Année politique Suisse 2005 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Direkte Steuern
Im Berichtsjahr befasste sich das Parlament mehrfach mit der Familienbesteuerung: In der Frühlingssession lehnte der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Wallis ab, welche die
Aufhebung der steuerlichen Benachteiligung von Ehepaaren im Vergleich zu Konkubinatspaaren verlangte, und zwar nach der im 2004 abgelehnten Steuerpaket enthaltenen Regelung. Gemäss dem Ständerat ist nach dem negativen Abstimmungsentscheid eine grundsätzliche Diskussion über alle möglichen Varianten notwendig, und diese brauche Zeit. Überwiesen wurde aber ein Postulat der ständerätlichen WAK, das den Bundesrat auffordert, bis im Sommer den im Postulat Lauri (svp, BE) verlangten Bericht zur Individualbesteuerung vorzulegen und einen Überblick über die im Parlament und in der Verwaltung pendenten familienpolitischen Massnahmen (Krankenversicherungsprämien für Kinder, Ehegatten- und Familienbesteuerung, Kinderzulagen etc.) zu erstellen und dabei die Auswirkungen auf die Familieneinkommen aller Einkommensklassen und den zur Verfügung stehenden Finanzrahmen zu berücksichtigen
[7].
Obschon Bundesrat Merz das Parlament um einen klaren Richtungsentscheid in der Frage der Familienbesteuerung und eines allfälligen Wechsels hin zur
Individualbesteuerung gebeten hatte, überwiesen die Räte bis im Herbst mehrere sich teilweise
widersprechende Motionen: Während die FDP-Fraktion die Einführung der Individualbesteuerung verlangte, forderten die Christlichdemokraten eine Gleichstellung der Ehepaare unabhängig vom System. Donzé (evp, BE) schlug zur Aufhebung der Diskriminierung von Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren die Prüfung eines Vollsplittings und die Einführung eines Kinderabzuges vom Steuerbetrag vor. Ein Begehren der SP, welches pro Kind ebenfalls einen Abzug nicht vom steuerbaren Einkommen, sondern vom Steuerbetrag sowie die Einführung der Individualbesteuerung ohne Zwischenstufe des Splittings vorsah, wurde vom Nationalrat hingegen abgelehnt, ebenso wie die in der CVP-Motion enthaltene Forderung nach einer Entlastung der Familien. Auf Zustimmung stiess jedoch eine Motion Meier-Schatz (cvp, SG), welche den Kantonen die Wiedereinführung des vor wenigen Jahren gestrichenen Ausbildungsabzugs ermöglicht. Der Ständerat überwies einen Vorstoss seiner WAK, welcher Sofortmassnahmen zur Reduktion der Diskriminierung bei der Ehegattenbesteuerung verlangt. Gemäss Kommissionssprecher Wicki (cvp, LU) verschliesse sich die Finanzdirektorenkonferenz der Diskussion um den Systemwechsel nicht, doch hege sie aufgrund der befürchteten Steuerausfälle Vorbehalte gegenüber der Individualbesteuerung. Zudem brauche der Systemwechsel Zeit; die Kantone rechneten für die nötige Gesetzesänderung und die Umsetzung der Verwaltungspraxis mit einer Frist von bis zu zehn Jahren
[8].
