Année politique Suisse 2005 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Grundrechte
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Genehmigung des Protokolls Nr. 14 zur
Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser Zusatz, für den sich die Schweiz stark engagiert hatte, soll die Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs, der sich einer grossen Beschwerdeflut gegenübersieht, verbessern. Das Parlament stimmte dem Antrag oppositions- und diskussionslos zu
[1].
Im Sommer gab der Bundesrat eine Anpassung des Strafrechts an das Römer Statut des
Internationalen Strafgerichtshofs für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in die Vernehmlassung. Es geht dabei um eine genauere Definition dieser Verbrechen, die in Form von Folter, Tötung, Sexualdelikten und so weiter bereits strafrechtlich erfasst sind. Werden sie systematisch und ausgedehnt gegen die Zivilbevölkerung verübt, so sollen sie einen neuen Straftatbestand bilden. Als weiteres Element enthält der Vorentwurf eine ausdrückliche Nennung der als Kriegsverbrechen geltenden Taten. Der seit Ende 2000 geltende Straftatbestand des Völkermordes soll zudem ausgedehnt werden und, neben ethnischen und religiösen, auch soziale und politische Gruppen umfassen
[2].
Die Schweiz setzte sich für die Reform der UNO-Menschenrechtskommission ein. Auf ihre Einladung trafen sich im Frühjahr 61 Staaten in Lausanne, um unter anderem über den ursprünglich vom Berner Staatsrechtler Walter Kälin stammenden Vorschlag der Ersetzung der Kommission durch einen
Menschenrechtsrat zu diskutieren
[3].
Die Umsetzung der vom Nationalrat gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Müller-Hemmi (sp, ZH) aus dem Jahre 2001 zur Schaffung einer
eidgenössischen Menschenrechtskommission verzögerte sich weiter. Da das EDA, welches vom Ständerat 2002 mit einem Postulat dazu aufgefordert worden war, ein eigenes diesbezügliches Projekt verfolgt, stimmte der Nationalrat einer Verlängerung der Bearbeitungsdauer um zwei Jahre zu. Das EDA hatte ursprünglich im Sinn gehabt, diverse sich mit Menschenrechtsfragen befassende eidgenössische und kantonale Gremien und Personen mit einem gemeinsamen koordinierenden Sekretariat auszustatten. Nach dem Scheitern dieses Plans diskutierte das EDA im Berichtsjahr eine Lösung, welche vorsah, bei einer existierenden Kommission (z.B. derjenigen zu Bekämpfung von Rassismus) das Mandat auszuweiten
[4].
Im Bestreben, griffigere rechtliche Mittel zur Bekämpfung von Rassismus und Gewaltpropaganda zu schaffen, nahm die Rechtskommission des Nationalrats das Anliegen einer Petition der Jugendsession 2003 auf und reichte eine Motion ein für ein Verbot der öffentlichen Verwendung von
Symbolen, welche für extremistische, gewalttätige oder rassistische Bewegungen stehen (z.B. Hakenkreuz). Im Einverständnis mit dem Bundesrat hiess der Nationalrat diese Motion gut. Bundesrat Blocher erläuterte in diesem Zusammenhang, dass er ein derartiges Verbot nicht wie ursprünglich geplant zusammen mit den Strafnormen zur Bekämpfung des Hooliganismus bei Sportveranstaltungen und der Propaganda für Gewalt vorlegen werde. Letztere seien wegen der in der Schweiz stattfindenden Fussballeuropameisterschaft 2008 vordringlich. Der Ständerat akzeptierte die Motion und die Petition in der Folge ebenfalls
[5].
Das Bundesgerichtsurteil zur Auslegung des
Antirassismusgesetzes,
das im Vorjahr zu heftigen Diskussionen Anlass gegeben hatte, beschäftigte das Parlament auch im Berichtsjahr. Die von der SVP-Fraktion und von Nationalrat Hess (sd, BE) eingereichten Motionen für die Streichung des Antirassismusgesetzes wurden zwar noch nicht behandelt. Der Ständerat befasste sich aber mit einer weniger weit gehenden Motion Germann (svp, SH), welche verlangte, dass rassistische Äusserungen nur dann strafbar sein sollen, wenn sie den öffentlichen Frieden ernsthaft gefährden. Auf Antrag der Regierung lehnte der Ständerat diese Lockerung des Gesetzes ab. Der Bundesrat erklärte, dass er das Bundesgerichtsurteil so interpretiere, dass Diskussionen am Stammtisch nicht unter den Strafartikel fallen, solange sich die Beteiligten gut kennen und ihre Voten nicht mühelos auch von Dritten wahrgenommen werden können
[6].
[1]
BBl, 2005, S. 2119 ff.;
AB NR, 2005, S. 1481 f. und 2001;
AB SR, 2005, S. 1151 und 1222;
BBl, 2005, S. 7483.
[3]
NZZ, 23.4.05;
LT, 3.5.05;
TA, 23.9.05 (Interview mit Kälin). Siehe dazu unten, Teil I, 2 (ONU).
[4]
AB NR, 2005, S. 1503 und Beilagen III, S. 23 ff.;
LT, 17.8.05.
[5]
AB NR, 2005, S. 165 ff.;
AB SR, 2005, S. 640 f. Zu rechtsextremer Gewalt siehe
TA, 16.9.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 17. Zur Hooligan-Strafnorm siehe unten, Strafrecht.
[6]
AB SR, 2005, S. 385 f. Vgl.
SPJ 2004, S. 17 f.
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