatte, der Einbezug der nichterwerbstätigen Frauen sei nicht statthaft. Bei der Detailberatung versuchte Jenny (svp, GL) noch einmal, auf die Einführung eines Mutterschaftstaggelds zurückzukommen, scheiterte aber mit 30 zu 8 Stimmen deutlich. Bei den meisten Bestimmungen schloss sich der Ständerat dem Nationalrat an, wobei er aber die Dauer der vorgängigen Erwerbsarbeit, die zu einem Anspruch führt, von drei auf fünf Monate ausdehnte. In einem Punkt schuf er allerdings eine gewichtige Differenz zur grossen Kammer: Mit 25 zu 10 Stimmen folgte er dem Antrag der Kommission, die Anspruchsberechtigung auch auf Fälle von Adoption auszudehnen, allerdings in eingeschränkter Form (lediglich vier Wochen, und nur, falls das zu adoptierende Kind jünger als vier Jahre ist). Forster (fdp, SG) machte vergebens geltend, damit lege man der Vorlage unnötig Stolpersteine in den Weg, weshalb es der Nationalrat auch ausdrücklich vermieden habe, die Adoption zu berücksichtigen. Vor den Beratungen hatten auch der Initiant und die drei Initiantinnen des Modells – Triponez (fdp, BE), Haller (svp, BE), Meyer (cvp, FR) und Fehr (sp, ZH) – erfolglos an den Ständerat appelliert, das Fuder nicht zu überladen [65].
Im Nationalrat wehrte sich Triponez vehement gegen einen Einbezug der Adoption. Er machte insbesondere geltend, dass – anders als bei leiblicher Geburt – im Arbeitsrecht kein Arbeitsverbot während acht Wochen nach einer Adoption bestehe. Deshalb sei die Lösung des Ständerates sowohl aus sachlichen wie auch referendumspolitischen Gründen abzulehnen. Mit 90 zu 60 Stimmen setzte er sich gegen Maury Pasquier (sp, VD) durch, welche aus Gründen der Gerechtigkeit auch den Adoptivmüttern Leistungen gewähren wollte. In der Frage der Dauer der vorgängigen Erwerbsarbeit schloss sich die grosse Kammer hingegen der kleinen an. Der Ständerat hielt im Grundsatz daran fest, dass seine Lösung bezüglich Adoption ihre Berechtigung habe, insbesondere da sie kaum mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre. Aus abstimmungstaktischen Überlegungen schloss er sich aber mit 21 zu 12 Stimmen dem Nationalrat an. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage im Nationalrat mit 146 zu 41 Stimmen; dagegen stimmten lediglich eine grosse Mehrheit der SVP-Fraktion sowie einige Rechtsfreisinnige; im Ständerat wurde sie mit 31 zu 6 Stimmen angenommen [66].
Noch bevor der Mutterschaftsurlaub im Ständerat behandelt wurde, forderte Nationalrat Blocher (svp, ZH) seine Partei zum Referendum auf. Dieses wurde im Sommer von der Delegiertenversammlung fast einstimmig beschlossen. Sukkurs erhielt die SVP von einigen rechtsfreisinnigen Parlamentariern. Der Arbeitgeberverband, der 1999 noch die Nein-Parole ausgegeben hatte, winkte nun ab; er hatte zwar aus ordnungspolitischen Gründen keine Freude an der Vorlage, bezeichnete sie aber als das kleinere Übel als eine Lösung über das OR. Vom Gewerbeverband war ebenfalls keine Unterstützung für das Referendum zu erwarten, ist doch die neue Lösung, welche vor allem die KMU entlastet, massgeblich von dessen Direktor eingebracht worden [67].
 
Arbeitslosenversicherung
Die Wirtschaftsflaute zeigte auch Auswirkungen auf die Rechnung der Arbeitslosenversicherung. Gemäss ersten Schätzungen des Seco schloss das Rechnungsjahr bei Prämieneinnahmen von 5,7 Mia Fr. (2002: 6,8 Mia) und einem Gesamtertrag von 6,4 Mia Fr. (7,2 Mia Fr.) sowie einem Gesamtaufwand von 7,2 Mia Fr. (5,2 Mia Fr.) mit einem Aufwandüberschuss von 0,8 Mia Fr. (2002: Ertragsüberschuss 2,0 Mia) ab [68].
