Année politique Suisse 2005 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Bürgerrecht und Stimmrecht
Die
SVP konnte im November ihre
Volksinitiative zur Einbürgerungspolitik einreichen. Diese verlangt, dass die Gemeinden ihre Entscheidungsinstanz und -prozedur autonom festlegen dürfen und keine Rekurse gegen die kommunalen Einbürgerungsentscheide möglich sind. Die Sammelkampagne hatte sich für die SVP als sehr mühsam erwiesen und die erforderlichen 100 000 Unterschriften kamen erst in letzter Minute und dank Sondereinsätzen zusammen. Nachdem bei der Kontrolle viele ungültige Unterschriften festgestellt worden waren, nahm die Bundeskanzlei eine genaue Nachzählung vor, welche mit einem äusserst knappen Ergebnis endete: Die Initiative war mit 100 038 gültigen Unterschriften versehen und damit zustande gekommen
[17]. Einen inhaltlich ähnlichen Vorstoss hatte im Jahr 2003 der Berner SVP-Nationalrat Joder in Form einer parlamentarischen Initiative eingereicht. Gegen die von der SPK mit knapper Mehrheit beschlossene Empfehlung lehnte es das Plenum mit 104:73 Stimmen ab, dieser Folge zu geben. Vertreter der FDP und der CVP bekundeten zwar Verständnis für das Anliegen, die Gemeindeautonomie zu schützen, lehnten jedoch die Forderung nach einem Verbot der Beschwerdemöglichkeit ab
[18].
Die SPK des Ständerat legte im Herbst ihre Vorschläge für die Umsetzung der 2003 gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Pfisterer (fdp, AG) vor. Diese Initiative versucht, die bisherigen
Verfahrenskompetenzen der Gemeinden mit den vom Bundesgericht formulierten Anforderungen an einen fairen Entscheid bei Einbürgerungsbeschlüssen in Einklang zu bringen. Die SPK hielt sich an ihren Vorentwurf aus dem Vorjahr, der in der Vernehmlassung breite Zustimmung gefunden hatte. Kommunale Volksabstimmungen (an der Urne oder in einer Gemeindeversammlung) über Einbürgerungsgesuche sollen zwar weiterhin möglich sein, aber nur dann, wenn vor dem Entscheid ein begründeter Ablehnungsantrag vorliegt. Die bis zum Bundesgerichtsurteil in einigen Orten der Zentralschweiz gängige Praxis, über alle Einbürgerungen grundsätzlich an der Urne abzustimmen, wäre damit nicht mehr möglich. Die Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs soll zudem vor einem letztinstanzlich entscheidenden kantonalen Gericht anfechtbar sein. Der Ständerat beriet die Vorschläge in der Dezembersession und stimmte ihnen zu. Zuvor hatte er mit 33 zu 6 Stimmen einen Nichteintretensantrag Brändli (svp, GR) abgelehnt
[19].
Im Kanton
Schwyz, wo bisher besonders häufig Gemeindeversammlungen über Einbürgerungen entschieden, nahm das Volk mit knappem Mehr (52%) eine Volksinitiative der SVP an, die explizit geheime Abstimmung ermöglichen will. Die Regierung gab im Herbst einen Vorschlag in die Vernehmlassung, der diese Forderung unter Berücksichtigung der vom Bundesgericht im Jahr 2003 verlangten Begründungspflicht für eine Ablehnung umsetzt. Sie lehnte sich dabei an die parlamentarische Initiative Pfisterer (siehe oben) an und verlangt, dass, wer bei Einbürgerungsgesuchen den Antrag auf eine geheime Abstimmung stellt, eine Begründung für die Gesuchsablehnung abgeben muss
[20]. In der Luzerner Vorortsgemeinde
Emmen, wo serienweise negative Einbürgerungsentscheide in Volksabstimmungen an der Urne für Aufsehen gesorgt hatten, kam man von dieser, vom Bundesgericht beanstandeten Art der Beschlussfassung wieder ab. Die Stimmberechtigten optierten im Verhältnis zwei zu eins dafür, in Zukunft eine Einbürgerungskommission über die Gesuche entscheiden zu lassen. Sogar die lokale SVP, welche mit einer Volksinitiative für die Einführung der Urnenabstimmung verantwortlich gewesen war, befürwortete diesen Systemwandel
[21].
Im Kanton
Bern fand eine Volksabstimmung zu der von der Regierung beantragten und vom Parlament gegen die Stimmen der SVP beschlossenen neuen Vorschrift statt, dass kommunale Einbürgerungsentscheide überall durch die Exekutiven zu fällen sind. Bei rund zwei Dritteln der bernischen Gemeinden war dafür bisher die Legislative (Gemeindeversammlung oder Parlament) zuständig gewesen. Am 25. September wurde die neue Regelung gegen den Widerstand der SVP mit rund 60%-Ja-Stimmen angenommen
[22]. Auch im Kanton
Appenzell-Ausserrhoden sind in Zukunft die Gemeindeexekutiven für Einbürgerungsentscheide zuständig. Gegen ein vom Kantonsparlament beschlossenes Gesetz wurde das Referendum nicht ergriffen
[23]. In der
Stadt Zürich reichten die PdA und die Alternative Liste eine Volksinitiative mit demselben Ziel ein; das Parlament hiess eine analoge Motion gut
[24]. Im
Kanton Zürich wurde mit der Annahme der neuen Kantonsverfassung die Bestimmung aufgehoben, dass über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts nur ortsansässige Gemeindebürger entscheiden dürfen
[25].
Die
Zahl der Einbürgerungen lag mit 39 753 deutlich über dem Vorjahreswert (36 957). Die grösste Gruppe von Eingebürgerten stellte erneut Serbien-Montenegro mit 9482 Personen, gefolgt von Italien (4162) und der Türkei (3467)
[26].
[17]
BBl, 2006, S. 843 f.;
TA, 10.11., 10.12. und 29.12.05; Presse vom 19.11.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 21.
[18]
AB NR, 2005, S. 1346 ff.;
BaZ, 4.10.05. Vgl.
SPJ 2003, S. 20.
[19]
BBl, 2005, S. 6941 ff. und 7125 f. (BR);
AB SR, 2005, S. 1134 ff.;
Bund, 3.11.05; Presse vom 15.12.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 21.
[20]
TA, 16.4.05;
NZZ, 19.4.05;
NLZ und
NZZ, 18.11.05.
[21]
TA, 22.2.05;
AZ, 28.2.05. Vgl.
SPJ 2003, S. 19.
[22]
Bund, 29.4., 16.6., 26.8. und 26.9.05.
[24]
TA, 30.3. und 31.3.05 (Motion);
NZZ, 7.7.05. Für die erleichterte Einbürgerung sind im Kanton Zürich bereits heute die Exekutiven zuständig.
[25]
TA, 15.1.05;
NZZ, 1.3.05. In einigen Gemeinden machten diese Gemeindebürger weniger als 10% der Stimmberechtigten aus. In den zürcherischen Städten, in denen das Parlament entscheidet, durften nur die Parlamentarier mit Gemeindebürgerrecht an der Abstimmung teilnehmen. Zur neuen Verfassung siehe oben, Teil I, 1a (Kantonale Verfassungsrevisionen).
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