Année politique Suisse 2004 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Frauen
24 Ministerinnen und Staatssekretärinnen nahmen im Genf an einem von Bundesrätin Calmy-Rey initiierten Treffen am Rand der 60. Jahresversammlung der UNO-Menschenrechtskommission teil und verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung, in der sie alle Formen von
Gewalt an Frauen verurteilten
[22].
Die Frauen gingen bei den eidgenössischen Wahlen 2003 signifikant weniger an die Urnen als die Männer (33/43%); 1995 hatte sich noch kein bedeutender Unterschied im Wahlverhalten der Geschlechter gezeigt. Die Autoren der diesbezüglichen Studie nannten als mögliche Erklärung der geringeren
Wahlbeteiligung der Frauen den gewachsenen Zulauf der SVP, die deutlich mehr Männer anspricht als Frauen. Die früher festgestellten Unterschiede nach Sprachregionen scheinen verschwunden zu sein. Die Untersuchung führte dies auf den mobilisierenden Effekt der brieflichen Stimmabgabe zurück, die in vielen französischsprachigen Kantonen erst in den letzten Jahren eingeführt wurde
[23].
Gegenüber 1999 stieg der Anteil der gewählten Frauen bei den Wahlen 2003 in den Nationalrat um 2,5 Prozentpunkte auf 26%. Wie die Analyse des BFS auswies, waren es wiederum die Wählerinnen und Wähler linker Parteien, die für den Zuwachs in der grossen Kammer sorgten: 52 Frauen wurden gewählt, 31 von ihnen auf den Listen der SP und der GP. Der Anteil der weiblichen Kandidaten lag mit 35% erneut deutlich unter demjenigen der männlichen; er stagnierte zudem gegenüber den vorangegangenen Wahlen. Den höchsten Frauenanteil im Kandidatenfeld wiesen unter den grösseren Parteien die Grünen auf (50,3%), gefolgt von der SP (48,0%), der FDP (35,2), der CVP (27,3) und der SVP (19,1). Allerdings gelang es der FDP nicht, ihren Frauenanteil unter den effektiv Gewählten zu bestätigen; er sank im Gegenteil von 20,9% (1999) auf 19,4%. Umgekehrt vermochte dagegen die CVP ihren Frauenanteil bei den Gewählten von 22,9 auf 32,1% zu steigern. Erneut waren es die Grünen, die mit einer Frauenpräsenz von 50,0% im Nationalrat ganz vorne lagen, auch wenn dieser Anteil gegenüber 1999 um 16,7 Prozentpunkte zurückging. Stark aufzuholen vermochte die SP, deren Frauenanteil unter den Gewählten neu bei 46,2% lag (plus 7 Prozentpunkte). Abgeschlagen blieb die SVP; ihr Frauenanteil sank seit 1991 (12%) kontinuierlich auf 5,5%. Zusammenfassend war 2003 die durchschnittliche statistische Wahlchance von kandidierenden Männern 1,6 Mal höher als jene der kandidierenden Frauen.
Die BFS-Studie gab auch die Frauenvertretung im
Ständerat wieder. Für die Legislatur 2003-2007 wurden insgesamt 35 Männer und 11 Frauen gewählt, was einen (gegenüber 1999 um 4,3 Prozentpunkte gestiegenen) Frauenanteil von
23,9% ergibt. Unter den Gewählten der SP waren 4 Frauen und 5 Männer, bei der FDP betrug das Verhältnis 5:9; die CVP schickte nur 2 Frauen neben 13 Männern ins „Stöckli“ und die SVP (8 Gewählte) gar keine. Der durchschnittliche Frauenanteil in den
Kantonsparlamenten betrug Ende 2003
24,2%. Zuoberst rangierten die beiden Basel, Zürich, Obwalden und Bern mit über 30% Frauen, am unteren Ende Schwyz (14%), das Wallis (13,1), das Tessin (11,1) und Glarus (10,0)
[24].
