Année politique Suisse 2004 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Forschung
Diskussionslos stimmte der Nationalrat einem Postulat Rossini (sp, VS) zu, das den Bundesrat beauftragt, die Stellung der Forscherinnen und Forscher in den
Humanwissenschaften in Bezug auf die Kontinuität der wissenschaftlichen Arbeit und des Wissenstransfers kritisch zu analysieren und konkrete Verbesserungsmassnahmen vorzuschlagen
[57].
Nationalrat Gutzwiller (fdp, ZH) kritisierte in einer Anfrage die
Uneinheitlichkeit der Kriterien, nach denen die kantonalen
Ethikkommissionen klinische Studien bewilligten. In seiner Antwort erklärte der Bundesrat, er sei daran, die Harmonisierung der Kriterien sowohl im Vollzug (Aus- und Fortbildung) als auch im Rahmen des geplanten Humanforschungsgesetzes voranzutreiben
[58].
Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich, ersetzt 2005 die Mikrobiologin Prof. Heidi Diggelmann (Lausanne) als Präsident des Forschungsrates des
Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Nur zwei Jahre nach Abschluss der Statutenrevision entschied der SNF, die Evaluation der Forschungsgesuche zu reformieren. Die Arbeitslast der 90 Miliz-Mitglieder des Forschungsrates betrage jetzt schon ein bis zwei Tage in der Woche, so dass eine seriöse Beurteilung der Gesuche mit dem heutigen System bald nicht mehr möglich sei
[59].
Im Juli gab der SNF die Ausschreibung eines mit 8 Mio Fr. dotierten Nationalen Forschungsprogramms bekannt, welches die
Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz untersuchen und Grundlagen für eine moderne Sprachenpolitik ausarbeiten soll. Die Forschungen sollen bis Ende 2008 abgeschlossen sein
[60].
In seiner Antwort auf eine Frage von Pia Hollenstein (gp, SG) betreffend
Nationale Forschungsprogramme (NFP) erklärte der Bundesrat, der Entscheid für ein neues NFP „Nichtionisierende Strahlung; Umwelt und Gesundheit“ falle voraussichtlich Ende Jahr. Er habe dieses Programm, das die Wirkung der sogenannt nichtionisierenden Strahlung untersuchen soll, die im Kontext der Ausbreitung der Mobilfunktechnik zu einem aktuellen Thema geworden ist, zunächst aus Budgetgründen zurückgestellt, wolle es nun aber in Beantwortung verschiedener parlamentarischer Interventionen und unter Berücksichtigung des hohen Interesses seitens der Kantone lancieren
[61].
In der Sommersession genehmigte das Parlament das neue Forschungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU mit 166:17 Stimmen bei 3 Enthaltungen (Nationalrat) resp. 42:0 Stimmen (Ständerat). Die Übereinkunft sichert gleiche Beteiligungsrechte resp. die gleichberechtigte wissenschaftliche und technologische Mitarbeit der Schweiz am
6. EU-Rahmenprogramm (2002-2006). Für die Beteiligung der Schweiz hatte der Bundesrat 2002 einen Rahmenkredit von insgesamt 869 Mio Fr. gutgeheissen. Da diese gegenüber den ursprünglichen Plänen mit einer einjährigen Verspätung erst seit Anfang 2004 gilt, war der Kredit um 62 Mio gekürzt worden. Für die Mehrheit des Nationalrats war dies ein Fehler, weil für die 2003 bewilligten Projekte zu wenig Geld zur Verfügung stehe. Mit 111:47 Stimmen hiess der Rat deshalb eine Motion seiner Bildungskommission gut, die eine Wiederaufstockung des gekürzten Kredits für das laufende Jahr um 40 Mio Fr. verlangt. Der Ständerat lehnte den Vorstoss mit 19:16 Stimmen ab. In seiner Antwort auf eine Frage Sadis (fdp, TI) versicherte der Bundesrat, dass die Finanzierung der 2003 bewilligten Forschungsprojekte gesichert sei, falls das Parlament dem im Voranschlag 2005 enthaltenen Zusatzkredit zustimme
[62].
Zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln und insbesondere zum Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft siehe oben, Teil I, 4c (Produits alimentaires).