Das revidierte Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) trat auf den 1. Juli in Kraft. Für Arbeitslose unter 55 Jahren wurde damit die Bezugsdauer von 520 auf 400 Tage reduziert, was zu rund 2500 zusätzlichen Aussteuerungen führte. Kantone mit einer Arbeitslosenquote von über 5% können beim Bund den Antrag auf eine Verlängerung um 120 Tage stellen, müssen aber 20% der Taggelder selber bezahlen. Im Berichtsjahr stellten der Kanton Genf und drei Distrikte in der Waadt entsprechende Anträge, denen vom Seco stattgegeben wurde [69].
 
Militärversicherung
Angesichts des Umstandes, dass mit der Armee XXI der Bestand der Dienstleistenden zurückgehen wird, gleichzeitig auch die Zahl der in der SUVA Versicherten abnimmt, wodurch die Grundkosten pro Versicherten in beiden Versicherungen wachsen, überwies der Ständerat im Einverständnis mit dem Bundesrat diskussionslos eine Motion Stähelin (cvp, TG), die verlangt, den Vollzug der Militärversicherung der SUVA zu übertragen, wobei der Bund für diesen Bereich Risikoträger bleibt [70].
Im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 wurde eine stossende Privilegierung von Militärpersonen im Bereich der Kranken- und Nichtberufsunfallversicherung eliminiert. Diese Bundesangestellten waren bisher auch ausserhalb ihres beruflichen Einsatzes der Militärversicherung unterstellt, für welche der Bund vollumfänglich die Prämien übernimmt. Neu müssen diese Personen der MV gegenüber Prämien entrichten, welche der Grundversicherung gemäss KVG und der Nichtberufsunfallversicherung gemäss UVG entsprechen. Die Änderung wurde von beiden Kammern diskussionslos angenommen und trat umgehend auf den 1.1.2004 in Kraft [71].
 
Weiterführende Literatur
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Allgemeine Fragen
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CHSS, 2003, Nr. 5, S. 255-278 (Schwerpunktthema Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union – erste Zwischenbilanz).
Bucher, Silvia, „Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zum Abkommen über die Freizügigkeit“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2003, S. 67-83.
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Kieser, Ueli, Leistungen der Sozialversicherung, Zürich 2003.
Knöpfel, Carlo (Hg.), Sozialalmanach 2004: Die demografische Herausforderung, Luzern (Caritas) 2003.
Knüsel, René (éd.), Le social, passionnément. Hommages à Pierre Gilliand, Genève 2003.
Locher, Thomas, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, Bern 2003 (3., vollständig neu bearbeitete Aufl.).
Ritzmann, Heiner, Gesamtrechnung der sozialen Sicherheit: Resultate für 2000 – Schätzungen für 2001 – Entwicklung seit 1950, Neuenburg (BFS) 2003.
Schaffhauser, René / Kieser, Ueli (Hg.), Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG), St. Gallen 2003.
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Stünzi, Mischa, „Globalisierung und Sozialstaat“, in CHSS, 2003, S. 232-235.
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Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
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Stamm, Hanspeter / Lamprecht, Markus, „Die Schweizerische Altersvorsorge im Spiegel der Einkommens- und Verbrauchererhebung 1998“, in Infosocial, Nr. 8 (Neuenburg, BFS).
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Invalidenversicherung
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Berufliche Vorsorge
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Krankenversicherung
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Siffert, Nicolas, „Statistik über die Krankenversicherung 2001“, in CHSS, 2003, S. 154-157.
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Mutterschaftsversicherung
Elias, Jiri, „Mutterschaftsurlaub“, in Die Volkswirtschaft, 2003, Nr. 5, S. 49-51.
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M.B.