Im Herbst gab der Bundesrat seine Vorschläge betreffend
Sofortmassnahmen im Bereich der Ehepaarbesteuerung in die Vernehmlassung. Um die bestehende Ungleichbehandlung von Zweiverdiener-Ehepaaren gegenüber gleich situierten Zweiverdiener-Konkubinatspaaren abzubauen, änderte die Regierung den Zweiverdienerabzug. Konkret schlug sie vor, 50% des niedrigeren Ehepaarverdienstes bis zu einem Maximum von 55 000 Fr. zum Abzug zuzulassen. Die zu erwartenden Mindereinnahmen von 750 Mio Fr. sollten sowohl einnahmen- als auch ausgabenseitig finanziert werden
[9]. In seinen Antworten auf zwei Anfragen Fehr (sp, ZH) bezüglich des
Fahrplans zur Individualbesteuerung erklärte der Bundesrat, mit der Annahme widersprüchlicher Motionen habe das Parlament keinen wegweisenden Entscheid vorgelegt. Die Regierung werde daher den Grundsatzentscheid fällen und sich für eines der Steuersysteme entscheiden müssen, wolle jedoch vorerst die Auswertung der Vernehmlassung zu den Sofortmassnahmen bei der Ehepaarbesteuerung abwarten. Betreffend Steuergutschriften halte sie ungeachtet eines Systementscheides an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Abzügen vom Steuerbetrag fest. Um eine allfällige Einführung erwerbsabhängiger Steuergutschriften zu prüfen, habe sie eine Expertenkommission eingesetzt
[10].
Parteien, Kantone und Economiesuisse äusserten sich
kritisch zum Ansinnen des Bundesrates. Das Ziel, die Ungleichbehandlung von Zweiverdienerehepaaren aufzuheben, war unbestritten, ungeeignet und untauglich seien hingegen der vorgeschlagene Zweiverdienerabzug und die Gegenfinanzierung, weil sie zu einer Mehrbelastung der Alleinstehenden führten. Zudem hätten Zweiverdienerehepaare nun im Vergleich zu Einverdienerehepaaren und Konkubinatspaaren deutlich weniger zu bezahlen als nach geltendem Recht. SVP, CVP und Economiesuisse sprachen sich für ein Teilsplitting aus, das auch die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren befürwortete; SP und FDP bevorzugten die Einführung der Individualbesteuerung
[11].
In der Wintersession lehnte der Ständerat eine Motion Saudan (fdp, GE) ab, welche verlangte, beim
Ausgleich der kalten Progression dem realen Anstieg der obligatorischen Krankenkassenprämien besser Rechnung zu tragen, indem die in Frankenbeträgen festgesetzten Abzüge nicht entsprechend der Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise, sondern entsprechend dem durchschnittlichen jährlichen Anstieg der obligatorischen Krankenversicherungsprämien angepasst werden. Gemäss Bundesrat ist ein Wechsel nicht gerechtfertigt, weil die Teuerung im Gesundheitswesen vom Landesindex der Konsumentenpreise erfasst und durch das Steuerrecht korrekt ausgeglichen wird
[12].
Der Nationalrat überwies diskussionslos eine Motion Parmelin (svp, VD), die den Bundesrat beauftragt, die steuerliche
Ungleichbehandlung von geschiedenen oder in Trennung lebenden Steuerpflichtigen, welche gemeinsam das Sorgerecht für ihre Kinder ausüben und diese abwechselnd betreuen, aufzuheben
[13].
[7]
AB SR, 2005, S. 239 f.; vgl.
SPJ 2003, S. 132 (Po. Lauri).
[8]
AB NR, 2005, S. 851 ff.;
AB SR, 2005, S. 786 ff.; siehe auch die noch nicht behandelte Motion 05.3299 der FDP-Fraktion; Presse vom 15.-16.6., 25.6. und 29.9.05.
[9]
BBl, 2005, S. 5740; Presse vom 24.9.05; siehe auch die Antworten des BR auf eine Frage Darbellay (cvp, VS) und eine Einfache Anfrage Rey (sp, VS) in
AB NR, 2005, S. 1320 f. und Beilagen I, S. 161 f.
[10]
AB NR, 2005, Beilagen IV, S. 177 f. und 179 f.
[11]
LT, 6.10. und 24.12.05;
Bund und
SGT, 26.10.05; Presse vom 9.12. und 28.12.05;
SN, 16.12.05;
AZ, 22.12.05; siehe auch den Beitrag von Hans Lauri (svp, BE) in
NZZ, 27.10.05.
[12]
AB SR, 2005, S. 1080 f.
[13]
AB NR, 2005, S. 1973 und Beilagen IV, S. 264 f.;
24h, 29.8.05.
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