Année politique Suisse 2004 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Radio und Fernsehen
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Radio- und Fernsehgesetz
Als Erstrat befasste sich der Nationalrat in der Frühjahrssession mit der Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG). Dabei stellten die Fraktionen der SVP und der FDP sowie Zisyadis (pda, VD) Rückweisungssanträge. Die SVP verlangte vom Bundesrat die Ausarbeitung einer neuen Vorlage, welche für die privaten Veranstalter die Vorschriften über die Werbung noch stärker liberalisiert und den Gundauftrag für das gebührenfinanzierte Fernsehen enger und präziser fasst. Zudem forderte sie, die Behördenorganisation der öffentlich-rechtlichen Veranstalter massiv abzubauen und ihre Aufsichtsfunktion weitgehend durch neu zu schaffende parlamentarische Kontrollkompetenzen zu ersetzen. Der Rückweisungsantrag Zisyadis verlangte ziemlich genau das Gegenteil von alledem und die FDP forderte anstelle der vorgeschlagenen Totalrevision eine Beschränkung auf die SRG mit Massnahmen zu ihrer Stärkung gegenüber der Konkurrenz aus dem Ausland, sowie eine Liberalisierung der Werbeordnung des privaten Bereichs. Keiner dieser Anträge konnte sich durchsetzen.
In der fast zwei Tage dauernden Detailberatung, bei der zu nahezu jedem Artikel ein oder mehrere Minderheits- oder Einzelanträge vorlagen, beschloss der Rat auf Antrag seiner Kommission einige bedeutende Abweichungen von der Regierungsvorlage. So wurde bei der Behördenorganisation der Vorschlag abgelehnt, die bisher von der Comcom und dem Bakom wahrgenommenen Konzessions- und Aufsichtsfunktionen bei der Comcom zu konzentrieren. Mit deutlichem Mehr folgte der Rat dem Vorhaben des Bundesrats, für die privaten Veranstalter die Werbebestimmungen zu liberalisieren. So dürfen diese in Zukunft Werbespots für leichtalkoholische Getränke (Wein, Bier, Most) ausstrahlen. Die Kommissionsmehrheit, welche sich aus gesundheitspolitischen Gründen gegen diese Neuerung stellte, fand im Plenum nur noch bei einer aus SP, GP und EVP formierten Minderheit Unterstützung. Die bürgerliche Mehrheit setzte gegen den Bundesrat und die Linke zudem durch, dass in den privaten Stationen politische und religiöse Werbespots gesendet werden dürfen. Diese Liberalisierung soll gemäss einem angenommenen Antrag Hochreutener (cvp, BE) allerdings nicht für die schweizerischen Werbefenster ausländischer Sender gelten. Diese Einschränkung wurde von Direktinteressierten und Experten als unvereinbar mit dem Europäischen Übereinkommen zum grenzüberschreitenden Fernsehen gewertet [13]. Einen Erfolg konnte die Linke bei den Bestimmungen über Werbung, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet, erzielen: Gemäss ihrem mit knappem Mehr angenommenen Antrag wird diese verboten.
Die SVP, aber auch eine Mehrheit der FDP, die in verschiedenen Bereichen versuchten, die Stellung der Privaten gegenüber der SRG zusätzlich zu verbessern, drangen mit den meisten dieser Anträge nicht durch. So lehnte es die Parlamentsmehrheit ab, dass die SRG in jeder Sprachregion nur zwei Fernseh- und drei Radioprogramme anbieten kann (also zumindest in der Deutschschweiz weniger als bisher), oder dass für zielgruppenorientierte Programme (z.B. die für Jugendliche konzipierten Radiosender DRS3 und Couleur3) die Konzession nur dann an die SRG erteilt werden darf, wenn kein Privatsender die Konzessionsvoraussetzungen erfüllt, oder dass der SRG untersagt wird, ihre regionalen Programmfenster auszubauen. Einig war sich der Rat bei der Ablehnung des Regierungsantrags, einen unabhängigen Beirat zu schaffen, welcher beobachten soll, wie die SRG ihren Auftrag erfüllt. Aber auch die von der Kommission vorgeschlagenen Publikumsräte mit ähnlicher Funktion, deren Mitglieder vom Bundesrat ernannt worden wären (nicht zu verwechseln mit den bestehenden gleichnamigen Institutionen der SRG) fanden keine Mehrheit. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Gebührensplitting, das konzessionierten und mit einem Leistungsauftrag versehenen privaten Veranstaltern einen Anteil von höchstens 4% der Radio- und Fernsehgebühren zuweist (bisher waren es rund 1%), stiess auf keinen besonderen Widerstand. Allerdings präzisierte der Rat auf Antrag seiner Kommission, dass zwei verschiedene Töpfe geschaffen werden: Die Fernsehstationen erhalten maximal 4% der Fernsehgebühren und die Radiosender maximal 4% der niedrigeren Radiogebühren. Insgesamt werden auf diese Weise rund 44 Mio Fr. umverteilt. Von der FDP und der SVP erfolglos bekämpft wurde dabei die Bestimmung, dass pro „Versorgungsgebiet“ (Agglomeration, Region) nur eine derartige Konzession erteilt wird. Schliesslich wurde gegen den Antrag des Bundesrats die Nutzungsforschung aus dem Aufgabenbereich der SRG herausgenommen und eine Stiftung damit betraut; in dieser sollen neben der SRG auch andere Veranstalter vertreten sein. In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat das totalrevidierte RTVG mit 137:26 Stimmen gut. Dagegen gestimmt hatte knapp die Hälfte der SVP-Fraktion, nach deren Meinung die Vormachtstellung der SRG zu wenig eingeschränkt worden war [14].