 
[1] Presse vom 4.2., 25.2., 1.3. und 27.9.03; CHSS, 2003, S. 62-66 (Interview Piller). Auf Antrag des BR wurde eine Motion der liberalen Fraktion, die eine externe Untersuchung des BSV verlangte, abgelehnt (AB NR, 2003, S. 1905).
[2] AB NR, 2003, S. 1905. Siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation der FDP-Fraktion: a.a.O., Beilagen V, S. 92 ff. Vgl. SPJ 2002, S. 211 f.
[3] AB NR, 2003, S. 1722.
[4] Presse vom 29.6.04.
[5] Presse vom 5.3.04. Siehe SPJ 2002, S. 212 f.
[6] Lit. Abrahamsen; Lit. Bonoli; Lit. Synthesebericht; Presse vom 27.5.03; Gärtner, Ludwig, „Forschungsprogramm zur längerfristigen Zukunft der Altersvorsorge: Ein Überblick“, in CHSS, 2003, S. 115-117; der Artikel listet sämtliche Einzeluntersuchungen auf, die a.a.O., S. 118-138 zusammenfassend dargestellt werden. Zur Frage der Verwendung der Nationalbankgewinne zu Gunsten der AHV siehe oben, Teil I, 4b, Geld- und Währungspolitik. Die jährlich vom EFD durchgeführte Umfrage ergab einen Vertrauensschwund in die AHV, insbesondere in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen, in der nur noch 50% daran glauben, dereinst eine AHV-Rente beziehen zu können (NZZ, 15.7.03). Vgl. SPJ 2002, S. 213.
[7] NZZ, 3.1., 11.1., 17.6.03 (CVP-Präsident Stähelin); Bund, 22.1.03; Presse vom 22.5., 27.5., 4.6., 7.6.03; TA, 28.5.03. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation der GP-Fraktion in AB NR, 2003, Beilagen V, S. 347 ff. Vgl. SPJ 2000, S. 217 f. (SVP). Der SR überwies stillschweigend eine Empfehlung Stähelin (cvp, TG), im Rahmen der 12. AHV-Revision Massnahmen zur Förderung des Rentenaufschubs vorzusehen (AB SR, 2003, S. 1120 f.). Zu einer Studie der Stiftung Avenir Suisse über die Flexibilisierung des Rentenalters nach oben siehe Presse vom 20.2.03. Die Jungfreisinnigen verlangten gar das Regelrentenalter 70 (NZZ, 8.5.03). Dass diese Vorschläge die Rechnung ohne die Unternehmen machten, zeigte eine Firmenumfrage: 78% der befragten Unternehmen erklärten, sie würden keine Arbeitnehmer einstellen, die 65 Jahre oder älter seien (SHZ, 2.7.03).
[8] TA, 28.1.03; NLZ, 31.1.03; WoZ, 6.2.03; Presse vom 22.5. und 27.5.03; NZZ, 24.5. und 26.5.03. Vgl. SPJ 2002, S. 214. Zu einer Studie, welche die nicht zu unterschätzende Bedeutung der AHV für die Einkommenssituation vieler Rentnerinnen und Rentner beleuchtet, siehe Lit. Stamm/Lamprecht; Bund, 17.6.03. Gegen die Vorstellungen Couchepins beim Rentenalter und dem Mischindex richtete sich ein vom SGB organisierter Protesttag der Rentnerinnen und Rentner, an dem auch alt BR Dreifuss nicht mit Kritik an den Vorschlägen ihres Nachfolgers zurückhielt: TA, 13.8. und 13.9.03 (Interview Dreifuss); NZZ, 14.8.03; Presse vom 11.9. und 13.9.03.
[9] BBl, 2003, S. 5673 ff.; AB SR, 2003, S. 841 ff. und 1062; AB NR, 2003, S. 1702 ff. und 1716; NZZ, 3.4. und 6.5.03. Im Rahmen des EP 03 wurde der Sonderbeitrag des Bundes an die Flexibilisierung, der seit Inkrafttreten der 10. AHV-Revision 170 Mio Fr. betrug, abgeschafft. Der für das Jahr 2003 bezahlte Betrag wurde durch eine entsprechende Reduktion der Beiträge des Bundes an die AHV in den Jahren 2005 und 2006 kompensiert (BBl, 2003, S. 5676 ff.). Diese Änderung passierte im Parlament diskussionslos: AB SR, 2003, S. 841; AB NR, 2003, S. 1706; BBl, 2003, S. 8110. Siehe dazu oben, Teil I, 5 (Sanierungsmassnahmen).
