Année politique Suisse 2005 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Forschung
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Forschungsprogramme und -gelder
Seit mehr als dreissig Jahren betreibt die Stiftung Schweizerisches Forschungsinstitut für Hochgebirgsklima und Medizin das Weltstrahlungszentrum am Physikalisch-Meteorologischen Observatorium in Davos (GR). Der Bund finanziert die Stiftung im Rahmen von mehrjährigen Programmen. Bei der Erneuerung eines solchen mehrjährigen Finanzierungsprogramms stellte der Bundesrat fest, dass dazu die gesetzliche Grundlage fehlt. Ähnlich verhält es sich mit dem globalen Atmosphärenbeobachtungsprogramm, welches der Bund seit 1994 über das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie finanziert. Diskussionslos stimmte der Ständerat einer Vorlage des Bundesrates für ein Bundesgesetz über die Meteorologie und Klimatologie zu, das die erforderliche gesetzliche Grundlage für die Weiterführung der bisherigen finanziellen Leistungen schafft [55].
Im Frühling bewilligte das EDI sechs weitere Nationale Forschungsschwerpunkte, die der Bund vorerst bis 2009 jährlich mit 10 Mio Fr. finanzieren will. Die langfristigen Programme gingen aus einem für die Sozial- und Geisteswissenschaften reservierten mehrstufigen Auswahlverfahren hervor und werden in interdisziplinären Netzen durchgeführt: 1. Herausforderung für die Demokratie im 21. Jahrhundert (Leitung: Hanspeter Kriesi, ZH; Kredit: 7,1, Mio); 2. Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen – Historische Perspektiven (Christian Kiening, ZH; 5,7 Mio); 3. Schweizerische ätiologische Studie zur psychischen Gesundheit (Jürgen Margraf, BS; 10,2 Mio); 4. Iconic Criticism – Bildkritik. Macht und Bedeutung der Bilder (Gottfried Boehm, BS; 7,1 Mio); 5. Rahmenbedingungen des internationalen Handels: Von einem fragmentierten zu einem kohärenten Regelwerk (Thomas Cottier, BE; 10,4 Mio); 6. Affektive Wissenschaften: Emotionen im individuellen Verhalten und in sozialen Prozessen (Klaus Scherer, GE; 10 Mio). – Das dritte, unter dem Kürzel „Sesam“ laufende Programm, das die Grundlagen seelischer Gesundheit untersucht, umfasst eine Begleitung von 3000 Kindern und ihrer Familien bis ins Erwachsenenalter; vorgesehen sind auch genetische Analysen. An der Anlage der Studie wurde Kritik laut, weil die betroffenen Kinder nicht selber entscheiden können, ob sie sich als Versuchspersonen zur Verfügung stellen wollen oder nicht. Ständerätin Simonetta Sommaruga (sp, BE) hielt es für problematisch, ein Projekt wie Sesam zu starten, ohne dass eine gesetzliche Grundlage für die Forschung am Menschen bestehe [56].
Im Dezember lancierte der Bundesrat zwei neue Nationale Forschungsprogramme (NFP): Das mit 10 Mio Fr. dotierte NFP 58 widmet sich den Wechselwirkungen zwischen Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft und soll Lösungsansätze bieten zur Klärung der Frage, ob und wie der Staat auf die durch die Migration neu entstandene multireligiöse und multikulturelle Situation reagieren soll. Das mit 12 Mio Fr. dotierte NFP 59 „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen“ soll das Anwendungspotential der pflanzlichen Biotechnologie in der Schweiz prüfen [57].
Anfang Jahr diskutierte Staatssekretär Kleiber mit Mitgliedern der EU-Kommission die künftige Zusammenarbeit innerhalb des entstehenden europäischen Bildungs- und Forschungsraums. Zur Sprache kam die Assoziierung der Schweiz an das 7. Rahmenforschungsprogramm der EU für die Jahre 2007-2013 sowie die volle Teilnahme der Schweiz an den EU-Bildungsprogrammen ab 2007. Offen ist die Höhe des von der Schweiz zu leistenden finanziellen Beitrags. Die EU-Kommission möchte das Forschungsbudget im EU-Haushalt verdoppeln, was zur Folge hätte, dass sich auch der Schweizer Beitrag von jährlich 220 Mio auf 440 Mio Fr. erhöhte. Mit dem neuen Rahmenprogramm richtete die Kommission auch einen unabhängigen Europäischen Forschungsrat (ERC) ein. Dieser übernimmt in der europäischen Forschung eine vergleichbare Rolle wie in der Schweiz der Nationalfonds. Im Juli wurde der Schweizer Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel in den 22-köpfigen ECR gewählt [58]. In seiner Antwort auf eine Interpellation Randegger (fdp, BS) hielt der Bundesrat fest, dass eine finanzpolitische Beurteilung der Konsequenzen der Beteiligung der Schweiz am 7. Forschungsrahmenprogramm erst nach Vorliegen der Budgetentscheide der EU möglich sei. Er betonte aber, dass die EU-Rahmenprogramme die nationale Forschungsförderung und damit namentlich den SNF und die KTI grundsätzlich nicht ersetzen könnten, da die Schweiz neben der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch spezifische Anliegen an die Forschung habe [59].
 
[55] BBl, 2005, S. 5413 ff.; AB SR, 2005, S. 1132 f.
[56] Presse vom 23.3.05; vgl. SPJ 2003, S. 274 (andere NSP); zur Kritik an Sesam siehe BZ, 4.8., 17.8. und 10.10.05 sowie die Interpellation Graf (gp, BL) in AB NR, 2005, Beilagen IV, S. 444 ff. Zur Forschung am Menschen siehe auch oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[57] 24h, 3.12.05.
[58] NZZ und QJ, 19.1.05; Presse vom 19.7.05.
[59] AB NR, 2005, Beilagen I, S. 392 ff.