Année politique Suisse 2004 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Gerichte
Als Zweitrat nahm der Nationalrat die Beratung der
Totalrevision der Bestimmungen über die Organisation und Verfahren der Bundesgerichte und des neuen Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht auf. Dabei hatte es, nachdem das Bundesgericht seine Unzufriedenheit mit der Version des Ständerates kundgetan hatte, eine kleine Verzögerung gegeben. Auf Ersuchen der Rechtskommission des Nationalrats präsentierte eine vom EJPD-Vorsteher geleitete Arbeitsgruppe einen neuen Vorschlag. Dieser erhöhte die Streitwertgrenze für Zivilsachen nur auf 30 000 statt auf 40 000 Fr. und verzichtete bei Straf- und Steuersachen im Gegensatz zur Version der kleinen Kammer ganz auf eine Streitwertgrenze
[25]. Die Nationalratskommission übernahm diese Vorschläge und ging sogar noch etwas weiter, indem sie bei arbeits- und mietrechtlichen Streitsachen die Streitwertgrenze auf 15 000 reduzierte. Eintreten war im Plenum unbestritten. Abgesehen von der erwähnten Streitwertgrenze wurden die Entscheide des Ständerats von den Kommissionssprechern als tragfähiger Kompromiss gelobt und vermochten sich fast durchwegs durchzusetzen
[26].
In einer im Sommer präsentierten Botschaft schlug der Bundesrat ein befristetes Gesetz vor, das den gesetzlichen Rahmen für die
Aufbauphase des neuen Bundesverwaltungsgerichts bildet. Geschaffen werden soll damit insbesondere ein Gremium, welches noch vor der für 2007 geplanten Einsetzung des Gerichts die für die Inbetriebnahme erforderlichen Entscheide fällt (z.B. über die Einstellung von administrativem Personal). Der Ständerat hiess dieses Gesetz in der Dezembersession gut
[27].
Im Berichtsjahr wurde in den Medien einige Kritik an der
Bundesanwaltschaft und deren Leiter, Valentin Roschacher, laut. Einerseits wurden ihnen Pannen bei Ermittlungsverfahren angelastet, andererseits wurde behauptet, dass es der Bundesanwaltschaft nicht gelinge, das neue
Bundesstrafgericht, welches am 1. April in Bellinzona seine Arbeit aufgenommen hatte, mit einer ausreichend grossen Zahl von Fällen zu ‚beliefern’ und damit plangemäss auszulasten. Anfang Dezember fällte der Bundesrat den Grundsatzentscheid, dass die bisherige Zweispurigkeit der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft (administrativ durch das EJPD, fachlich durch das Bundesstrafgericht) aufgehoben werden soll. Der Chef des EJPD, Christoph Blocher, sprach sich für eine Unterstellung unter sein Departement aus. Dabei betonte er, dass dieser Grundsatzentscheid nichts mit den oben erwähnten Kritiken an Roschachers Amtsführung zu tun, sondern rein organisatorische Gründe habe
[28].
[25] Für Fälle von grundsätzlicher Bedeutung besteht ohnehin keine Streitwertgrenze.
[26]
AB NR, 2004, S. 1570 ff., 1575 ff., 1635 ff. und 1644 ff.;
NZZ, 8.4. und 13.9.04;
TA, 5.10.04 (NR-Kommission).
[27]
BBl, 2004, S. 4787 ff.;
AB SR, 2004, S. 873 ff.
[28] Presse vom 4.12.04. Zur Geschäftslast des Bundesstrafgerichts siehe auch
NZZ, 20.8.04. Vgl. auch die Replik von Roschacher auf die Kritik in Presse vom 9.12.04. Der NR überwies in der Herbstsession eine Motion Hofmann (sp, AG) für eine Überprüfung der Aufsichtsstruktur (
AB NR, 2004, S. 1741). Zum Grundsatzentscheid siehe Heinrich Koller (Direktor des BA für Justiz), „Unabhängigkeit der Justiz ist nicht gefährdet“, in
NZZ, 20.12.04 sowie
TA, 21.12.04. Zur Eröffnung des Bundesstrafgerichts in Bellinzona siehe
BaZ, 1.4. und 7.7.04;
SoZ, 25.4.04;
AZ, 16.8.04;
CdT, 17.9.04 (offizielle Eröffnungsfeier).
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