Année politique Suisse 2004 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Krankenversicherung
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Teilrevision des KVG
Nur wenige Tage nach dem definitiven Scheitern der 2. Teilrevision des KVG im Nationalrat (Ende 2003) hatte Bundesrat Couchepin seinen Kollegen seine Vorschläge für das weitere Vorgehen unterbreitet. Er regte an, die Revision solle in zwei Gesetzgebungspakete mit Einzelvorlagen aufgeteilt werden, um allfällige unheilige Allianzen in Parlament und Öffentlichkeit möglichst zu vermeiden. Als dringlich einer Lösung bedürfend befand Couchepin die Bereiche Spitalfinanzierung, Risikoausgleich, Pflegefinanzierung und Beschränkung der zur Abrechnung über die Grundversicherung zugelassenen Arztpraxen. An einem Treffen Couchepins mit einer Delegation der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren Mitte Januar wurden neben diesen Themen auch die Einführung der Vertragsfreiheit zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, die Prämienverbilligung, die Förderung von Managed Care und die Kostenbeteiligung der Versicherten diskutiert. Damit waren die Felder abgesteckt, in welchen der Bundesrat in den kommenden Monaten seine Lösungsvorschläge dem Parlament zu unterbreiten gedachte. Bei den ersten Von-Wattenwyl-Gesprächen der neuen Legislatur fand dieses kapitelweise Vorgehen die Zustimmung der Bundesratsparteien [33].
Als erstes Reformpaket verabschiedete der Bundesrat Ende Mai jene Revisionsteile, die bald auslaufende befristete Regelungen weiterführen resp. ablösen. Zur Verlängerung empfahl er die Spitalfinanzierung sowie den Risikoausgleich; die Rahmentarife in der Pflege sollten neu definiert und dann bis zum Vorliegen einer umfassenderen Regelung eingefroren werden. Zur administrativen Entlastung der Krankenkassen und zur gezielten Hilfe in medizinischen Notfällen schlug er die Einführung einer einheitlichen Versichertenkarte vor (Botschaft 1A). Anstatt einer Neuauflage des Ende Juni 2005 auslaufenden Zulassungsstopps für neue Arztpraxen wollte er bereits in diesem Reformschritt die Aufhebung des Vertragszwangs zwischen Versicherern und Leistungserbringer vornehmen (Botschaft 1B). In zwei weiteren Botschaften wurden die Reformbereiche Prämienverbilligung (Entlastung der Haushalte mit Kindern) und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit (Verdoppelung der Kostenbeteiligung der Versicherten) thematisiert (Botschaften 1C und 1D). Für die Bereiche, die keinen Aufschub duldeten (Risikoausgleich, Spitalfinanzierung, Kontrahierungszwang) beantragte er für die Herbstsession ein beschleunigtes Verfahren, bei dem beide Kammern eine Vorlage parallel beraten. Das Parlament drosselte dann aber das forsche Tempo des Bundesrates, insbesondere dort, wo es tatsächlich um Neuerungen ging (Kontrahierungszwang, Prämienverbilligung). Die Aufteilung der Revision in Einzelpakete war im Ständerat nicht bestritten. Im Nationalrat verlangte Huguenin (pda, VD) Rückweisung an den Bundesrat mit der Auflage, wieder eine umfassende Gesetzesvorlage auszuarbeiten, da die Aufstückelung den Blick auf das Ganze verwehre; ihr Antrag wurde mit 132 zu 16 Stimmen deutlich abgelehnt [34].
