Année politique Suisse 2004 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Berufsbildung
Die EDK verabschiedete ein Passerellen-Reglement, nach dem Inhaberinnen und Inhaber einer Berufsmaturität über eine
Ergänzungsprüfung Zugang zu universitären Hochschulen erhalten. Diese Prüfung umfasst die Fachbereiche lokale Landessprache, zweite Landessprache oder Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften
[21].
Die Erziehungsdirektorenkonferenz einigte sich auf die Grundsätze für eine Revision der interkantonalen Vereinbarungen im Berufsbildungsbereich. Diese zielten darauf ab, auch Jugendlichen in der
Berufsbildung (und nicht nur Studierenden) eine möglichst grosse
Mobilität zu ermöglichen. Denn wer ausserhalb seines Wohnkantons an einer Höheren Fachschule studiert, muss mit hohen Studiengebühren rechnen, ausser, zwischen den beiden Kantonen existiert ein Finanzierungsabkommen. Die EDK schlug, gestützt auf das neue Berufsbildungsgesetz, vor, dass die Kantone neu an die Standortkantone Kopfbeiträge pro Studierende zahlen und die Qualitätsstandards der Höheren Fachschulen untereinander in Einklang bringen, so dass schliesslich ein gesamtschweizerisch vergleichbares Niveau in der Berufsbildung resultiert
[22].
Diskussionslos überwies der Nationalrat eine Motion Freysinger (svp, VS), welche den Bundesrat beauftragt, zum Schutz von privaten Anbietern von Ausbildungen, namentlich im Hotelmanagement, ein
branchenspezifisches Akkreditierungssystem einzuführen, um die Transparenz zwischen den verschiedenen Bildungsgängen zu erhöhen und die Studierenden über Konditionen und Seriosität der Anbieter zu informieren
[23]. Abgelehnt wurden eine Motion Mathys (svp, AG), welche Anpassungen der revidierten kaufmännischen Grundbildung verlangt hatte, sowie mit 88:66 Stimmen eine Motion Menétrey-Savary (gp, VD), die Gefangenen eine Aus- oder Weiterbildung mit einem Abschluss ermöglichen wollte; der Bundesrat hatte sich mit dem Hinweis auf die kantonalen Kompetenzen beim Strafvollzug gegen das Vorhaben gestellt
[24].
Diskussionslos überwies der Nationalrat ein Postulat Cina (cvp, VS). Dieses beauftragte den Bundesrat, in Anlehnung an den traditionellen Bericht der Bundesregierung über die freien Berufe, der vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie veröffentlicht wird, einen
Bericht zu verfassen, der sowohl die charakteristischen Merkmale der
freien Berufe in der Schweiz als auch deren Rolle in der Wirtschaft aufzeigt
[25].
In seiner Antwort auf eine Anfrage Noser (fdp, ZH) erklärte der Bundesrat, der Entwurf der
neuen EU-Richtlinie, die auf alle reglementierten Berufe angewandt wird, ändere das europäische System der
Anerkennung von Diplomen nicht, sondern bezwecke eine Vereinfachung, um zur Flexibilität der Arbeitsmärkte und zu einer grösseren Liberalisierung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen beizutragen. Der Bundesrat werde über die allfällige Aufnahme von Verhandlungen mit der EU entscheiden, wenn die Richtlinie von den Instanzen der Europäischen Union verabschiedet worden ist
[26].
