Année politique Suisse 2005 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Kinder- und Jugendpolitik
Per 1. Januar wurden der Dienst für Jugendfragen und das Sekretariat der Eidg. Kommission für Kinder- und Jugendfragen vom Bundesamt für Kultur ins Bundesamt für Sozialversicherungen transferiert und mit der dort angesiedelten Zentralstelle für Familienfragen zusammengeführt. Damit soll ein Kompetenzzentrum für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik entstehen [49]. Mit 96:76 Stimmen lehnte der Nationalrat eine Motion von Jacqueline Fehr (sp, ZH) ab, welche die Schaffung eines Bundesamts für Kinder, Jugendliche und Familien verlangt hatte. Gemäss Bundesrat genügten die bestehenden Strukturen, um einen verwaltungsinternen Austausch sowie die Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den übrigen gesellschaftspolitischen Akteuren zu gewährleisten [50].
Der Nationalrat stimmte einem Fakultativprotokoll zur UNO-Kinderrechtskonvention und der entsprechenden Anpassung der Strafrechtsnorm über Menschenhandel zu. Damit wird der Kinderhandel generell unter Strafe gestellt. In der Debatte stellte die grosse Kammer fest, dass der Kinderhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, der Organentnahme, der Zwangsarbeit oder zum Einsatz als Kindersoldaten zu einem lukrativen Geschäft geworden ist, das beängstigende Ausmasse angenommen habe [51].
Auf Antrag des Bundesrates überwies der Nationalrat eine Motion Vermot (sp, BE) als Postulat. Es verlangt von der Regierung, in Anwendung des Haager Übereinkommens über internationale Kindsentführungen die betroffenen Kinder und ihre gefährdeten Elternteile effektiver zu schützen, insbesondere durch eine unentgeltliche Rechtsvertretung [52].
Die grosse Kammer stimmte einem Postulat Hubmann (sp, ZH) zu, das einen Bericht über die schweizerische Adoptionspraxis fordert [53].
Mit 99:73 Stimmen abgelehnt wurde eine Motion von Nationalrätin Fehr (sp, ZH), welche die Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Verdingkinder verlangt hatte. In seiner Antwort hielt der Bundesrat fest, dass das Thema unter dem allgemeinen Blickwinkel der Sozialpolitik zu betrachten sei, diese aber im Wesentlichen in die Kompetenz der Kantone und der Gemeinden falle. Im Februar hatte der Direktor des Staatssekretariats für Bildung und Forschung, Charles Kleiber, bekannt gegeben, eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben. Zwecks Erforschung der Biographien von bis in die sechziger Jahre in grossem Umfang in Pflegefamilien und Institutionen untergebrachten Kindern hatte der Bund die Kantone ersucht, die entsprechenden Dossiers zu öffnen. Um die Kantone von der Wichtigkeit der Aufarbeitung zu überzeugen, soll vorerst die Situation der zwangsweise fremdplatzierten Kinder im Kanton Waadt und in anderen Teilen der Romandie untersucht werden [54].
Der Nationalrat verwarf eine Motion Leuenberger (gp, GE), welche die Teilnahme an Jugendschiessen auf mindestens 17-Jährige beschränken wollte. Der Bundesrat hatte das Alter von 13 auf 10 Jahre herabgesetzt mit der Begründung, es handle sich um die Ausübung eines Sports und nicht um die militärische Handhabung einer Waffe [55].
Diskussionslos überwies der Ständerat eine Motion Darbellay (cvp, VS) zur Verbesserung der Sicherheit von Kindern insbesondere in Schulbussen. Abgelehnt wurde eine Motion Langenberger (fdp, VD) betreffend des im Rahmen der WHO-Ministerkonferenz beschlossenen „Aktionsplans zur Verbesserung von Umwelt und Gesundheit der Kinder“. Die Regierung stimmte den Zielen (Zugang zu sauberem Wasser, Reduktion des Übergewichts, Reduktion der Verschmutzung der Innenraumluft etc.) zu, hielt aber einen speziellen Aktionsplan nicht für notwendig; sie hatte diesen bereits im Rahmen der Aufgabenverzichtsplanung gestrichen [56].
Der Nationalrat lehnte eine Motion Allemann (sp, BE) zur Schaffung eines virtuellen Jugendparlaments ab. Gemäss Bundesrat würde das virtuelle Jugendparlament die Jugendsession konkurrenzieren [57].
 
[49] Lit. Volz/Nolde/Stricker. Seit 2003 läuft das NFP 52 „Kinder, Jugendliche und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel“, von dem erste Ergebnisse vorgestellt wurden (Lit. Büchel/Steinmann).
[50] AB NR, 2005, S. 1589 f.
[51] BBl, 2005, S. 2807 ff.; AB NR, 2005, S. 1829 ff.; zum UNO-Abkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, das auch den Kinderhandel betrifft, siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[52] AB NR, 2005, S. 782 f.; NZZ, 11.1.05; TA, 20.1.05; siehe auch die Antworten des BR auf eine Frage derselben Parlamentarierin und eine Interpellation Hubmann (sp, ZH) in AB NR, 2005, S. 639 und 782 f. sowie Beilagen II, S. 44 ff.; vgl. SPJ 2003, S. 255.
[53] AB NR, 2005, S. 952 und Beilagen II, S. 539 f.; siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation derselben Parlamentarierin in AB NR, 2005, Beilagen I, S. 487 ff.
[54] AB NR, 2005, S. 1594; LT, 3.2. und 5.2.05; NZZ, 8.2.05. Zur aktuellen Situation im Pflegekinderwesen siehe die Antwort des BR auf eine Frage derselben Parlamentarierin in AB NR, 2005, S. 1797; vgl. SPJ 2002, S. 248. Zur Aufhebung der Vormundschaftsbehörden siehe auch die Petition Champod in AB NR, 2005, S. 1505 und Beilagen III, S. 181; AB SR, 2005, S. 1216 und Beilagen IV, S. 58.
[55] AB NR, 2005, S. 1561.
[56] AB SR, 2005, S. 467 und 1215.
[57] AB NR, 2005, S. 1596 f.; siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Savary (sp, VD) zur Staatsverdrossenheit der Jugend in AB NR, 2005, Beilagen IV, S. 274 f.