[10] SPJ 2001, S. 192 (NR) und 2002, S. 215 (SR).
[11] AB NR, 2003, S. 52 ff.
[12] AB SR, 2003, S. 105 ff.
[13] AB NR, 2003, S. 612 ff.
[14] AB SR, 2003, S. 430 ff., 952 und 1030; AB NR, 2003, S. 609 ff., 1335 ff., 1515 und 1743 f.; BBl, 2003, S. 6589 f. Das lange Ping-Pong um den Bundesanteil wurde mit der unterschiedlichen parteipolitischen Zusammensetzung der beiden Kammern erklärt: Im SR dominierten CVP und FDP, welche die Sicht des BR vertraten, im NR hingegen SP, GP und SVP, die gegen den Bundesanteil waren (Presse vom 18.9.03).
[15] AB SR, 2003, S. 840; NZZ, 21.11.03.
[16] Zum zweiten „Flügel“ der 11. AHV-Revision, der Erhöhung der Mehrwertsteuersätze für AHV und IV, siehe oben (AHV).
[17] AB NR, 2003, S. 592 ff. und 609 ff. Siehe SPJ 2001, S. 191 f.
[18] AB SR, 2003, S. 428 ff. und 441 ff. Siehe SPJ 2002, S. 214 f.
[19] AB NR, 2003, S. 1324 ff., 1510 ff. und 1743 f.; Presse vom 3.9. (Blocher) und 6.9.03 (Dormann).
[20] AB SR, 2003, S. 836 ff.; Presse vom 24.9.03. Während die parlamentarischen Beratungen in den Endspurt gingen, folgten rund 25 000 Personen dem Aufruf der Gewerkschaften und demonstrierten vor dem Bundeshaus gegen die Verschlechterungen bei der Altersvorsorge (Presse vom 22.9.03).
[21] AB NR, 2003, S. 1510 ff. und 1743 ff.; AB SR, 2003, S. 952 ff. und 1030; BBl, 2003, S. 6629 ff.
[22] BBl, 2004, S. 740 f.; Presse vom 26.9., 6.10., 20.11. und 24.11.03.
[23] AB NR, 2003, S. 2118.
[24] AB NR, 2003, S. 65, 256 f. und 517; AB SR, 2003, S. 102 ff. und 369; CHSS, 2003, S. 28 f. Zur Umsetzung der 4. IV-Revision siehe die Antwort des BR auf eine Interpellation im NR: AB NR, 2003, Beilagen III, S. 473 f. Vgl. SPJ 2002, S. 215 f. Für die Auswirkungen des NFA auf die Invalidenhilfe siehe oben, Teil I, 1d (Beziehungen zwischen Bund und Kantonen) sowie Valterio, Michel, „Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung“ in CHSS, 2003, S. 263-264.
[25] AB NR, 2003, S. 616 und 634; AB SR, 2003, S. 1117 f. Siehe SPJ 2002, S. 216. Der NR verabschiedete drei Postulate, die zum Ziel haben, dass die IV die Kostenbeteiligung nach KVG für schwere Geburtsgebrechen und langjährige schwere Krankheiten übernimmt (AB NR, 2003, S. 1722 und 1904). Zu der von NR Blocher (svp, ZH) losgetretenen Polemik um den Missbrauch der IV durch „Scheininvalide“ siehe Presse vom 13.6. und 14.6.03; NZZ, 16.6.03; SHZ, 25.6.03; SoZ, 14.9.03. Eine Motion der SVP-Fraktion zur „Bekämpfung der „Scheininvalidität“ wurde von Gross (sp, TG) und Polla (lp, GE) bekämpft und deshalb vom NR noch nicht behandelt (AB NR, 2003, S. 1723 und Beilagen IV, S. 595 f.). Siehe dazu auch die Antworten des BR auf zwei Interpellationen im NR: a.a.O., Beilagen IV, S. 443 ff. und 586 f.