Ende Februar wies das UVEK die Beschwerden gegen die Bewilligung des von der ETH Zürich geplanten
Freilandversuchs mit gentechnisch verändertem Weizen in Lindau (ZH) ab. Gegen die Bewilligung durch das Buwal vom vergangenen Oktober hatten Greenpeace, die Bauernorganisation IP Suisse, die Arbeitsgruppe „Lindau gegen Gentech-Weizen“ sowie mehrere Nachbarn Beschwerde eingelegt. Die ETH zeigte sich erleichtert über den Entscheid und begann Mitte März ihr Feldexperiment, obwohl die Frist für eine Anfechtung der Bewilligung beim Bundesgericht noch lief; eine Gruppe von ETH-Angestellten kritisierte das Vorgehen ihres Arbeitgebers. Greenpeace verzichtete auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde, es ketteten sich jedoch rund 40 Aktivisten an den Gitterkäfig, in dem der Freilandversuch stattfand, und im Juni forderten Bio- und IP-Bauern abseits des Versuchsgeländes den Verzicht auf Gentechnik in der Landwirtschaft. Mitte Juli beendete die ETH ihren Feldversuch wie geplant. Die Forscher entnahmen noch vor der vollen Reife des Weizens die letzten Pflanzen- und Bodenproben, welche sie in der letzten Phase des Experiments im Labor auswerten wollten
[63].
Ende Juni gab der Bundesrat die
Revision des Patentgesetzes in eine zweite Vernehmlassung. Die Vorlage soll in Anlehnung an die entsprechende EU-Richtlinie einen ausgewogenen Patentschutz für Innovationen auf dem Gebiet der Biotechnologie gewährleisten. Aufgrund der Ergebnisse aus der ersten Konsultation von 2002 und des anschliessenden Dialogs nahm der Bundesrat folgende Änderungen im Vergleich zum ersten Gesetzesentwurf vor: 1.) Offenlegung der Quelle von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen, auf denen die Erfindung beruht; 2.) Veröffentlichung aller Patentgesuche und Einführung eines kostengünstigen, für alle zugänglichen Einspruchsverfahrens; 3.) Begrenzung des Schutzumfangs für Patente auf den konkret offenbarten Zweck der gemachten Erfindung zur Vermeidung von Forschungshemmnissen; 4.) Ausweitung der Handlungen, die trotz Patentschutz erlaubt sind; u.a. ist ein breites, vertraglich nicht einschränkbares Forschungsprivileg vorgesehen sowie die Freistellung von Erfindungen zu Unterrichtszwecken oder zum Zwecke der Züchtung neuer Pflanzensorten. Der Gesetzesentwurf erlaubt zudem Zwangslizenzen für den Export patentgeschützter pharmazeutischer Produkte in Entwicklungsländer, deren Bevölkerung unter schweren Gesundheitsproblemen leidet, und die selbst über keine ausreichenden Produktionskapazitäten verfügen
[64].
Sowohl die forschende
Pharmaindustrie und der Wirtschaftsdachverband economiesuisse als auch eine Reihe von Organisationen aus dem ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Umfeld wiesen den Entwurf zurück. Erstere fürchteten aufgrund des eingeschränkten Patentschutzes bei Erfindungen, die eine Gensequenz zum Gegenstand haben, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Branche. Genau diese Einschränkung stiess hingegen bei den insgesamt 35 in der „
Koalition gegen Patente auf Leben und für ein gerechtes Patentgesetz“ zusammengeschlossenen Organisationen (darunter die Ärztinnen und Ärzte für den Umweltschutz, die Bauernorganisation IP Suisse, die „Erklärung von Bern“ und Tierschutzvereinigungen) auf Anklang. Kritik äusserte die Koordination aber an der expliziten Festschreibung der Patentierbarkeit des Lebens; der Entwurf deklariere Gene als Erfindungen (und nicht als Entdeckungen) und erkläre transgene Tiere und Pflanzen für patentierbar, womit er einseitig die industriellen Interessen schütze
[65].
[57]
AB NR, 2004, S. 2173 und Beilagen V, S. 326. Zur Forschung am Menschen siehe oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[58]
AB NR, 2004, Beilagen V, S. 60 ff.; siehe auch die Mo. 04.3105 Dunant (svp, BS).
[59] Presse vom 18.5.04; vgl.
SPJ 2002, S. 267.
[60]
NZZ, 17.7.04. Siehe auch unten, Teil I, 8b (Sprachen).
[61]
AB NR, 2004, S. 1031.
[62]
AB NR, 2004, S. 295 ff., 1029 (Fra. Sadis) und 1238;
AB SR, 2004, S. 209 ff. und 439;
BBl, 2004, S. 3177 f.; Presse vom 17.1.04;
NZZ, 2.2.04;
Express, 4.2.04; vgl.
SPJ 2002, S. 268 und
2003, S. 274.
[63] Presse vom 28.2., 5.3., 24.3., 27.3. und 15.7.04;
NZZ, 7.6.04 (Bauernproteste); vgl.
SPJ 2003, S. 276 f. Zur Sicherheit des Freisetzungsversuches siehe auch den Beitrag von Martin T. Küenzi, Präsident der Eidg. Fachkommission für biologische Sicherheit, in
NZZ, 31.3.04.
[64] Presse vom 8.6.04; vgl.
SPJ 2002, S. 271.
[65]
NZZ, 26.10.04;
LT, 2.11.04.
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