Année politique Suisse 2004 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Grüne Partei (GP)
Anfang Januar bestätigten die Grünen an ihrer Delegiertenversammlung in Biel Ruth Genner (ZH) als Parteipräsidentin für die nächsten zwei Jahre. Der bisherige Co-Präsident Patrice Mugny (GE) hatte seinen Rücktritt bekannt gegeben, nachdem er im vergangenen Jahr in die Genfer Regierung gewählt worden war. Der Genfer Nationalrat Ueli Leuenberger (GE) wurde zum neuen Vizepräsidenten gewählt. Die Grünen beabsichtigen, am Ende der Legislaturperiode in allen Schweizer Kantonen grüne Parteien zu haben, auch in den beiden Appenzell, in Graubünden und in Schwyz, wo sie noch nicht vertreten sind. Die drei Vorlagen vom 8. Februar empfahl die GP zur Ablehnung [40].
Anfang April fassten die Grünen in Schaffhausen einstimmig die Nein-Parole zum Steuerpaket; sie hatten dagegen das Referendum ergriffen. Die 11. AHV-Revision wurde mit einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen ebenfalls abgelehnt; die Vorlage sei die erste reine Abbauvorlage seit Bestehen der AHV/IV. Mit 65:24 Stimmen bei 9 Enthaltungen befürworteten die Grünen hingegen die Erhöhung der MWSt [41].
Im Juni beschlossen die Parteispitzen von GP und SP, ihre Zusammenarbeit zu institutionalisieren und sich viermal jährlich während der Sessionen zu treffen, um gemeinsame Anliegen zu diskutieren. Die Vereinbarung war auf Wunsch der Grünen zustande gekommen, die sich trotz ihres Wahlsieges in den eidgenössischen Wahlen vom Vorjahr im politischen Diskurs von der SP nicht als gleichwertiger Partner anerkannt fühlten [42].
Anfang Juli gab die frühere Parteipräsidentin der GP, die Zürcher Regierungsrätin Verena Diener, gemeinsam mit dem abgewählten Präsidenten der Zürcher Kantonalpartei und Nationalrat Martin Bäumle die Gründung einer neuen grün-liberalen Partei bekannt, da die Zürcher Grünen einen zunehmend gewerkschaftlich orientierten Linkskurs verfolgten. Die Grüne Partei Schweiz zeigte sich überrascht und enttäuscht über das Vorgehen. Die Grün-Liberalen Zürich (GliZ) würden nicht automatisch Mitglied der GP, sie müssten zuerst das Programm der Landespartei akzeptieren und ein Jahr als Beobachter absitzen. Die Grüne Fraktion der Bundesversammlung sistierte die Mitgliedschaft Bäumles, bis das Verhältnis zwischen GliZ und GP geklärt sei. Sollten die GliZ in die GP aufgenommen werden, wäre Bäumle automatisch wieder Fraktionsmitglied, es stünde ihm aber auch frei, den Verbleib in der Fraktion zu beantragen; diese würde dann frei entscheiden, wie sie es bei anderen nicht der Partei angehörenden Personen wie Hugo Fasel (csp, FR) getan habe. Ende Oktober wies der Vorstand der GP einen Antrag der GliZ auf Aufnahme vorerst zurück, weil die GLiZ noch kein Parteiprogramm hätten und daher auch nicht klar sei, was sie unter dem Etikett „liberal“ verstünden [43].
Nach eingehender Diskussion sprach sich die Delegiertenversammlung in Winterthur (ZH) Ende August mit 82:26 Ja bei 6 Enthaltungen deutlich für die Abkommen von Schengen und Dublin aus. Das Schengener Abkommen sei zwar Instrument einer repressiven Migrations- und Asylpolitik, jedoch angesichts von Bundesrat Blochers Asylpolitik das geringere Übel. Die anderen Abkommen im Rahmen der Bilateralen II hiessen die Grünen einstimmig gut (108 Ja, 4 Enthaltungen). Zu allen vier Vorlagen vom 26. September gaben sie die Ja-Parole heraus, zum Mutterschaftsurlaub und zu den beiden Einbürgerungsvorlagen einstimmig, zur Post-Initiative mit einer Gegenstimme [44].