Die Frauen, die 2003 für das nationale Parlament kandidierten, waren im Vorfeld der Wahlen in den Zeitungen weniger präsent als männliche Kandidaten. Eine im Auftrag der Eidg. Kommission für Frauenfragen erarbeitete Studie analysierte die Wahlberichterstattung von 15 Tages- und Sonntagszeitungen aus allen drei Landesteilen. Gemessen am durchschnittlichen Anteil der Kandidatinnen von 35%, waren die Frauen mit einer Präsenz von 25%
in der Presse deutlich
untervertreten. Unter den Bundesratsparteien wurden die SP-Kandidatinnen in den Medien am häufigsten genannt (48%, Anteil Kandidatinnen auf SP-Wahllisten 53%), gefolgt von den Frauen der FDP (35/37), der CVP (19/30) und der SVP (5/18). Das relativ gute Ergebnis von SP und FDP wurde von den Autorinnen der Analyse damit begründet, dass beide Parteien im Wahljahr von Frauen präsidiert wurden
[25].
Gemäss einer Studie zur politischen Vertretung der Frauen
auf lokaler Ebene konnten Frauen vor allem in den Exekutiven seit 1993 beträchtlich zulegen, nämlich um 65% auf 25%. Dieser Zuwachs ging vollumfänglich auf das Konto der Städte mit weniger als 100 000 Einwohnern, während in den fünf Grossstädten keine Zunahme mehr registriert wurde. Nur in 12 von 110 berücksichtigten Städten regierte Ende 2003 keine einzige Frau mit. In den städtischen Parlamenten wuchs der Frauenanteil seit 1993 um 23%. Mit 30,4% blieben sie aber auch auf der untersten politischen Ebene deutlich untervertreten; ihre Wahlchancen sind hier jedoch deutlich besser als bei Bund und Kantonen. Unterschiede zwischen den zwei grossen Sprachregionen konnten kaum festgestellt werden: In der Romandie betrug der Frauenanteil in den lokalen Parlamenten 32,4%, in der Deutschschweiz knapp 30%. Die Erkenntnis, dass linke Parteien einen höheren Frauenanteil aufweisen, gilt auch auf lokaler Ebene. Es war jedoch die FDP, die mit einem Plus von 48,2% bei ihrer Frauenvertretung in den Legislativen den höchsten Zuwachs verzeichnen konnte. Die SVP kam auf ein Plus von 29,6%. Beide Parteien starteten allerdings von einem tiefen Niveau aus
[26].
Der Umstand, dass die Frauen aus den
Bundesratswahlen 2003 als die grossen Verliererinnen hervorgingen, weckte die seit dem Frauenstreik von 1994 etwas eingeschlafene „Frauen-Power“ in der Politik wieder. Anfang Jahr beschlossen die Frauengruppierungen der im Parlament vertretenen Parteien, regelmässige Treffen durchzuführen. Daraus ging ein „Memorandum 10. Dezember“ hervor, in welchem die Frauen unter anderem einen höheren Frauenanteil in Bundesrat und Parlament sowie in kantonalen Exekutiven und Legislativen und eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit forderten
[27]. Bis in bürgerliche Kreise hinein wurde die Idee einer (allenfalls zeitlich begrenzten) Einführung von Frauenquoten für den Bundesrat als zumindest bedenkenswert eingestuft. Die SP reichte eine entsprechende parlamentarische Initiative ein, die von der vorberatenden Kommission wegen der zusätzlichen Einschränkungen bei der Wahl in den Bundesrat klar abgelehnt und im Berichtsjahr vom Plenum noch nicht behandelt wurde
[28].
In Umsetzung der Erkenntnisse des ersten und zweiten Berichts der Schweiz über die Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen vom Dezember 2001 (Cedaw), des Berichtes des Bundesrates zur Umsetzung des Aktionsplans der Schweiz "Gleichstellung von Frau und Mann" vom November 2002 und der Beobachtungen des Uno-Ausschusses Cedaw von März 2003 wurde der Bundesrat vom Nationalrat durch ein Postulat seiner Rechtskommission eingeladen, im Rahmen der Legislaturplanung 2003-2007 eine
Strategie zur Durchsetzung der Gleichstellung von Mann und Frau zu entwickeln. Einen Schwerpunkt soll dabei die Förderung der Gleichstellung im Erwerbsleben bilden
[29].