Wegen des harschen Widerstandes der Kantone gegen die Einführung der dual-fixen Finanzierung der Betriebs- und Investitionskosten der Spitäler begnügte sich der Bundesrat damit, für den Moment lediglich eine Verlängerung der 2002 befristet beschlossenen Übergangslösung (kantonaler Sockelbeitrag für Zusatzversicherte in den öffentlichen und öffentlich subventionierten Spitälern) bis zum Inkrafttreten einer neuen Spitalfinanzierung zu beantragen. Diesem Vorschlag folgte der Ständerat einstimmig. Im Nationalrat verlangte eine Minderheit aus FDP und SVP, die Lösung auch auf die privaten Spitäler auszudehnen, unterlag aber mit 104 zu 72 Stimmen. Mit 152 zu 18 Stimmen hiess der Nationalrat die Weiterführung deutlich gut. Beide Kammern nahmen die Dringlichkeitsklausel an, der Ständerat einstimmig und der Nationalrat mit nur 7 Gegenstimmen aus der SVP [35].
Beim Risikoausgleich unter den Krankenkassen, der nach geltender Regelung nur Alter und Geschlecht der Versicherten berücksichtigt, beantragte der Bundesrat, diesen um fünf Jahre (bis Ende 2010) zu verlängern und dann allenfalls eine Neuregelung anzustreben. Im Ständerat unterlag ein Antrag Sommaruga (sp, BE) für eine Weiterführung um lediglich zwei Jahre, da dringender Anpassungsbedarf bei den Kriterien gegeben sei, mit 31 zu 7 Stimmen deutlich. Die Ratsmehrheit vertrat die Auffassung, eine Überprüfung müsse vertieft erfolgen, weshalb zwei Jahre nicht ausreichend seien. Im Nationalrat beantragte die Mehrheit der Kommission, der Verlängerung zwar zuzustimmen, den Bundesrat aber per Gesetz zu beauftragen, bis Ende 2006 einen Vorschlag für einen wirkungsvolleren Risikoausgleich vorzulegen. Eine Kommissionsminderheit aus SVP und FDP setzte, wenn auch knapp mit 85 zu 82 Stimmen, vorbehaltlose Zustimmung zu Bundes- und Ständerat durch. Mit 113 zu 38 Stimmen und im Einvernehmen mit dem Bundesrat nahm der Rat aber ein Postulat seiner SGK an, mit dem der Bundesrat eingeladen wird, innert der Geltungsdauer des befristeten Bundesbeschlusses neue Varianten zum Risikoausgleich zu prüfen [36].
Seit 1998 gelten im Spitex- und Pflegeheimbereich Rahmentarife für jene Leistungen, die über die obligatorische Krankenversicherung abgerechnet werden. Diese unterstehen dem Tarifschutz, es sei denn, die Institutionen könnten tatsächlich zusätzliche Kosten nachweisen. Pflegeheime, die ihre Kosten transparent darlegen, dürfen höhere Tarife verlangen. Als Folge der zunehmenden Transparenz in der Kostenrechnung wurde ein Tarif- und Kostenschub für die Versicherer befürchtet. Der Bundesrat beantragte deshalb, die Rahmentarife in den oberen Pflegebedarfsstufen zu erhöhen, weil sie sich als unbestritten zu tief angesetzt erwiesen hatten, gleichzeitig aber das System weiter zu führen und die Ansätze bis zur Neuordnung der Pflegefinanzierung nicht mehr nach oben anzupassen. Das Einfrieren der Pflegetarife war vom Bundesrat als Übergangsbestimmung angelegt. Die Kommission des Ständerates machte aber eine eigenständige Vorlage daraus und fügte die Bestimmung ein, dass der Bundesrat die Tarife der Teuerung unterstellen kann. Die kleine Kammer stimmte diskussionslos und einstimmig zu. Im Nationalrat beantragte eine SP-Minderheit Nichteintreten. Sie argumentierte, das Einfrieren sei ein ungerechtfertigtes Entgegenkommen an die Versicherer und verhindere lediglich, dass in nützlicher Frist grundlegende Änderungen an die Hand genommen werden. Der Antrag wurde mit 98 zu 61 Stimmen verworfen. In der Detailberatung verlangte die gleiche Minderheit, allerdings unterstützt von Fasel (csp, FR) und Egerszegi (fdp, AG), einen anderen Berechnungsmodus für die Tarife. Bei schweren Fällen sollten die Tarife nicht einfach eingefroren, sondern aufgehoben werden, da sonst die Kranken und das Pflegepersonal stärker belastet würden. Auch dieser Antrag wurde mit 107 zu 67 Stimmen abgelehnt. Der Bundesbeschluss wurde mit 115 zu 71 Stimmen angenommen. Die Nein-Stimmen stammten von den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP. Die Dringlichkeit wurde vom Ständerat einstimmig angenommen, vom Nationalrat mit 103 zu 57 Stimmen [37].