Mit 82:8 Stimmen beschlossen die Grünen in Sitten (VS) die Nein-Parole zum Stammzellenforschungsgesetz; sie hatten bereits das Referendum unterstützt. Mit 61:28 Stimmen lehnten die Delegierten auch die NFA ab; sie befürchteten, die Vorlage führe zu einem Sozialabbau. Gegen den Antrag des Vorstandes, der die Mehrwertsteuer teilweise durch eine ökologische Steuerreform ersetzen wollte, folgten die Grünen schliesslich ihrer Bundeshausfraktion und gaben mit 76:23 Stimmen die Ja-Parole zur neuen Finanzordnung heraus. Abschliessend verabschiedeten sie eine Resolution für ein zehnjähriges Atomkraftwerk-Moratorium [45].
Mit einem „Sozialpolitischen Manifest aus grüner und urbaner Sicht“ wollten die vier grünen städtischen Sozialvorsteher Therese Frösch (Bern), Ruedi Meier (Luzern), Thomas Feurer (Schaffhausen) und Monika Stocker (Zürich) die Diskussion um die Lösung der sozialpolitischen Probleme neu anstossen. In den Städten sei der Druck am grössten und der Handlungsbedarf am dringlichsten. Als Grundlage für das Zusammenleben forderten sie Integration statt Sozialhilfe und Renten sowie mehr Sicherheit und Lebensqualität im Alter [46].
Im November lehnten die vier Bundesratsparteien es ab, den Grünen das Nationalratspräsidium zu überlassen. Damit brachen sie mit einem alten Entscheid, alle zwölf Jahre einer kleinen Nichtregierungspartei den Vorsitz der grossen Kammer abzutreten. Früher hatte jeweils die SVP als ehemals kleinste Partei auf den Vorsitz verzichtet. Dazu war die jetzt kleinste Partei, die CVP, nicht bereit [47].
In den kantonalen Parlamentswahlen legten die Grünen gemessen an ihrer bisherigen Stärke am meisten von allen Parteien zu; sie konnten ihre Vertretung von 25 auf 47 Sitze nahezu verdoppeln. Allein in Basel-Stadt eroberten sie neun zusätzliche Mandate, in St. Gallen sieben, im Thurgau fünf und in Uri eines. In Basel-Stadt schaffte Guy Morin den Sprung in die Exekutive, während in Schaffhausen Herbert Bühl aus der Regierung ausschied.
 
[40] Presse vom 12.1.04. Im Frühling wurde „Basels starke Alternative BastA“ Vollmitglied der Grünen; im Sommer wurde der Parti écologiste valaisan aufgenommen, womit neu alle lateinischen Kantone in der GP vertreten sind (NZZ, 31.3., 22.6. und 30.8.04).
[41] Presse vom 5.4.04.
[42] BZ, 19.3.04; TA, 17.6.04; NZZ, 19.6.04.
[43] Presse vom 3.7., 19.7. und 30.8.04; LT und NZZ, 19.8.04; AZ, 29.10.04. Zur Positionierung der GP siehe auch die Beiträge des Fraktionspräsidenten der Grünen Freien Liste im Kanton Bern und ehemaligen Generalsekretärs der GP, Bernhard Pulver, sowie des jetzigen Generalsekretärs der GP, Hubert Zurkinden, in NZZ, 16.2. und 25.2.04.
[44] Presse vom 30.8.04.
[45] BZ, 28.10.04; Presse vom 1.11.04.
[46] NZZ, 3.11.04.
[47] TA, 13.11.04.; BZ, 25.11.04.