In seiner Antwort auf eine Interpellation Häberli (cvp, TG) hielt der Bundesrat fest, dass
Abschlüsse der höheren Berufsbildung, d.h. an höheren Fachschulen, vorerst nicht mit an den Universitäten und Fachhochschulen gebräuchlichen ECTS-Punkten qualifiziert würden, da sich diese nicht für die duale berufliche Bildung eigneten. Die EU plane aber, einen übergreifenden Referenzrahmen zu schaffen für das für die Berufsbildung in Entwicklung begriffene ECVET-System (European Credits for Vocational Education and Training) und das ECTS-System für Hochschulen, um den Transfer von Kreditpunkten aus dem ECVET- in das ECTS-System zu ermöglichen und umgekehrt. Wenn die EU die entsprechenden Richtlinien verabschiedet habe, werde sie die Schweiz wahrscheinlich übernehmen. Damit könnten Abschlüsse der beruflichen Tertiärbildung dereinst partiell an ein Bachelor-Studium angerechnet werden
[27].
Auch wenn das neue Berufsbildungsgesetz mit Kurzlehren den Schulschwachen künftig den Berufseinstieg erleichtern dürfte, scheint sich der Trend zu gebrochenen Bildungswegen zu verstärken, wie die Studie „Transition von der Erstausbildung ins Erwerbsleben“ des BFS zeigte. Als Folgeuntersuchung von PISA in der Reihe „Bildungsmonitoring Schweiz“ angelegt, untersuchte die Erhebung, wie Jugendliche den Eintritt in die nachobligatorische Ausbildung bewältigen. 9% fanden zwei Jahre nach absolvierter Schulpflicht den Einstieg in eine Lehre oder weiterführende Schulen noch nicht. Analog zu PISA zeigte sich, dass Jugendliche aus bescheidenen sozialen Verhältnissen, junge Migrantinnen und Migranten sowie Realschüler geringere
Aussichten auf eine nachobligatorische Ausbildung haben, selbst wenn sie schulisch ebenso begabt sind wie andere Jugendliche
[28].
Im März gab das BBT bekannt, dass es nach der Auflösung der „
Task-Force Lehrstellen“ die Aufsicht über den Lehrstellenmarkt weiterführe, weil der Strukturwandel weitergehe und die Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger zunehme. Im Jahr 2003 blieb der Lehrstellenmarkt gemäss Schlussbericht der Task-Force mehrheitlich stabil. Bewährte Massnahmen vor Ort wie der Einsatz von Lehrstellenförderern, die Anschubfinanzierung von Lehrbetriebsverbünden sowie die Vermittlung und das Mentoring von Jugendlichen ohne Lehrstelle hätten zur Stabilisierung der Lage beigetragen. Angespannt sei die Lehrstellensituation noch in den urbanen Zentren
[29].
Der Nationalrat lehnte eine Motion Galladé (sp, ZH) ab, welche verlangte, dass Betriebe, die Lehrstellen oder Ausbildungsplätze in anderer Form (Praktikum) anbieten, ein
Qualitätslabel erwerben können. Gemäss Bundesrat bestehe schon ein entsprechendes Label in den Kantonen der Romandie und dem Tessin (CRFP), an dem sich auch Schwyz und Zug beteiligten. Das BBT habe zusammen mit der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz vereinbart, das erfolgreiche Label-Projekt der CRFP auf die ganze Schweiz auszudehnen
[30].
In seinen Antworten auf verschiedene parlamentarische Anfragen erklärte der Bundesrat, das
neue Berufsbildungsgesetz sehe eine Harmonisierung der Lehrverträge vor, um die Mobilität der Lehrlinge zu fördern und die administrativen Hürden für die Lehrbetriebe abzubauen. Für Kleinbetriebe ergäben sich neue Chancen, weil der Bund mit dem Innovationskredit über Mittel für Anschubfinanzierungen von Lehrbetriebsverbünden und für die Weiterentwicklung des Ausbildungsmodells verfüge. Im Rahmen des Gesetzes werde er auch spezifische Massnahmen wie Informatikkurse für junge Frauen weiterführen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern
[31].