Zu den meisten Diskussionen zwischen den Kammern führte die neu zu schaffende elektronische Versichertenkarte, mit welcher die administrativen Abläufe vereinfacht werden sollen. Der Ständerat reicherte den Vorschlag des Bundesrates in drei Punkten an. Insbesondere bezog er sich bereits auf die geplante, vom Bund zu vergebende Sozialversicherungsnummer. Er bestimmte weiter, der Bundesrat müsse die interessierten Kreise anhören. Zudem listete er die persönlichen Daten (Blutgruppe, Krankheiten, Organspendervermerk etc.) auf, welche auf der Karte gespeichert werden sollten . Gegen diese Bestimmung meldete David (cvp, SG) aus datenschützerischer Sicht Bedenken an, stellte aber keinen Antrag, weshalb die Versichertenkarte in ständerätlicher Form stillschweigend angenommen wurde. Dem Nationalrat lag ein Antrag der Kommissionsmehrheit vor, noch etwas weiter zu gehen als der Ständerat. So sollte nicht nur eine Benutzerschnittstelle für die Rechnungsstellung geschaffen, sondern auch der Zugang zu einer elektronischen Krankengeschichte ermöglicht werden, womit die Versichertenkarte eine eigentliche Gesundheitskarte geworden wäre, die beispielsweise auch Mehrfachbehandlungen vermeiden könnte. Dagegen, aber auch gegen den Ausbau durch den Ständerat, regte sich Widerstand. Eine Minderheit um Hassler (svp, GR), die Zustimmung bei der FDP fand, schlug eine wesentlich allgemeinere Formulierung ohne Schnittstelle zum Patientendossier vor und verzichtete insbesondere auf eine Aufzählung der gespeicherten Daten. Ein Einzelantrag Teuscher (gp, BE) wollte aus datenschützerischen Gründen den ganzen Artikel streichen. Ihr Ansinnen wurde mit 140 zu 18 Stimmen abgelehnt, der Antrag der Minderheit, welcher auch die Unterstützung des Bundesrates fand, mit 99 zu 61 Stimmen angenommen. Die Mehrzahl der Gegenstimmen kam von der SP, deren Vertreter entgegen der Stellungnahme ihres Sprechers am Schluss die Gesundheitskarte doch überwiegend ablehnten. Der Ständerat schloss sich im Grundsatz der moderateren Formulierung an. Da aber im Antrag Hassler die Sozialversicherungsnummer und die Anhörung der interessierten Kreise vor der Einführung der Karte nicht mehr enthalten waren, hielt er in diesen Punkten an seiner ersten Version fest, worauf sich der Nationalrat hier anschloss [38].
