Année politique Suisse 2005 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Arbeitnehmer
Der
Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) scheiterte mit seinem Anfang 2005 eingereichten und auch vom anderen grossen Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse unterstützten Referendum gegen die
Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in grossen Zentren des öffentlichen Verkehrs (Bahnhöfe und Flughäfen) in der Volksabstimmung nur knapp. Die von der gesamten Linken und auch den Kirchen und den kirchennahen Parteien EVP und EDU (nicht aber von der CVP) bekämpfte Vorlage vermochte sich am 27. November mit einem Ja-Stimmenanteil von 50,6% durchzusetzen. Von der Gesetzesrevision waren direkt zwar lediglich rund 2500 Beschäftigte in den grossen Bahnhöfen und Flughäfen betroffen. Die Gewerkschaften – und auch die Kirchen – massen ihr aber einen grossen symbolischen Wert zu. Ihnen zufolge stellte diese Liberalisierung nur einen ersten Schritt zu einer generellen Aufhebung des grundsätzlichen Sonntagsarbeitsverbots dar
[6].
Die Gewerkschaften unterstützten in der Volksabstimmung vom 25. September die
Erweiterung der Personenfreizügigkeit, wie sie im bilateralen Abkommen I zwischen der Schweiz und der EU festgelegt ist, auf die neuen Mitgliedstaaten der EU sowie die dazu gehörenden flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping. An der Unterschriftensammlung für das Referendum gegen dieses Abkommen hatte sich allerdings neben der SVP und den Schweizer Demokraten auch ein aus der äusseren Linken und einzelnen Funktionären des SGB und seiner Verbände gebildetes Komitee beteiligt. Die Volksabstimmung über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit hatte auch Auswirkungen auf die
Verhandlungen über neue Gesamtarbeitsverträge. Die rasche und friedliche Einigung auf einen neuen GAV für das Bauhauptgewerbe erstaunte, nachdem im Vorjahr die Vertragsverhandlungen von gewerkschaftlichen Protestaktionen geprägt gewesen waren, und die Unia auch für das Jahr 2005 Kampfmassnahmen angekündigt hatte. Auch bei den Malern und Gipsern, wo im Vorjahr noch gestreikt worden war, kam ein neuer GAV zustande. Vertreter sowohl der Arbeitgeberverbände als auch der Gewerkschaften gaben zu, dass die bevorstehende Volksabstimmung über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder ein wesentlicher Grund für den Verzicht auf Arbeitskonflikte und lautstarke Kontroversen zwischen den Sozialpartnern gewesen war. Dass diese Sorge nicht unbegründet war, zeigte sich beim Eisenbahnerverband: Hier war die Unzufriedenheit der Mitglieder über den Einsatz von deutschen Lokomotivführern auf dem schweizerischen Netz, die jedoch zu deutschen, das heisst wesentlich tieferen Tariflöhnen angestellt sind, derart gross, dass die Parolenfassung zum Freizügigkeitsabkommen verschoben werden musste, um eine Nein-Parole zu verhindern
[7].
Im Juni lancierte der SGB eine
Volksinitiative für eine Flexibilisierung des Rentenalters. Sie verlangt, dass Erwerbstätige mit einem Einkommen bis zu 116 000 Fr. ohne Rentenkürzung mit 62 Jahren in Pension gehen können. Die Mehrkosten sollen durch eine Erhöhung der Lohnabgaben gedeckt werden. Unabhängig vom Erfolg dieser Initiative möchte der SGB die AHV längerfristig zu Lasten der 2. und 3. Säule stark ausbauen
[8].
Der
SGB konnte seinen
Mitgliederbestand im Jahre 2005 um 0,4% auf 384 816 steigern. Zurückzuführen war dieser Zuwachs vor allem auf den Beitritt des musikpädagogischen Verbands (SMPV) mit rund 4700 Mitgliedern. Zum Wachstum beigesteuert haben auch die Beitritte von bisher nicht im SGB vertretenen Organisationen aus dem Bereich der Sozialarbeit. Die Gewerkschaften aus dem Industriesektor, aber auch die traditionellen Personalverbände aus dem Dienstleistungsbereich (Eisenbahnerverband, VPOD etc.) erlitten weitere Verluste, wobei die Unia als grösste Einzelgewerkschaft des SGB ihren Mitgliederbestand mit 203 072 (-0,1%) beinahe halten konnte. Markant zugenommen, nämlich von 23,2% auf 24,1%, hat der Frauenanteil
[9].
[6] Siehe dazu oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
[7]
Bund, 25.5.05 (Eisenbahnerverband );
Bund, 27.5.05 und
TA, 13.6.05 (Baugewerbe). Siehe auch oben, Teil I, 7a (Kollektive Arbeitsbeziehungen).
[8] Initiative: Presse vom 10.5.05 sowie oben, Teil I, 7c (AHV). AHV-Ausbau:
AZ und
Bund, 5.4.05.
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