Année politique Suisse 2004 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprachen
Ende April löste die Ankündigung des Bundesrates, vorab aus finanzpolitischen Gründen auf das seit Jahren angestrebte Sprachengesetz zu verzichten, in den mehrsprachigen Kantonen, aber auch im Bundeshaus heftige Reaktionen aus. Im Nationalrat wurden dazu umgehend mehrere Vorstösse eingereicht, welche allerdings im Berichtsjahr vom Plenum noch nicht behandelt wurden. Eine Motion der Grünen sowie eine Motion von Abate (fdp, TI) wollen den Bundesrat verpflichten, auf seinen Entscheid zurückzukommen. Levrat (sp, FR) möchte sogar, dass das Parlament das Heft selber in die Hand nimmt, weshalb er eine diesbezügliche parlamentarische Initiative deponierte, die Ende Jahr von den WBK beider Räte angenommen wurde [18]. Bei der Behandlung des Bundesbeschlusses über die Legislaturplanung in der Sommersession nahm der Nationalrat das Vorhaben Sprachengesetz mit 105 zu 39 Stimmen wieder als verbindliches Ziel auf. Der Ständerat begnügte sich damit, die Förderung der Verständigung unter den Sprachgemeinschaften festzuschreiben, verzichtete aber auf die explizite Forderung nach einem Sprachengesetz. Da der Nationalrat schliesslich die Legislaturplanung ablehnte, wurde der verbindliche Auftrag zur Makulatur [19].
Im Einvernehmen mit der Regierung überwies der Nationalrat ein Postulat Berberat (sp, NE), welches den Bundesrat einlädt, dafür zu sorgen, dass die Bundesverwaltung und die vom Bund kontrollierten Unternehmen die Verwendung englischer oder amerikanischer Ausdrücke vermeiden, wenn es deutsche, französische oder italienische Entsprechungen gibt. Zudem soll verboten werden, dass sich Ämter, Dienststellen und Programme des Bundes und der von ihm kontrollierten Unternehmen englisch klingende Bezeichnungen zulegen [20].
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Berücksichtigung der Sprachminderheiten
Einstimmig hatte der Ständerat 2003 eine Empfehlung des Bündners Brändli (svp) gutgeheissen, 2005 oder 2006 „ina sessiun en terra rumantscha“ durchzuführen, da zu diesem Zeitpunkt ohnehin eine grössere Renovation des Parlamentsgebäudes in Bern vorgesehen ist. Brändli betonte, dass das Bundesparlament mit der Durchführung einer dezentralisierten Session im romanischsprachigen Raum (nach Genf 1993 und Lugano 2001) nicht nur der vierten Landessprache, sondern auch dem Berggebiet Reverenz erweisen könne. Das Büro des Ständerates nahm die Empfehlung zum Anlass, eine entsprechende parlamentarische Initiative für einen einfachen Bundesbeschluss einzureichen. Demzufolge wird die Herbstsession 2006 in Flims/Flem (GR) stattfinden. Mit Zustimmung des Bundesrates wurde der Beschluss in der Herbstsession vom Ständerat einstimmig und zwei Tage später vom Nationalrat mit überwältigendem Mehr angenommen [21].
Anders als der Nationalrat 2002 lehnte der Ständerat eine Motion Pelli (fdp, TI) ab, die den Bundesrat beauftragen wollte, die Bundespersonalstatistik so zu gestalten, dass für alle vier Landessprachen ersichtlich wird, welche Angestellten Verwaltungsarbeiten verrichten und welche Übersetzungen anfertigen. Damit sollte dargelegt werden, wie viele Personen deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Muttersprache tatsächlich am Entscheidungsprozess teilnehmen und wie viele für die landesweite Verständigung arbeiten. Die kleine Kammer folgte bei ihrer Ablehnung den Erwägungen ihrer Staatspolitischen Kommission, welche auf inzwischen geleistete Arbeiten der Bundesverwaltung und einen in Aussicht gestellten Bericht des Bundespersonalamts zur Förderung der Mehrsprachigkeit verwies. Vertreter der lateinischen Schweiz, Marty (fdp, TI) und Brändli (svp, GR), plädierten vergebens für eine Annahme. Sie machten geltend, dem Motionär sei es nicht um eine reine Statistik gegangen, sondern darum, die Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, dass in den höheren Chargen der Bundesämter und der bundesnahen Betriebe kaum italienisch- oder romanischsprachige Personen vertreten sind [22].
Zum Widerstand gegen die neue Verfassung des Kantons Freiburg, welche Gemeinden mit einer beträchtlichen angestammten anderssprachigen Minderheit das Recht einräumt, sich zur zweisprachigen Gemeinde zu erklären, sowie zum neuen Statut der zweisprachigen Stadt Biel, siehe oben, Teil I, 1a (Kantonale Verfassungsrevisionen) und 1d (Territorialfragen).
 
[18] Geschäfte 04.3242 (GP), 04.3217 (Abate) und 04.429 (Levrat); Presse vom 30.4.04; TA, 6.5.04; NZZ, 28.12.04.Vgl. SPJ 2003, S. 285 (Fussnote).
[19] AB NR, 2004, S. 898 ff. und 1095 ff.; AB SR, 2004, S. S.297 ff. Zur Legislaturplanung siehe oben, Teil I, 1c (Regierung). Im Auftrag des BR lässt der Nationalfonds die Sprachkompetenz der Bevölkerung erfassen und Grundlagen für eine moderne Sprachenpolitik ausarbeiten. Er schrieb ein mit 8 Mio Fr. dotiertes NFP aus, das bis 2008 abgeschlossen sein soll (NZZ, 17.8.04).
[20] AB NR, 2004, S. 1226. Als Beispiele nannte Berberat das Schweizerische Heilmittelinstitut, das zu Swissmedic mutierte, das Bundesamt für Polizeiwesen, das sich neu Fedpol nennt, das Projekt des EFD zum Finanzplatz Schweiz mit neuem Namen Finweb oder die Umbenennung der Eidgenössischen Münzstätte in Swissmint. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen) sowie das Geschäft 04.3738. In der Romandie entstand ein Verein zur Bekämpfung der Anglizismen (LT, 20.3.04). Zur Frage der ersten Fremdsprache im Unterricht siehe unten, Teil I, 8a (Grundschulen).
[21] BBl, 2004, S. 5215 ff. und 5223 f. (BR); AB SR, 2004, S. 489 f.; AB NR, 2004, S. 1488 ff.; BBl, 2004, S. 5507. Die 7 Gegenstimmen im NR stammten aus der SVP, ohne dass sich diese Opposition im Rat zu Wort gemeldet hatte. Das Büro des NR hatte sich vorerst aus finanziellen und praktischen Gründen gegen eine Session in Graubünden ausgesprochen (BüZ, 25.2.04).
[22] AB SR, 2004, S. 7 ff. Siehe SPJ 2002, S. 278. Zur Untervertretung der Romands in den Präsidien der parlamentarischen Kommission sowie in der Delegation bei der Interparlamentarischen Union siehe die Antwort des Büros auf eine Anfrage im NR: AB NR, 2004, Beilagen III, S. 126 f. In den Expertenkommissionen des Bundes sind die Romands und die Italienischsprachigen hingegen leicht übervertreten (vgl. oben, Teil I, 1c, Regierung).