Im Anschluss an diese Beratungen beschloss der Nationalrat, auf die parlamentarische Initiative Schmid (cvp, AI), welcher die kleine Kammer 2001 zugestimmt hatte, einzutreten. Deren Hauptanliegen, die Zulassung der Alkoholwerbung bei den privaten Programmanbietern, war zwar eben ins RTVG aufgenommen worden und damit erfüllt. Mit diesem Votum wollte die Ratsmehrheit aber ein Zeichen setzen und diesen bis zuletzt umstrittenen Entscheid (Aeschbacher, evp, ZH, hatte noch kurz vor der Gesamtabstimmung erfolglos einen Rückkommensantrag gestellt) bekräftigen [15].
Die vorberatende Kommission des Ständerates möchte bei der Liberalisierung der Werbeordnung für die Privatsender nicht so weit gehen wie die grosse Kammer. Sie lehnte die Zulassung der Werbung für Religion und Politik ab. Hingegen stellte sie sich hinter den von den Erziehungsdirektoren beider Basel und des Aargau eingebrachten Vorschlag, die SRG zur regelmässigen Ausstrahlung von Bildungssendungen zu verpflichten. Die Kommission konnte ihre Beratungen im Berichtsjahr noch nicht abschliessen [16].
Unter den im Rahmen der Bilateralen Verträge II mit der EU abgeschlossenen und in der Wintersession vom Parlament gutgeheissenen Abkommen befindet sich auch die Teilnahme der Schweiz an den so genannten Media-Programmen (Förderung der Filmproduktion) der EU. Im Gegenzug musste sich die Schweiz verpflichten, die Bestimmungen der EU-Richtlinie über Mindestanteile von schweizerischen und anderen europäischen Programmen bei den nationalen und sprachregionalen Fernsehsendern zu übernehmen. Dies geschah durch eine Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes und war im Parlament nicht umstritten. In der vom Nationalrat beschlossenen Revision des RTVG (siehe oben) ist dieser Passus ebenfalls enthalten [17]. Die SRG und die Schweizer Musikschaffenden hatten sich im Frühjahr in einer „Charta der Schweizer Musik“ auf die Einhaltung freiwilliger, je nach Sender differenzierter Quoten zwischen 6% (Couleur3 und Rete 3) und 30% (Musikwelle 531) geeinigt. Gemäss ersten Erhebungen konnten diese Quoten bei fast allen Sendern der SRG eingehalten oder übertroffen werden [18].
 
[13] Vgl. dazu BaZ, 9.3.04.
[14] AB NR, 2004, S. 35 ff. und 426 ff.; Presse vom 3.3.-5.3.04. Vgl. SPJ 2003, S. 293 ff. Zur RTVG-Revision siehe auch die Aufsätze in Medienheft, Nr. 21, Mai 2004.
[15] AB NR, 2004, S. 434 ff. Vgl. SPJ 2003, S. 254.
[16] TA, 24.8.04; NZZ, 9.9. und 24.11.04. Vgl. zum Bildungsfernsehen auch AZ, 26.8.04 sowie den Basler Erziehungsdirektor Eymann (lp) in BaZ, 23.8.04.
[17] BBl, 2004, S. 6965 ff; AB SR, 2004, S. 683; AB NR, 2004, S. 1920 f.; BBl, 2004, S. 7145 f. Siehe dazu auch BAKOM, Auswirkungen des Beitritts der Schweiz zu den Media-Programmen der EU: Mindestanteile europäischer Werke und unabhängiger Produktionen im Fernsehen, Biel 2004.
[18] AZ, 25.11.04.