Die Rektoren der Schweizer Universitäten beabsichtigen, das Medizinstudium umfassend zu revidieren. Das Konzept
„Hochschulmedizin 2008“ schlägt folgende Neuerungen vor: 1.) Die Universitäten übernehmen vom Bund die Verantwortung für die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte (Zulassung zum Studium, Ausbildungsinhalte, Prüfungen und Qualitätssicherung); die Weiterbildung zum Facharzt oder zum Assistenzarzt und die Berufszulassung bleiben hingegen weiterhin Sache des Bundes. 2.) Das Medizinstudium wird nicht mehr mit einem Staatsexamen abgeschlossen, sondern führt neu über ein an allen fünf medizinischen Fakultäten angebotenes Grundstudium, den Bachelor (3 Jahre), zum international anerkannten Master (2-3 Jahre). Der klassische Arzt, der „Dr. med.“, hat keinen Doktortitel mehr; das Doktorat (3 Jahre) wird als forschungsorientierte Qualifikation neu gestaltet. 3.) Die berufliche Weiterbildung zum Facharzt wird von den Universitäten getrennt und liegt in der Verantwortung einer separaten Institution. 4.) Eine neue Aufgabenteilung zwischen Bund und Universitäten ermöglicht eine bessere Kostentransparenz
[32].
Ende Jahr verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zum Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (
Medizinalberufegesetz, MedBG), dem Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Tierärztinnen und Tierärzte und neu auch Chiropraktorinnen und Chiropraktoren unterstellt sind. Die Vorarbeiten für die Ablösung des aus dem Jahr 1877 stammenden Gesetzes über die Freizügigkeit des Medizinalpersonals waren seit bald zehn Jahren im Gang. Der nun vorliegende Gesetzesentwurf bezweckt – entsprechend den in der Praxis schon eingeleiteten Reformen – in der Ausbildung den modernen, auch nicht rein medizinischen Anforderungen an ärztliche Berufsleute besser Rechnung zu tragen. Hinzu kommt eine neue Abgrenzung der Aufgaben von Universitäten und Bund. Festgelegt werden die Ziele der Ausbildung; den Weg zur eidgenössischen Schlussprüfung bestimmen die Universitäten mit Studiengängen, die akkreditiert sein müssen
[33].
[22]
NZZ, 30.6. und 6.11.04.
[23]
AB NR, 2004, S. 2172 und Beilagen V, S. 320 f. (siehe auch die Antworten des BR auf die Ip. Gyr (sp, SZ) und Müller (fdp, SG) in
AB NR, 2004, Beilagen IV, S. 322 f. und V, S. 391);
Lib. und
NF, 7.12.04 (Freysinger).
[24]
AB NR, 2004, S. 284 f. (Menétray-Savary) und 487 und Beilagen I, S. 400 ff.
[25]
AB NR, 2004, S. 490 und Beilagen I, S. 398 f.
[26]
AB NR, 2004, Beilagen V, S. 41 f.
[27]
AB NR, 2004, Beilagen V, S. 221 f. (siehe auch die Antwort des BR auf die Ip. Graf (gp, BL) in
AB NR, 2004, Beilagen IV, S. 567 ff.).
[28]
NZZ, 25.2.04. Zu PISA siehe oben (Grundschulen).
[29] Presse vom 26.3.04; vgl.
SPJ 2003, S. 265 f.
[30]
AB NR, 2004, S. 1224 und Beilagen III, S. 310 f.
[31]
AB NR, 2004, S. 159 (Frauen) und 1404 (Lehrbetriebsverbünde) sowie Beilagen III, S. 275 f. (Lehrverträge). Zur Lehrstellensituation siehe das Po. 03.3621 Galladé (sp, ZH) in
AB NR, 2004, S. 489 und Beilagen I, S. 356 f. Zum neuen Berufsbildungsgesetz vgl.
SPJ 2002, S. 257 f.
[32] Presse vom 3.2.04;
NZZ, 16.2.04;
LT, 15.3.04.
[33]
BBl, 2005, S. 173 ff.;
NZZ, 4.12.04. Zu den Vorarbeiten vgl.
SPJ 2003, S. 269.
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