Da er das Verfahren der kantonalen
Schlichtungsstellen sowohl im privatrechtlichen wie im öffentlich-rechtlichen Bereich als effizienter erachtete, beantragte der Bundesrat dem Parlament, eine Änderung des Gleichstellungsgesetzes, damit dieses Verfahren auch auf die Bundesangestellten Anwendung finden. Beide Kammern stimmten diskussionslos zu
[30]. Im September wurde die Schweizerische Konferenz der kantonalen Schlichtungsstellen gegründet. Der Zusammenschluss dieser Behörden bezweckt die Institutionalisierung eines regelmässigen Informations- und Erfahrungsaustauschs
[31].
Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte Nationalrätin Teuscher (gp, BE) für börsenkotierte Gesellschaften die Verpflichtung, mindestens 40% ihrer
Geschäftleitungsposten und
Verwaltungsratsmandate mit Frauen zu besetzen und jährlich in einem Anhang zur Bilanz die Massnahmen zur Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann zu dokumentieren. Als Begründung verwies sie auf die eklatante Untervertretung der Frauen im obersten Kader der grossen Schweizer Firmen sowie auf ähnliche gesetzliche Bestrebungen in Schweden und Norwegen. Die bürgerliche Ratsmehrheit hielt ihr entgegen, Quoten seien kein taugliches Mittel zum Erreichen der tatsächlichen Gleichstellung; gefragt seien vielmehr Qualitäten wie Berufserfahrung und gute Branchenkenntnisse; zudem sei ein derartiger Eingriff in die Belange der Privatwirtschaft nicht statthaft. Der Initiative wurde mit 92 zu 63 Stimmen keine Folge gegeben
[32].
[22]
TA, 26.1.04;
BaZ, 17.3.04. Zur Gewalt gegen Frauen siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[24]
Lit. Seitz / Schneider; Presse vom 12.6.04. Zu einer Studie, welche die landläufige Meinung bestätigte, dass Frauen in der Politik allgemein „linker“ und liberaler denken als die Männer, wobei dennoch die Parteisympathie die politischen Positionen hauptsächlich prägt, siehe
TA, 25.9.04.
[25]
Lit. Hardmeier / Klöti.
[27] Presse vom 6.4. und 6.12.04. Zu den Erstunterzeichnenden gehörten BR Calmy-Rey und Bundeskanzlerin Huber-Hotz. Die krasse politische Untervertretung der Frauen war das dominierende Thema am Internationalen Frauentag, der viel regeren Zulauf fand als in den Jahren zuvor (Presse vom 9.3.04).
[28] Geschäft 04.410;
AZ, 8.3.04; Presse vom 4.9.04;
NZZ, 13.9.04. Die SVP-Frauen distanzierten sich zunehmend von feministischen Forderungen; als Konsequenz ihrer Neuorientierung traten sie aus dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (AllianceF) aus (Presse vom 24.8.04).
[29]
AB NR, 2004, S. 490. In der Fragestunde der Frühjahrs und der Sommersession wurde der BR von Seiten der Linken mit gleichstellungspolitischen Fragen eingedeckt (
AB NR, 2004, S. 159 f., 168 f., 171 f., 174 f., 1026, 1034 und 1243). Zur nach wie vor sehr geringen Zahl von weiblichen Kadern in der Bundesverwaltung siehe Presse vom 11.12.04.
[30]
BBl, 2003, S. 7809 ff.;
AB SR, 2004, S. 206 und 651;
AB NR, 2004, S. 1490 f. und 1761;
BBl, 2004, S.
5451. Zu einem Grundsatzurteil des Bundesgerichts, wonach eine Lohndiskriminierung auch ohne direkten Vergleich geltend gemacht werden kann, siehe Presse vom 5.2. und 7.7.04.
[32]
AB NR, 2004, S. 1724 ff.;
TA, 5.2.04;
SHZ, 22.9.04. Für einen ähnlichen Vorstoss, der Quoten allerdings nur für Firmen vorsieht, die vom Bund kontrolliert werden, siehe Geschäft 03.440. Zum gemeinsamen Aufruf des Arbeitgeberverbandes und von AllianceF, auch den Frauen mit Familienpflichten eine Karriere im Kaderbereich zu ermöglichen, siehe Presse vom 16.1.04. Zu einer Studie des statistischen Amtes des Kantons ZH, wonach Managerinnen einen Drittel weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, siehe
TA, 14.10.04.
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