Année politique Suisse 2004 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Die Zahl der Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten schrumpfte, nach der Verdoppelung im Vorjahr infolge des Irak-Kriegs, wieder auf das übliche Mass zusammen. Es fanden insgesamt 40 statt (2003: 58); am häufigsten in der Bundesstadt Bern (11), gefolgt von Genf (6), Zürich (5) sowie Lausanne (4). Die grösste Kundgebung des Jahres wurde vom Gewerkschaftsbund in Bern mit rund 15 000 Beteiligten durchgeführt. Häufigster Anlass für Grosskundgebungen waren Sparmassnahmen der Kantone. Staatsangestellte führten insgesamt 14 derartige Protestkundgebungen durch, zudem manifestierte die betroffene Bevölkerung dreimal an grossen Demonstrationen gegen Spitalschliessungen. Im Gegensatz zum Vorjahr fanden nur ganz wenige Grosskundgebungen (3) zu internationalen Themen statt. Die Demonstrationen von Ausländern gegen die Zustände in ihren Herkunftsstaaten (v.a. von Kurden und Tamilen), welche noch in den 90er Jahren die schweizerische Kundgebungsstatistik dominiert hatten, fanden, wenn überhaupt, in kleinem Rahmen statt [25].
Der Kongress des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos (GR), welcher in den letzten Jahren jeweils zu Gegendemonstrationen von Globalisierungsgegnern und meist auch zu Ausschreitungen geführt hatte, verlief dieses Jahr nahezu ohne diese Begleiterscheinungen. Nach den Vorfällen im Vorjahr hatten sich Organisationen mit grossem Mobilisierungspotential wie Gewerkschaften, Kirchen und auch die SP mit den militanten linksradikalen Kräften zerstritten und waren nicht mehr zu gemeinsamen Aktionen bereit. Radikale Gruppen führten in einer Reihe von Schweizer Städten kleine Kundgebungen durch, wobei es lediglich zu einzelnen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam [26].
Der Nationalrat nahm lediglich Kenntnis von einer Petition der Jugendsession 2002, welche ein Verbot von Gummigeschossen, chemischen Zusätzen bei Wasserwerfern und chemischen Kampfstoffen bei grossen Demonstrationen forderte. Der Antrag der linken Minderheit der Rechtskommission, zumindest mit einer Motion eine bundesrechtliche Regelung für den Einsatz von chemischen Substanzen durch die Polizei und ein Verbot für die Verwendung gesundheitsgefährdender Stoffe zu verlangen, fand im Plenum keine Zustimmung [27].
 
[25] Allgemein zur Schätzung der Teilnehmerzahlen siehe BZ, 17.1.04. Kundgebungen mit mindestens 1000 Beteiligten (ohne 1. Mai-Demonstrationen): Bern: Bund, 22.3. (3000/gegen Irakkrieg), 22.3. (2000/gegen Faschismus), 29.3. (1800/Förster gegen Subventionskürzungen), 2.4. (1000/Schüler gegen Bildungsabbau); TA, 4.10. (1000/gegen „rassistische Abstimmungskampagne der SVP“); Bund 18.10. (10 000/Behinderte gegen Neuen Finanzausgleich), 25.10. (4000/für Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft), 1.11. (15 000/Gewerkschafter für Lohnerhöhungen), 8.11. (1500/Westschweizer für Autobahnbau), 15.11. (2500/gegen Südanflüge auf Zürich/Kloten), 26.11. (2000/Lehrer gegen neues Lohnsystem). Genf: NF, 13.3. (8000/Solidarität mit Attentatsopfern in Madrid); Bund, 5.5. (6000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); TG, 15.5. (6000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); NZZ, 24.9. (3000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen), 13.11. (1000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); 14.12. (2000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen). Zürich: TA, 9.3. (2000/Frauen); NZZ, 13.3. (1000/Solidarität mit Attentatsopfern in Madrid); Bund, 29.3. (2000/Maler+Gipser für Frühpensionierung); TA, 24.9. (2000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen), 5.11. (8000/Staatspersonal gegen neues Lohnsystem). Lausanne: 24h, 13.9. (1500/gegen Asylpolitik (Ausschaffungen)); QJ, 24.9. (5000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); TA, 6.10. (10 000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); Lib., 11.11. (6000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen). Basel: TA, 30.1. (2000/gegen Sparmassnahmen an der Uni); NZZ, 12.2. (1500/gegen Strassenbauprojekt in Riehen). Biel: Bund, 27.8. (2000/gegen Gewalt). Chur: NZZ, 26.1. (1500/gegen WEF). Flawil (SG): NZZ, 20.1. (1500/gegen Spitalschliessung). Kloten: TA, 2.2. (7000/gegen Südanflüge). Luzern: NLZ, 28.4. (1000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen). Meilen (ZH): TA, 23.4. (1000/gegen Spitalschliessung). Murten (FR): BZ, 26.1. (4000/gegen Spitalschliessung). Reconvilier (BE): Bund, 25.11. (3000/Unterstützung für lokalen Streik). Riehen (BS): BaZ, 26.4. (1500/gegen Strassenbauprojekt in Riehen). Solothurn: SZ, 2.12. (1500/Lehrer gegen Sparmassnahmen). Vevey (VD): TA, 15.3. (1000/gegen Gewalt im Alltag). Würenlingen (AG): TA, 3.5. (3000/gegen Fluglärm).
[26] Globalisierungskritiker: TA, 8.1., 16.1. und 24.1.04. Demonstrationen: 24h, 12.1.04 (Winterthur); BZ, LT und TA, 19.1.04; NZZ, 22.1.04; BüZ, 26.1.04. Vgl. SPJ 2003, S. 22 f. Zur Entwicklung und Aktivität von links- und rechtsextremen Gruppierungen siehe den Extremismusbericht des Bundesrates: BBl, 2004, S. 5011 ff. und 6962 (Korrektur in Bezug auf eine zu Unrecht erwähnte jüdische Gruppierung); Presse vom 27.8.04.
[27] AB NR, 2004, S. 261 ff. und 264 ff.