Année politique Suisse 2004 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Kollektive Arbeitsbeziehungen
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Gesamtarbeitsverträge
In Sitten wurde Ende Jahr der erste Gesamtarbeitsvertrag (GAV) in der Schweizer Landwirtschaft unterzeichnet. Er regelt minimale soziale Standards für 8000 Beschäftigte in 5000 Walliser Bauernbetrieben. Der mit den christlichen Gewerkschaften vereinbarte GAV tritt am 1. Januar 2005 in Kraft. Für die Gewerkschaften fixiert der GAV ein "akzeptables" soziales Minimum. Für unqualifizierte Hilfskräfte werden Stundenlöhne von 10,85 bis 13,50 Fr., für Berufsleute 17 bis 20 Fr. und für Kaderleute 20,50 bis 24 Fr. bezahlt. Gegenüber heute steigen die Löhne - je nach Funktion - um 1,4 bis 8%. Der Vertrag regelt neben den Minimallöhnen auch die wöchentliche Arbeitszeit von 48 bis 55 Stunden sowie die Beteiligung an den Krankenkassenprämien. Der GAV soll dazu beitragen, Schwarzarbeit zu verhindern. Er gilt für eine Dauer von drei Jahren. Im Wallis ist vor allem zur Erntezeit der Bedarf an Hilfskräften gross, da die Gemüse-, Wein- und Obstproduktion 75% des landwirtschaftlichen Einkommens ausmacht [21].
Der GAV der grafischen Industrie lief nach zehn Jahren Ende April aus. Die Gewerkschaft Comedia drohte bereits zu Jahresbeginn mit Streikbewegungen, falls der neue GAV nicht deutliche Verbesserungen bringe. Die Comedia forderte für den neuen Vertrag unter anderem den automatischen Teuerungsausgleich und eine Reallohnerhöhung von 200 Fr. für alle, da die Löhne in den letzten zehn Jahren stagniert hätten, während die Produktivität um 30 Prozent zugenommen habe. Das Ansinnen der Arbeitnehmer, die Arbeitsbedingungen nur noch zum Teil im GAV zu regeln und mehrheitlich in den Betrieben auszuhandeln, lehnte die Gewerkschaft ab. Zudem verlangte sie, dass der GAV von den Behörden als allgemeinverbindlich zu erklären sei. Bisher galt er nur für 12 000 der gut 30 000 Beschäftigten. Abseits standen insbesondere der Westschweizer Verlagskonzern Edipresse, die Zürichsee Druckereien und der Verlag „Südostschweiz“. Bei einer ersten Verhandlungsrunde Anfang Jahr beharrten beide Sozialpartner auf ihren Positionen. Für die Arbeitgeber war die absolute Friedenspflicht Bedingung für Verhandlungen; die Gewerkschaften Comedia und Syna wandten sich kategorisch gegen diese Forderung und wollten lieber über inhaltliche Fragen des GAV diskutieren. Die im Schweizerischen Verband für visuelle Kommunikation (Viscom) zusammengeschlossenen Arbeitgeber schlugen eine Verlängerung des bisherigen GAV um fünf Jahre vor, was wiederum von den Gewerkschaften abgelehnt wurde. Im September erfolgte dann der Durchbruch: der neue, auf vier Jahre abgeschlossene GAV sieht eine Erhöhung der Mindestlöhne um 300 Fr. für Ungelernte und von 150 bis 200 Fr. für Gelernte vor. Nicht durchsetzen konnten sich die Gewerkschaften mit ihrem Wunsch nach einer generellen Lohnerhöhung und bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des GAV [22].
 
[21] Presse vom 21.12.04. Für die vom NR in den Vorjahren wiederholt abgelehnte Forderung nach einem landesweiten Normalarbeitsvertrag in der Landwirtschaft siehe SPJ 2002, S. 190 und 2003, S. 202. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 4c (Politique des revenus).
[22] NZZ, 10.1., 13.1.,18.6. und 20.8.04; Presse vom 14.1.04; TA, 16.9., 29.9. und 11.10.04; WoZ, 24.6.04. Zu keiner Einigung kam es hingegen beim GAV für die schriftliche Presse (TA, 17.9.04 sowie unten, Teil I, 8c, Presse).