In einer weiteren Botschaft schlug der Bundesrat die Aufhebung des Kontrahierungszwangs zwischen Ärzteschaft und Krankenversicherern nach dem im Vorjahr vom Parlament gutgeheissenen Modell vor. Danach bestimmen die Kantone die für die Versorgungssicherheit ihrer Bevölkerung notwendige Anzahl der Ärzte und Ärztinnen jeder Sparte, und die Versicherer werden verpflichtet, mit mindestes dieser Anzahl von Arztpraxen Verträge abzuschliessen (Botschaft 1B). Die Kommissionen beider Kammern kamen aber im Laufe des Sommers zur Ansicht, bei der Vertragsfreiheit stellten sich noch zu viele offene Fragen, weshalb ein vorschnelles Vorgehen riskant wäre. Zudem sei es sinnvoller, diese Thematik gemeinsam mit der Vorlage zu den Managed Care-Modellen zu behandeln. Um dennoch eine gewisse Bremswirkung in diesem Bereich zu haben, nahmen sie eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat in die Vorlage 1A auf, den Mitte 2005 auslaufenden Zulassungsstopp für neue Arztpraxen um weitere drei Jahre zu verlängern. Der Ständerat stimmte diskussionslos zu. Im Nationalrat wollte die bürgerliche Mehrheit der Kommission die Verlängerung des Zulassungsstopps an die Verpflichtung zur Lockerung des Kontrahierungszwangs koppeln, ohne diese im Detail zu umschreiben, unterlag aber mit 100 zu 60 Stimmen einem Antrag Cavalli (sp, TI), in der Frage des Vertragszwangs kein Präjudiz zu schaffen und deshalb der rein zeitlichen Vorgabe des Ständerates zu folgen. Ein Antrag Ruey (lp, VD), die Bestimmung ganz zu streichen und damit die Zulassung neuer Leistungserbringer wieder völlig offen zu lassen, wurde mit 131 zu 31 sehr deutlich abgelehnt. Dieser Teil des Pakets wurde vom Ständerat einstimmig verabschiedet, vom Nationalrat mit 162 zu 16 Stimmen [39].
Als Element der Steigerung der Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten schlug der Bundesrat vor, den Selbstbehalt der Versicherten von 10 auf 20% anzuheben, allerdings nach wie vor mit einer Obergrenze von 700 Fr. pro Jahr. Für Kinder bleibt der Selbstbehalt bei 10%. Die Botschaft 1D wurde im Berichtsjahr nur vom Ständerat behandelt. Sommaruga (sp, BE) stellte den Antrag, diese Vorlage an die Kommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, die Frage des Selbstbehaltes im Zusammenhang mit der Teilrevision Managed Care zu überprüfen. Eine Erhöhung des Selbstbehaltes mache nur Sinn, wenn sie mit einem Anreiz für die Versicherten kombiniert werde, ihre medizinische Behandlung mit ihrem Haus- oder Vertrauensarzt zu koordinieren. Sonst führe die Erhöhung des Selbstbehalts zu einer reinen Kostenverschiebung zu Lasten der Patientinnen und Patienten. Der Rat hörte aber auf die Argumente von Bundesrat Couchepin, der ausführte, die Massnahme setze Anreize, wegen Bagatellfällen nicht gleich den Arzt aufzusuchen. Sie sei sozialverträglich, da sie Familien nicht zusätzlich belaste; Bezüger von EL-Leistungen hätten ohnehin keinen Selbstbehalt, und Chronischkranke mit jährlichen Arztrechnungen von mehr als 7000 Fr. würden nicht stärker zur Kasse gebeten als bisher. Der Antrag Sommaruga wurde mit 30 zu 7 Stimmen abgelehnt. Stillschweigend genehmigte die kleine Kammer den Antrag der Kommissionsmehrheit, den Höchstbetrag des Selbstbehaltes im Gesetz festzuschreiben. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 26 zu 2 Stimmen angenommen; mehrere Abgeordnete der SP enthielten sich [40].