[26] AB SR, 2003, S. 1118 ff.
[27] AB NR, 2003, S. 1717.
[28] AB NR, 2003, S. 1903 f. Zu den Gründen, warum EL-Ansprüche zum Teil nicht geltend gemacht werden, siehe CHSS, 2003, S. 30-32.
[29] BBl, 2003, S. 2923 ff.; AB SR, 2003, S. 529 ff. und 546 (Nichteintreten auf die Vorlage des BR); AB NR, 2003, S. 1337 ff. und 1343.
[30] Presse vom 30.1. und 12.7.03. Im Nachgang an die „Rentenklau“-Diskussion des Vorjahres wurden von beiden Kammern mehrere Vorstösse zur Transparenz und Aufsicht teils integral, teils in einzelnen Punkten, teils in Form von in Postulate umgewandelten Motionen überwiesen: AB SR, 2003, S. 455 und 1241 f.; AB NR, 2003, S. 1722. Vgl. SPJ 2002, S. 217 f. Zur Aufsicht siehe auch SHZ, 5.3.03. Das Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) startete eine Überprüfung der seit einigen Jahren massiv gestiegenen Verwaltungskosten der Sammelstiftungen (TA, 8.2.03).
[31] BBl, 2003, S. 6399 ff.; Presse vom 4.3., 11.3. (Arbeitgeber und Gewerkschaften), 22.5. und 20.9.03; CHSS, 2003, S. 139 und 279 f. Vgl. SPJ 2002, S. 217 f. Die Pensionskassen erzielten im Berichtsjahr erstmals seit 2000 wieder eine positive Rendite. Die meisten autonomen Einrichtungen schlossen im Plus ab. Die mittlere Rendite des konsolidierten Wertschriftenvermögens lag bei 9,5%. Zum guten Ergebnis trugen die sich erholenden Aktienmärkte erheblich bei (Presse vom 23.2.04).
[32] AB SR, 2003, S. 1104 ff. und 1114 f.
[33] Presse vom 23.5., 30.5. und 11.9.03; NZZ, 6.5.03. Aus den im September vorliegenden vorläufigen Ergebnissen der jährlich von der Complementa Investment Controlling SA in Zusammenarbeit mit der AWP Soziale Sicherheit durchgeführten Studie „Risk Check Up“ ging hervor, dass die Zahl der Pensionskassen in Unterdeckung zwischen Ende 2002 und Ende März 2003 von 45 auf 60% angestiegen war; bis zum Mindestzinssatzentscheid lag die Zahl dann aber wieder bei knapp 40%. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker auch aus dem bürgerlichen Lager verlangten, dass Änderungen des Mindestzinssatzes nach einer verbindlichen Formel zu erfolgen haben; heute liegen sie im Ermessen des BR (SHZ, 27.8.03; BaZ, 5.9.03).
[34] TA, 20.6. und 26.6.03; Presse vom 24.6.03; NZZ, 29.7.03; 24h, 18.9.03. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine dringliche Anfrage der SP-Fraktion in AB NR, 2003, Beilagen V, S. 244 ff. Da verschiedene Versicherungsgesellschaften fast gleichzeitig mit praktisch identischen Modellen bei den Behörden vorstellig wurden, eröffnete die Weko im November Vorabklärungen bezüglich möglicher unzulässiger Absprachen (NZZ, 28.8. und 5.11.03).
[35] TA, 25.6.03; NZZ, 19.7. und 20.8.03; Lib, 10.9.03. Zur Kontroverse über die Berechnung des Längerlebigkeitsrisikos, wo die Versicherungsgesellschaften von einer um drei Jahre höheren Lebenserwartung ausgehen als die autonomen Kassen, siehe TA, 22.7.03; Presse vom 23.7.03; BaZ, 29.7.03.
[36] Postulat und ablehnende Stellungnahme des BR: Geschäft 03.3437; Presse vom 27.9. und 28.9.03. Zum Versicherungsaufsichtsgesetz siehe oben, Teil I, 4b (Versicherungen).
