Année politique Suisse 2003 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Jenische
Die Standplätze der Fahrenden geben seit Jahren immer wieder zu reden. 1999 kaufte ein Jenischer in der Genfer Gemeinde Céligny ein Terrain in der Landwirtschaftszone und errichtete darauf ein Camp für sich und seine Grossfamilie. Die kantonalen Behörden stellten umgehend fest, dass dafür die nötigen Bewilligungen fehlten und forderten die Familie mehrfach auf, das Gelände zu räumen. Ein nachträgliches Baugesuch wurde abgelehnt. Das engagierte Familienoberhaupt – Mitglied der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus – zog die Angelegenheit bis vor Bundesgericht. Dieses lehnte die staatsrechtliche Beschwerde ab. Jenische, so die Begründung, könnten kein Sonderrecht auf Wohnen in der Landwirtschaftszone geltend machen. Die Verweigerung der Baubewilligung sei daher kein unzulässiger Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Beeinträchtigt worden seien weder seine Niederlassungsfreiheit, sein Recht auf Achtung der Privat- und Familiensphäre noch das Recht, seine Kultur generell leben zu können. Gleichzeitig anerkannte das oberste Gericht aber die Fahrenden ausdrücklich als einen Teil der Schweizer Bevölkerung, der als solcher ein Recht auf angemessene Standplätze habe. In Zukunft müssten deshalb die speziellen Bedürfnisse der Jenischen in der Raumplanung berücksichtigt und wenn nötig auch überregional koordiniert werden [25].
Der mit diesem Urteil implizit anerkannte verfassungsrechtliche Anspruch der Fahrenden auf Pflege ihrer traditionellen Lebensweise und Kultur bewog die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats zu einem vom Plenum überwiesenen Postulat, das den Bundesrat auffordert, einen Bericht vorzulegen, der die aktuelle Situation der Fahrenden in der Schweiz und die verschiedenen Formen der Diskriminierung systematisch darstellt und mögliche gesamtschweizerische Massnahmen zur Beseitigung dieser Benachteiligungen und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Jenischen aufzeigt [26].
 
[25] Presse vom 29.3.03.
[26] AB NR, 2003, S. 1727. In Zürich wurde im November von der Radgenossenschaft der Landstrasse, der Interessengemeinschaft der Fahrenden in der Schweiz, das weltweit erste Dokumentations- und Begegnungszentrum der Jenischen eröffnet (NZZ, 8.11.03).