Beim Sozialziel in der Prämienverbilligung übernahm der Bundesrat das im Vorjahr von den Kammern im Grundsatz genehmigte Modell mit den unterschiedlichen Einkommenskategorien und der Privilegierung von Familien mit Kindern. Zu dessen Umsetzung wollte er den Kantonen gestaffelt 200 Mio Fr. zusätzlich zur Verfügung stellen. Die Kantone, welche im Vorjahr im Rahmen der gescheiterten KVG-Revision massgeblich an einer differenzierten Lösung zur Einführung eines Sozialziels mitgearbeitet hatten, stemmten sich noch vor Vorliegen der Botschaft plötzlich dagegen und bezeichneten ein einheitliches Sozialziel als unzulässigen Eingriff in ihre Kompetenzen [41]. Diese Bedenken schlugen sich auch im Ständerat nieder, der die Vorlage als erster behandelte. In der Kommission legte die Basler SP-Abgeordnete Fetz ein Modell ihres Parteikollegen, Nationalrat Rossini (VS), auf den Tisch, welches als geeignet erachtet wurde, die Akzeptanz der KVG-Revision in diesem Punkt zu erhöhen. Fetz schlug vor, dass Familien mit einem steuerbaren Haushalteinkommen bis 75 000 Fr. für ihre Kinder und Jugendlichen in Ausbildung keine Krankenkassenprämien mehr bezahlen sollten. Diese würden vom Staat übernommen und aus den Geldern finanziert, die der Bund den Kantonen für die Umsetzung des Sozialziels zusätzlich zur Verfügung stellen wollte. Ständerat Schwaller (cvp, FR) legte Ende August ein verfeinertes Modell vor, welches den Vorschlag Fetz für die Kinder übernahm, die Eltern von Jugendlichen in Ausbildung aber stärker entlastete (Einkommenslimite 114 000 Fr.) [42].
Die kantonalen Gesundheitsdirektoren lehnten beide Modelle aus verwaltungstechnischen Gründen ab und schlugen stattdessen vor, die Prämien für Kinder bis 18 Jahre ganz abzuschaffen – allerdings zu Lasten der erwachsenen Prämienzahlenden. Hingegen konnte sich Bundesrat Couchepin zunehmend für den ständerätlichen Lösungsansatz erwärmen. Um die verschiedenen Modelle noch eingehender zu prüfen, stellte die kleine Kammer auf Antrag ihrer Kommission diesen Teil der Vorlage bis zur Wintersession zurück und setzte eine Subkommission ein, die auch die Vertreter der kantonalen Gesundheits- und Finanzdirektoren anhörte. Aus der Einsicht heraus, dass die kantonalen Durchschnittseinkommen sehr unterschiedlich sind, eine Prämienbefreiung mit den vorgesehenen 200 Mio Fr. wohl kaum finanzierbar wäre und möglicherweise auch falsche Anreize setzen könnte (null Kosten bei voller Leistung), entwickelte die Subkommission ein offeneres Modell, das auch die Zustimmung der Finanzdirektoren fand und von den Gesundheitsdirektoren zumindest als gangbarer Weg bezeichnet wurde. Anstatt fixe Einkommenslimiten zu definieren, wurde lediglich noch gesagt, dass die Kantone für untere und mittlere Einkommen die Prämien von Kindern und jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 50% verbilligen, allerdings nur im Umfang der durchschnittlichen kantonalen Prämie in diesen Altersegmenten. Bei dieser Lösung wird es den Kantonen überlassen, wie sie die unteren und mittleren Einkommen festlegen wollen. Sie können auch über die 50% hinausgehen. Allerdings müssen die Kantone dem Bund anonymisierte Angaben zu den Begünstigten machen, damit dieser das Erreichen der sozial- und familienpolitischen Ziele überprüfen kann. Gemäss früherer Beschlüsse zur Prämienverbilligung müssen die Kantone den Beitrag des Bundes um die Hälfte aufstocken, womit dann 300 Mio mehr pro Jahr für die Entlastung von Familien bereit stehen würden. Nach Berechnungen der Kommission könnten rund 80% der Kinder und rund 70% der jungen Erwachsenen in den Genuss dieser Massnahme kommen. Der Bundesbeschluss wurde vom Ständerat einstimmig angenommen, ebenso jener über die schrittweise Erhöhung der Bundesbeiträge [43].
