Année politique Suisse 2005 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
An ihrer Delegiertenversammlung in La Chaux-de-Fonds (NE) sprachen sich die Sozialdemokraten mit 161:0 Stimmen bei vier Enthaltungen für die Abkommen von Schengen und Dublin aus, nicht zuletzt in der Hoffnung, damit weiteren Verschärfungen des Asylgesetzes vorzubeugen. Die Ja-Parole zum Partnerschaftsgesetz fiel ebenfalls einstimmig aus. Anschliessend verabschiedete die SP zehn Thesen zur Regionalpolitik, in denen sie sich zu einer vielfältigen Schweiz bekannte. Voraussetzung dafür seien ein flächendeckender Service public und eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf den Stärken und Potenzialen der jeweiligen Regionen aufbaue. Angenommen wurden zudem eine Resolution der SP Frauen für eine zweckgebundene Erbschaftssteuer zur Finanzierung von Pflegekosten und eine Resolution für ein besseres Zusammenleben der Kulturen und Religionen in der Schweiz [3].
In einem Grundsatzpapier kritisierte die SP die vom Bundesrat vorgeschlagene Anpassung der Armee XXI. Da die Hauptaufgabe der Armee aus linker Sicht nicht mehr in der autonomen Landesverteidigung, sondern im Engagement für friedensunterstützende Missionen der Staatengemeinschaft bestehe, schlugen die Sozialdemokraten die Bildung einer rund 1500-köpfigen Task-Force vor, die permanent im Ausland eingesetzt werden könne. Zur Erfüllung der Grundaufgaben genüge eine Armee ohne allgemeine Wehrpflicht mit 50 000 statt der bisher 220 000 Angehörigen (12 000 Berufs- und Zeitsoldaten, 38 000 Soldaten bei der freiwilligen Miliz, 4000 Zivilangestellte und 500 Lehrlinge); diese koste mit höchstens 2,5 Mia Fr. nur etwas mehr als die Hälfte der über 4 Mia Fr., welche zur Zeit aufgewendet würden [4].
Ende Juni sprachen sich die Sozialdemokraten in Freiburg nach einem engagierten Plädoyer des St. Galler Nationalrats und Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul Rechsteiner, mit 161:3 Stimmen bei einer Enthaltung für die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Staaten aus. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution der Westschweizer Kantonalparteien verlangten die Delegierten jedoch von den Kantonsbehörden mehr effiziente Kontrollen, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern. Einstimmig beschlossen wurde auch die Unterstützung der SGB-Initiative für ein flexibles Pensionierungsalter ab 62. Vor dem Hintergrund der Erfolge von Rot-Grün bei den kantonalen Wahlen erklärte Parteipräsident Fehr, dass die Linke legitimiert sei, einen dritten Sitz im Bundesrat zu fordern, sollte sich der positive Trend bei den nächsten eidgenössischen Wahlen fortsetzen [5].
Im Juli wechselte der Mediensprecher der SP, Jean-Philippe Jeannerat, als stellvertretender Informationschef ins EDA. Zu seiner Nachfolgerin ernannte die Parteileitung die 46-jährige Jurassierin Claudine Gaudat, welche bei der Schweizerischen Depeschenagentur, als Sprecherin beim UVEK und als Medienverantwortliche bei der Auslandschweizer-Organisation gearbeitet hatte [6].
Nach einer langwierigen Debatte mit über 60 Änderungsanträgen verabschiedeten die Sozialdemokraten in Rapperswil (SG) mit 115:25 Stimmen ein unter der Leitung von Anita Fetz (BS) ausgearbeitetes Positionspapier zur Hochschulpolitik. Die JungsozialistInnen und die Zürcher Kantonalpartei hatten vergeblich die Rückweisung des Papiers beantragt, da Effizienzsteigerung und Konzentration des Studienangebots, Bologna-Reform und Finanzierung staatlicher Hochschulangebote durch private Sponsoren ihrer Meinung nach traditionellen sozialdemokratischen Anliegen widersprachen. Bei der Parolenfassung zur Sonntagsarbeit in Geschäften in Bahnhöfen und Flughäfen setzte sich der ablehnende Gewerkschaftsflügel mit 130:13 Stimmen klar gegen die urban-liberaleren, jüngeren Parteimitglieder durch. Ohne Gegenstimme bei nur wenigen Enthaltungen unterstützten die Delegierten die Volksinitiative für ein fünfjähriges Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft [7].