[37] AZ, 24.7.03; SoZ, 27.7.03; Presse vom 13.9.03; NZZ, 2.12.03. Von den Vertragsauflösungen und neuen Modellen sind die in den Sammelstiftungen zusammengeschlossenen KMU besonders betroffen. Eine massive Anhebung der Beiträge hätte für sie besonders harte wirtschaftliche Folgen.
[38] AB SR, 2003, S. 1003 ff.
[39] AB NR, 2003, S. 616 ff. Siehe SPJ 2002, S. 218 ff. Im Berichtsjahr wurden die Revisionen von AHV und BVG stets gleichzeitig behandelt; davon erhoffte man sich mehr politischen Handlungsspielraum. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit im EDI sprach sich BR Couchepin gegen eine Öffnung der 2. Säule für tiefere Einkommen aus. Er erklärte, er sei in diesem Bereich grundsätzlich nicht zu neuen Leistungen bereit, solange das ganze System nicht stabilisiert sei (NZZ, 3.1.03).
[40] AB SR, 2003, S. 444 ff., 755 ff., 956 und 1030 f.; AB NR, 2003, S. 925 ff., 1517 und 1744.
[41] NLZ, 24.1.03. Siehe SPJ 2002, S. 221.
[42] Presse vom 12.2.-17.5.03, insbesondere vom 12.2. (SP), 26.2. (BR Couchepin), 29.3. (Nein-Komitee) sowie NZZ, 26.2. (NR Cavalli, sp, TI / NR Gutzwiller, fdp, ZH), 9.4. (Arbeitgeberverband), 7.5. (SR Brändli, svp, GR) und 9.5.03 (CVP-Präsident und SR Stähelin, TG); TA, 27.3. (Cavalli / Gutzwiller); Bund, 29.3. (Cavalli / Couchepin). Santésuisse setzte rund 1,5 Mio Fr. zur Bekämpfung der Initiative ein, was für recht viel Wirbel sorgte, da nicht klar war, aus welchen Quellen diese Summe stammte (TA, 4.3. und 13.3.03); siehe dazu auch die Stellungnahme des BR zu Fragen im NR: AB NR, 2003, S. 148 f.
[43] BBl, 2003, S. 5164 ff.; Presse vom 19.5.03.
[44] Blaser, Cornelia et al., Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 18. Mai 2003, Vox Nr. 81, Zürich 2003.
[45] BBl, 2003, S. 422 ff.; Presse vom 17.1.03. Siehe SPJ 2002, S. 221. Der NR überwies eine Motion Mörgeli (svp, ZH) für den vollen Abzug der Prämien sowohl der Grund- wie der Zusatzversicherungen von der allgemeinen Bundessteuer in Postulatsform (AB NR, 2003, S. 1223).
[46] BBl, 2003, S. 3977 ff.; Presse vom 19.5., 24.5., 27.5., 28.5., 30.6., 14.11. und 1.12.03; WoZ, 7.8.04. Die im Vorjahr vom Westschweizer Komitee „Rassemblement des Assurés et des Soignants“ lancierte Volksinitiative „Krankenkassenprämien in den Griff bekommen“ kam nicht zustande: BBl, 2003, S. 5935. Siehe SPJ 2002, S. 220.
[47] AB SR, 2003, S. 111 f.; AB NR, 2003, S. 497 ff. Zum Bericht des BSV, der auf ein Postulat der SGK des NR zurückgeht, siehe NZZ, 30.5.03. Für eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Westschweizer Sanitäts- und Sozialdirektorenkonferenz vgl. NZZ, 25.11.03.
[48] AB SR, 2003, S. 1121.
[49] AB SR, 2003, S. 1122. Siehe dazu auch ein überwiesenes Postulat Robbiani (cvp, TI) in AB NR, 2003, Beilagen I, S. 310 f. sowie eine (abgelehnte) pa.Iv. Thanei (sp, ZH): a.a.O., S. 1456 ff. Vgl. SPJ 2001, S. 195.