Das zweites Reformpaket, welches der Bundesrat im September vorlegte, umfasst die Neuordnung der Spitalfinanzierung (Botschaft 2A) sowie die Förderung medizinischer Netzwerke, sogenannter Managed Care (Botschaft 2B). Kernpunkt der ersten Botschaft ist der Übergang von der heutigen Objekt- zur Leistungsfinanzierung. Die Kosten der Spitalleistungen sowie die Investitionskosten sollen hälftig von Krankenversicherern und Kantonen getragen werden, und zwar für alle in der kantonalen Planung enthaltenen Spitäler (dual-fixes System). Mit der zweiten Botschaft will der Bundesrat Managed Care-Modelle zwar im Gesetz verankern, sie aber nicht für obligatorisch erklären [44].
Für die Neuordnung der Pflegefinanzierung will der Bundesrat im Rahmen der KVG-Revision eine separate Botschaft mit dem Ziel einer ausgewogeneren Verteilung der Lasten unter Einbezug aller Sozialversicherungen unterbreiten, die losgelöst von den beiden ersten Paketen behandelt werden soll. Er gab im Juni zwei Modelle in die Vernehmlassung, welche zur Lösung der finanziellen und sozialpolitischen Probleme, die im Pflegebereich zunehmend anstehen, beitragen sollen. Die Modelle unterscheiden sich in der Definition der kassenpflichtigen Leistungen, sehen aber beide eine Stabilisierung der Krankenversicherungsausgaben sowie Verbesserungen bei den Ergänzungsleistungen vor. Konkret sollen damit die Krankenversicherer keine Zusatzbelastung erfahren, sondern die Kantone und Patienten für die zunehmenden Langzeitpflegekosten aufkommen [45].
 
[33] Presse vom 13.1., 14.1., 26.2., 25.3. (Vernehmlassung) und 20.5.04. Siehe SPJ 2003, S. 238 ff. Der SR nahm im Einvernehmen mit dem BR eine Motion Heberlein (fdp, ZH) an, welche die dringlichsten Reformpunkte auflistete (AB SR, 2004, S. 217). Im NR wurde eine analoge Motion der FDP-Fraktion bekämpft und deshalb noch nicht behandelt (AB NR, 2004, S. 485). Für eine Studie zum Nutzen des Gesundheitswesens, die zeigen sollte, wie viel die existierende Gesundheitsversorgung den Bezügern von Leistungen wert ist, siehe Presse vom 18.3.04. In der Untersuchung kristallisierte sich heraus, dass die Prämienzahlenden am ehesten bei den Medikamenten zu Abstrichen bereit sind (Generika anstatt Originalpräparate), dass die freie Arztwahl aber sakrosankt bleibt. Eine Umfrage ergab, dass die Schweizer Stimmberechtigten keinen Leistungsabbau im Gesundheitswesen wollen, auch wenn viele immer mehr Mühe haben, ihre Prämien zu bezahlen (Presse vom 24.9.04).
[34] BBl, 2004, S. 4259 ff.; Zeltner, Thomas, „Eine Reform in Paketform“, in CHSS, 2004, S. 172-175; Presse vom 27.5.04 (Botschaft); NZZ, 17.9.04 (Kommissionen). Die Gründe für den Aufschub in den Bereichen Kontrahierungszwang und Prämienverbilligungen wurden in den Eintretensdebatten beider Räte dargelegt (AB SR, 2004, S. 450 ff.; AB NR, 2004, S. 1491 ff.).
[35] AB SR, 2004, S. 464 ff., 612 und 652; AB NR, 2004, S. 1515 ff., 1643 und 1762 f.; AS , 2004, S. 4373.
[36] AB SR, 2004, S. 461 ff. und 652; AB NR, 2004, S. 1512 ff., 1633 f. (Postulat) und 1762 f.; BBl, 2004, S. 5479 ff.; Bund, 6.2. und 9.9.04; NZZ, 3.9.04. Zum Risikoausgleich vgl. CHSS, 2004, S. 109-112. Zu einem Modell der Autoren einer NFP-Studie für eine Verfeinerung des Risikoausgleichs, insbesondere durch den Einbezug des Kriteriums des Gesundheitszustands (Zusammenfassung der Versicherten in Diagnosegruppen), siehe Presse vom 17.9.04.