Auf Vorschlag der Parteileitung wählten die Sozialdemokraten den 30-jährigen St. Galler Juristen Thomas Christen zum neuen Generalsekretär und Nachfolger von Reto Gamma (UR), der sich aus gesundheitlichen Gründen nach fünfjähriger Amtszeit zum Rücktritt gezwungen sah. Christen, früher Generalsekretär der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, hatte 2002 im SP-Zentralsekretariat als Helfer im Wahlkampagnenteam angefangen und war dann als stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Abteilung Kampagnen und Kommunikation tätig gewesen [8].
Im Oktober stellte die SP eine erste Fassung ihres erneuerten Wirtschaftskonzepts vor, das eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Nationalräte Susanne Leutenegger Oberholzer (BL) und Jean-Noël Rey (VS) formuliert hatte. Oberstes Ziel bilde die Vollbeschäftigung. Dazu müsse die Schweiz zur wirtschaftlichen Spitze aufrücken, was nur mit mehr Bildung und Ökologie, Nachfragesteigerung dank stärkerer Kaufkraft für kleine und mittlere Einkommen und eine EU-kompatible Wirtschaftspolitik zu erreichen sei. Gemäss Rey sei es Zeit, um mit grundlegenden Reformen den Kapitalismus auf seinen Platz zu verweisen; Marktwirtschaft sei nötig, nicht aber eine Marktgesellschaft, in der alles dem Wettbewerbsprinzip untergeordnet sei [9].
An ihrer Delegiertenversammlung in Bern sprachen sich die Sozialdemokraten in einer Resolution gegen die Privatisierung der Swisscom aus und drohten, allfällige Bestrebungen mit einem Referendum zu bekämpfen. Fast einstimmig fiel der Beschluss zum Referendum gegen das revidierte Asylgesetz aus, Unterstützung fand auch das von den Grünen ergriffene Referendum gegen die Revision des Ausländergesetzes. Mit 157:2 Stimmen verabschiedete die SP anschliessend den ersten Teil ihrer „Europa-Plattform“, worin sie die rasche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU verlangte. Der von der Geschäftsleitung vorgelegte Plattformentwurf enthielt Vorschläge für eine Reihe von Reformen, die ihrer Meinung nach bei einem Beitritt zwingend nötig resp. auch unabhängig davon sinnvoll seien, so die Verlängerung der Amtszeit des Bundespräsidenten, neu abgegrenzte Departemente, zwei zusätzliche Bundesräte und vom Parlament gewählte Staatssekretäre, ständige parlamentarische Europakommissionen mit abschliessenden Entscheidungskompetenzen, ein Berufsparlament und die Einführung einer Europa-Initiative, welche die Schweiz zu einem bestimmten Handeln in der EU verpflichten würde. – Den zweiten Teil der Plattform, der unter anderem die Ersetzung des Schweizerfrankens durch den Euro, das tiefe schweizerische Zinsniveau und die Verdoppelung der Mehrwertsteuer thematisiert, wollen die Sozialdemokraten im kommenden Jahr behandeln [10].
In den kantonalen Parlamentswahlen büsste die SP insgesamt 18 Sitze ein: zwölf in Solothurn und sechs im Aargau (in beiden Kantonen waren die Parlamente verkleinert worden); den zwei Verlusten in Genf standen zwei Gewinne in Neuenburg gegenüber, und im Wallis konnte sie ihre Vertretung halten. In den Regierungsratswahlen in Solothurn wurde Roberto Zanetti (sp) nach nur zwei Amtsjahren abgewählt. Gemäss Presse war ihm sein Engagement bei der im Sommer 2004 in die Schlagzeilen geratenen gemeinnützigen Stiftung Pro Facile und die aus diesem Umfeld entgegengenommenen Wahlkampfspenden zum Verhängnis geworden.
 
[3] Presse vom 21.3.05.
[4] BaZ, 26.5.05; NZZ, 28.5.05.
[5] Presse vom 27.6.05.
[6] NZZ, 21.5. und 2.7.05; TA, 28.6.05; BZ, 29.6.05; Lib., 2.7.05.
[7] Presse vom 19.9.05.
[8] Presse vom 13.8. und 19.9.05; Exp., 16.8.05; LT, 19.8.05; TA, 5.9. und 14.9.05.
[9] Presse vom 23.-28.2. und 19.10.05; siehe auch Lit. Sommaruga/Strahm.
[10] Presse vom 9.11. und 28.11.05.