[50] AB SR, 2003, S. 112 (Motion) und 999 f. (Waadt und Genf); AB NR, 2003, S. 725 ff. (Waadt und Genf), 728 (Waadt) und 731 (Wallis). Siehe SPJ 2002, S. 223 und 2001, S. 195.
[51] AB NR, 2003, S. 728 ff.; AB SR, 2003, S. 1001. Siehe SPJ 2002, S. 223.
[52] AB NR, 2003, S. 1899.
[53] BBl, 2003, S. 4349 ff.; AB SR, 2003, S. 753 ff.; AB NR, 2003, S. 1345 ff. Eine pa.Iv. der SP-Fraktion für ein Moratorium für die Krankenkassenprämien wurde mit 112 zu 59 Stimmen klar abgelehnt (AB NR, 2003, S. 163 ff.).
[54] Presse vom 17.4., 19.4., 21.5., 31.5. und 7.6.03. Zu einer Studie über die Auswirkungen von erhöhten Wahlfranchisen auf die Gesundheitskosten siehe Presse vom 7.6.03; CHSS, 2003, S. 152 f. Höhere Franchisen und Selbstbehalte waren insbesondere von dem im Vorjahr gegründeten „Gesundheitsrat“ verlangt worden (NZZ, 28.2. und 1.3.03). Zur Rolle dieses FDP-dominierten Gremiums als „Einflüsterer“ Couchepins siehe Bund, 28.2.03. Vgl. SPJ 2002, S. 221*.
[55] NZZ, 6.9. und 4.11.03.
[56] AB SR, 2003, S. 618 ff.
[57] AB SR, 2003, S. 195 ff. und 338 ff.; Presse vom 29.1. und 25.2.03 (Kommission). Vgl. SPJ 2002, S. 224 f.
[58] AB NR, 2003, S. 1059 ff., 1072 ff., 1080 ff., 1090 ff., 1106 ff., 1110 ff. und 1118 ff.; Presse vom 10.5. und 21.5.03 (Kommission).
[59] AB SR, 2003, S. 733 ff.
[60] AB NR, 2003, S. 1888 ff. und 2048 ff.; AB SR, 2003, S. 1096 ff., 1102 ff. und 1171 ff.
[61] AB NR, 2003, S. 2048 ff.; Presse vom 18.12. (Kommentare) - 20.12.03 (von Couchepin skizziertes weiteres Vorgehen).
[62] BBl, 2003, S. 5973 ff. und 6069 ff. (BR); AB SR, 2003, S. 1001 ff. Siehe SPJ 2002, S. 225.
[63] AB NR, 2003, S. 2118.
[64] AB NR, 2003, S. 825 ff. und 1742; AB SR, 2003, S. 853 und 1029 Siehe SPJ 1999, S.
[65] AB SR, 2003, S. 529 ff.; Presse vom 13.6.03. Siehe SPJ 2002, S. 226 f. Im Mai appellierte der UNO-Ausschuss gegen Frauendiskriminierung an die Schweiz, den bezahlten Mutterschaftsurlaub rasch einzuführen (NZZ, 2.5.03).
[66] AB NR, 2003, S. 1337 ff. und 1747 f.; AB SR, 2003, S. 834 ff. und 1033.
[67] TA, 11.6.03 (Blocher); NZZ, 13.6. (SVP-Fraktion) und 30.6.03 (DV). Rechtsfreisinnige: Bund, 5.11.03; Presse vom 7.11.03. Arbeitgeber: NZZ, 10.7.03.
[68] Presse vom 9.1.2004.
[69] TA, 24.2. und 17.6.03; LT, 13.3. und 2.7.03; NF, 10.6.02; Lagger, Valentin, „Die revidierte Arbeitslosenversicherung tritt in Kraft“, in CHSS, 2003, S. 165.
[70] AB SR, 2003, S. 1012 f. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR in der Fragestunde der Sommersession in AB NR, 2003, S. 1013.
[71] BBl, 2003, S. 5743 ff.; AB SR, 2003, S. 845; AB NR, 2003, S. 1706; BBl, 2003, S. 8110.
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