[37] AB SR, 2004, S. 465 f., 559 und 652; AB NR, 2004, S. 1491 ff., 1519 ff., 1633 und 1762 f.; AS, 2004, S. 4375 ff.
[38] AB SR, 2004, S. 457 ff., 559 und 652; AB NR, 2004, S. 1502 ff., 1633 und 1763. Zu einem Pilotprojekte mit einer Gesundheitskarte im Kanton Tessin, siehe oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[39] BBl, 2004, S. 4293 ff. und 4323 ff.; AB SR, 2004, S. 450 ff. und 652; AB NR, 2004, S. 1506 ff. und 1762; BBl, 2004, S. 5479 ff.; Presse vom 24.6. (SR-Kommision), 18.8. (NR-Kommission); NZZ, 6.2., 21.8. und 25.8.04 (SR-Kommission). Zu den geringen Auswirkungen des laufenden Zulassungsstopps siehe Rüefli, Christian / Monaco, Gianna, Wirkungsanalyse Bedürfnisabhängige Zulassungsbeschränkung für neue Leistungserbringer (Art. 55a KVG), Bern (BSV, Forschungsbeiträge 3/04) 2004; NZZ, 17.7.04. Für Modelle einer weniger weit gehenden Vertragsfreiheit siehe NZZ, 26.8.04 und TA, 10.9.04 (Verband der Assistenz- und Oberärzte), SGT, 18.9.04 (bürgerliche Parlamentarier) sowie Presse vom 6.11.04 (FMH).
[40] BBl, 2004, S. 4361 ff.; AB SR, 2004, S. 467 ff. Für den Entscheid des BR, die Maximalfranchise von 1500 auf 2500 Fr. anzuheben, siehe Presse vom 27.5. und 22.7.04. Der SR überwies eine Motion des NR über die Kostenbeteiligung allein stehender Personen an einen Spitalaufenthalt nur als Postulat (AB SR, 2004, S. 215 f.). Siehe SPJ 2003, S. 207.
[41] BBl, 2004, S. 4327 ff.; Presse vom 23.4.04. Das Sozialziel, wie es vom EDI vorgeschlagen wurde, hatte offenbar auch im BR einen schweren Stand; dem Vernehmen nach mochten es die BR Blocher, Schmid und Merz nicht unterstützen (TA, 27.5.04).
[42] Presse vom 22.6. (Fetz), 8.7. und 25.8.04 (Schwaller).
[43] AB SR, 2004, S. 887 ff.; Presse vom 25.8. (Kantone), 27.8. (Couchepin), 7.9. (Kantone), 12.11. und 16.11.04 (definitives Modell SGK-SR); LT, 13.11.04; TA, 16.11.04.
[44] BBl, 2004, S. 5551 ff. und 5599 ff.; Presse vom 13.5. (Vernehmlassung) und 16.9.04 (Botschaft). Die SGK-SR wünschte vom BR zusätzliche Abklärungen und Vorschläge. Bei der Spitalfinanzierung verlangte sie unter anderem die finanzielle Gleichstellung von stationärer und ambulanter Behandlung. In den Vorschlägen zu Managed Care fehlte ihr ein Anreizsystem, damit Leistungserbringer, Versicherer und Patienten bereit sind, integrierte Netzwerke aufzubauen und zu nutzen (NZZ, 21.10.04).
[45] Presse vom 24.6.04; NZZ, 12.11.04; Scherrer, Ursula, „Finanzierung der Pflegekosten: näher an den Ursachen anknüpfen“, in CHSS, 2004, S. 233-237. Im Vorjahr hatte der NR den BR mit einer Motion beauftragt, 2004 einen Entwurf zur Regelung der Pflegefinanzierung vorzulegen (SPJ 2003, S. 208). Diese Motion wurde vom SR ebenfalls angenommen (AB SR, 2004, S. 216 f.).