Année politique Suisse 2005 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die
Volksinitiative „
Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Die von der Initiative verlangten massiven Einschränkungen für den Bundesrat und die Bundesverwaltung würden seiner Meinung nach eine sachliche Information der Stimmenden stark beeinträchtigen, da diese praktisch ausschliesslich auf die von Privaten verbreiteten Informationen und Behauptungen angewiesen wären. Insbesondere verbiete es die Initiative den Behörden, Stellung zu Falschaussagen zu nehmen. Damit wäre nach Ansicht des Bundesrates die freie Meinungsbildung nicht nur beeinträchtigt, sondern sogar gefährdet. Die in letzter Zeit geschaffenen verwaltungsinternen Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Gerichtspraxis habe zudem dafür gesorgt, dass sich das Engagement von Regierung und Verwaltung im Vorfeld von Volksabstimmungen in Grenzen halte und die Bürgerinnen und Bürger nicht von einer behördlichen Propagandawelle überrollt würden
[52].
Die SPK des
Ständerates folgte diesen Argumenten des Bundesrates und beantragte bei einer Enthaltung (Reimann, svp, AG), die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen, was das Plenum in der Herbstsession denn auch mit 34 zu 3 Stimmen tat
[53]. Sowohl im Referat der SPK-Sprecher als auch in der Diskussion im Plenum kam allerdings zum Ausdruck, dass bei den Gegnern des Volksbegehrens ebenfalls ein gewisses Unbehagen vorhanden ist über die Rolle, welche die Behörden und dabei insbesondere die Verwaltung seit einigen Jahren in Abstimmungskampagnen spielen. Auf Antrag ihrer SPK überwies die kleine Kammer eine Motion des Nationalrats aus dem Jahre 2003 in Postulatsform. Diese verlangt gewisse
rechtliche Leitplanken für den Auftritt der Bundesstellen in Abstimmungskämpfen
[54]. Eine Mehrheit der SPK der beiden Räten war sich aber einig, dass
der Bundesrat bei allen Volksabstimmungen aktiv informieren und dabei „klar und objektiv die Haltung der Bundesbehörden“ vertreten solle. Eine entsprechende parlamentarische Initiative Burkhalter (fdp, NE) fand in beiden Kommissionen Unterstützung, wurde im Plenum aber noch nicht behandelt
[55]. Die SPK des Nationalrats beschloss zudem, der Volksinitiative einen
indirekten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen und die Behandlung der Initiative bis zu dessen Vorliegen zu sistieren
[56].
Der Nationalrat hatte im Jahr 2002 eine parlamentarische Initiative Stamm (cvp, LU) für mehr
Fairness in Abstimmungskampagnen nicht weiter verfolgt. Ein Jahr später hatte Andreas Gross (sp, ZH) eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche in allgemeiner Form gesetzliche Vorschriften für möglichst faire Abstimmungskampagnen verlangte. Zudem sollten Vorkehrungen getroffen werden, dass die politischen Parteien in der Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielen können. Mit dieser zweiten Forderung nahm er, in abgewandelter Form, sein Anliegen für die Offenlegung von Kampagnefinanzierungen wieder auf, das von der SPK und im Jahr 2004 auch vom Nationalrat abgelehnt worden war. Die Mehrheit der SPK des Nationalrats unterstützte den Vorstoss Gross. Dabei schien ihr insbesondere die Einräumung von Sendezeit für die Parteien in Radio und Fernsehen ein gangbares Mittel zur Stärkung der Position der Parteien in den Abstimmungskampagnen zu sein. Das Plenum gab der Initiative gegen den Widerstand der SVP Folge
[57]. Keinen Erfolg hatte im Nationalrat dagegen eine von der SP und den Grünen unterstützte parlamentarische Initiative Rechsteiner (sp, BS). Diese hatte verlangt, dass sich mehrheitlich im öffentlichen Besitz befindende Unternehmen, sowie durch Zwangsabgaben finanzierte (z.B. Krankenkassen) oder für die Grundversorgung der Bevölkerung wichtige private Firmen nicht mehr an Abstimmungskampagnen beteiligen dürfen
[58].
Nach zwei pannenfrei durchgeführten Versuchen mit der
elektronischen Stimmabgabe im Kanton Genf bewilligte der Bundesrat auch für den Kanton Neuenburg ein entsprechendes Pilotprojekt für die eidgenössischen Abstimmungen vom 25. September und vom 27. November. Als erste Deutschschweizer Gemeinden folgten an der eidgenössischen Abstimmung vom 27. November Bülach, Bertschikon und Schlieren (alle ZH). Auch hier war das Verfahren zuerst bei einer kommunalen Abstimmung getestet worden, und, als Neuerung, war es an diesen drei Orten auch möglich, das Votum telefonisch als SMS abzuschicken
[59].
[52]
BBl, 2005, S. 4375 ff. Vgl.
SPJ 2004, S. 37. Vgl. zur Entwicklung der Kampagnetätigkeit der Verwaltung auch
NZZ, 17.9.05. Die Initiative wurde vom rechtskonservativen Verein „Bürger für Bürger“ lanciert, die SVP war daran nicht direkt beteiligt, unterstützte aber die Unterschriftensammlung (
BaZ, 30.9.05).
[53]
AB SR, 2005, S. 795 ff., 804 f. und 808; Presse vom 30.9.05.
[54]
AB SR, 2005, S. 804. Vgl.
SPJ 2004, S. 40.
[57]
AB NR, 2005, S. 39 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 44 und
2004, S. 37.
[58]
AB NR, 2005, S. 24 ff.
[59] NE:
BBl, 2005, S. 4343 f. und 5793 f.;
Express, 23.6. und 26.9.05. ZH:
BBl, 2005, S. 5791 f.;
TA, 3.10., 31.10. und 28.11.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 37.
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