Année politique Suisse 2003 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Kinder- und Jugendpolitik
Im Auftrag des Bundesamtes für Kultur erstellte der Vizepräsident der Eidgenössischen Kommission für Jugendfragen einen Bericht über die Jugendpolitik in den Kantonen. Hauptfazit der Studie war, dass in den meisten Kantonen Jugendpolitik ein Flickwerk ist. Nur wenige kennen eine Koordination der verschiedenen jugendpolitischen Massnahmen. Die Kantone Bern und Genf nehmen hier die Spitzenplätze ein. Auch sehen sie nur vereinzelt eine grössere Partizipation der Jugendlichen am öffentlichen Leben vor. Lediglich drei Kantone (BL, FR, VS) zeichnen sich durch einen Jugendrat oder eine Jugendkommission aus, die in die staatlichen Strukturen eingebunden sind. Einige Kantone kennen das Institut des Jugendparlaments. Immerhin verfügen 20 Kantone über eine Gesetzgebung mit Bestimmungen zur Partizipation im schulischen Bereich. Der Autor empfahl unter anderem, jugendspezifische Stellen in ein und derselben Verwaltungseinheit zusammenzunehmen oder einen koordinierenden Jugendbeauftragten einzusetzen. Der Bund könnte die Kohärenz der Jugendpolitik in den Kantonen mit einer klareren Aufgabenteilung verbessern, weshalb die Forderung nach einem Rahmengesetz, wie sie die Motion Janiak (sp, BL) verlangt hatte, gerechtfertigt sei [43].
Wie eine neue internationale Studie zeigte, ist die Schweizer Jugend im Vergleich mit Jugendlichen anderer Länder politisch schlecht gebildet. Bei den Fragen nach dem politischen Wissen lagen die Ergebnisse der rund 3100 befragten Schweizer Schülerinnen und Schüler im hinteren Mittelfeld, beim Interesse an Politik sogar im letzten Drittel. Am schlechtesten schnitten die hiesigen Jugendlichen bei der Frage ab, ob sie als Erwachsene wählen werden. Nur gerade jeder Zweite beantwortete die Frage mit Ja. Damit nahm die Schweiz den letzten Platz ein. In Zypern, Spitzenreiterin in vielen Kategorien, erklärten über 90% der Jugendlichen, dereinst wählen zu wollen. Gross erschien hingegen das Vertrauen in die politischen Institutionen und Behörden. Bei der Frage nach dem Vertrauen in die staatlichen Institutionen belegte die Schweiz Platz drei, bei jener nach dem Vertrauen in die Regierung Platz zwei [44].
Da aus heutiger Sicht das Haager Übereinkommen über die internationalen Kindesentführungen zu wenig differenziert erscheint, forderte Nationalrätin Leuthard (cvp, AG) den Bundesrat in einer mit seinem Einverständnis überwiesenen Motion auf, sich für eine Anpassung der Konvention sowie für eine kindergerechte Handhabung der bestehenden Normen einzusetzen [45].
Der Bundesrat war auch bereit, ein Postulat Leuthard entgegen zu nehmen, das ihn einlädt, anhand der zu eruierenden Ursachen und Hintergründe der ständig im Steigen begriffenen Gewalt, Jugendkriminalität und auch der Jugendsuizidrate ein Konzept mit konkreten Massnahmen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu erstellen. Dabei seien schon vorgeschlagene und neue Massnahmen gegeneinander abzuwägen. Schliesslich sei ein Überblick über die in den letzten Jahren bereits eingeleiteten Massnahmen auf Stufe Bund, Kantone und Städte/Gemeinden zu geben und deren Wirksamkeit qualitativ zu bewerten [46].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat knapp eine Motion angenommen, welche eine stärkere Förderung der Freiwilligenarbeit Jugendlicher verlangte. Der Ständerat folgte nun aber dem Antrag des Bundesrates, der erneut auf die Möglichkeiten im Jugendförderungsgesetz verwies, und verabschiedete den Vorstoss nur als Postulat beider Räte [47].
 
[43] Lit. Frossard; Presse vom 26.5.03. Siehe SPJ 2001, S. 231 f. und 2002, S. 248 f. Für eine im Auftrag von UNICEF Schweiz erstellte Studie, die ebenfalls die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten der Schweizer Kinder und Jugendlichen in Politik und Gesellschaft bemängelte, siehe Presse vom 11.2.03.
[44] Lit. Oser/Biedermann; Bund, 11.8.03. Dennoch kandidierten rund 400 junge Erwachsene für den NR (BaZ, 23.8.03). Zum starken Engagement der Schweizer Schülerinnen und Schüler bei den Demonstrationen gegen den Irakkrieg siehe Presse vom 22.3. und 24.3.03; BaZ, 12.4.03; BZ, 19.4.03 sowie oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen).
[45] AB NR, 2003, S. 1723. Siehe auch die Antwort des BR auf drei Fragen aus dem NR (AB NR, 2003, Beilagen I, S. 62 ff. und 605). Für umstrittene Bundesgerichtsurteile in diesem Bereich vgl. BaZ, 23.7.03. Zu Massnahmen gegen die Pädophilie, insbesondere im Internet siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[46] AB NR, 2003, S. 1726. Zu einer ETH-Studie über Jugendgewalt siehe TA, 18.3.03. Zur Jugendkriminalität vgl. NZZ, 11.11.03. Für eine Studie, die zeigte, dass sich die psychische Gesundheit der Schweizer Jugend seit 1993 stark verschlechtert hat, wobei insbesondere Stressgefühle und der Konsum von bewusstseinsverändernden Substanzen zugenommen haben, siehe Presse vom 20.11.03.
[47] AB SR, 2003, S. 558. Siehe SPJ 2002, S. 249.