Année politique Suisse 2006 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
Zum Jahresauftakt votierten die Delegierten in Burgdorf (BE) mit 186:6 bzw. 191:2 Stimmen bei je 15 Enthaltungen klar für die Ja-Parole zu den Asyl- und Ausländergesetzen. Sowohl Nationalrat Philipp Müller (AG) als auch Parteipräsident Fulvio Pelli (TI) hatten zuvor die Notwendigkeit beider Gesetze hervorgehoben. Laut Pelli könnten damit sowohl die Durchsetzung des Rechtsstaats als auch humanitäre Anliegen gewährleistet werden. Demgegenüber behaupteten Kritiker der Vorlagen wie Yves Christen (VD), die Verschärfung der Asylregelungen verletze internationales Recht und würde der humanitären Tradition der Schweiz nicht gerecht [11].
Die Delegiertenversammlung vom April in Glarus war ganz der Bildungspolitik gewidmet. Das Konzept „Projekte für eine intelligente Schweiz“ stellt einen der vier Schwerpunkte des freisinnigen Strategiepapiers „Eine Schweiz in Bewegung – eine erfolgreiche Schweiz“ dar. Es setzt sich für eine frühere sprachliche Förderung fremdsprachiger Kinder ein. Hochdeutsch soll die Standardsprache in Kindergarten und Basisstufe werden, fremdsprachiger Unterricht auch in anderen als Sprachfächern erlaubt sein. Die FDP möchte Noten auf allen Schulstufen wieder einführen und den Eltern die freie Schulwahl lassen. Die Delegierten stimmten ausserdem für die Einrichtung einer „Stiftung Forschung Schweiz“. Wie Nationalrat Ruedi Noser (ZH) und Gastredner Alexander Zehnder, Präsident des ETH-Rats, ausführten, soll diese Stiftung bundeseigene Gelände wie den ehemaligen Militärflugplatz Dübendorf (ZH) für die Errichtung von Forschungsparks zur Verfügung stellen [12].
Die Freisinnigen gaben sich ein neues Logo, das die Partei im April der Öffentlichkeit präsentierte. Ein blauer Schriftzug auf weissem Grund propagiert das Motto „FDP. Wir Liberalen“. Die Basler Liberalen kritisierten das Motto wegen seiner grossen Ähnlichkeit mit ihrem eigenen, „Die Liberalen. LDP“, und forderten die Rücknahme des Logos. Der Streit konnte schliesslich beigelegt werden [13].
Die Delegiertenversammlung vom August in Murten (FR) stand im Zeichen eines Positionspapiers, in dem die FDP Massnahmen für eine bessere Integration von Ausländern vorschlägt. Das Integrationspapier versteht sich als Bestandteil des Schwerpunkts „offene Schweiz“ des freisinnigen Strategiepapiers. Es zielt jedoch nicht allein auf Ausländer, sondern versteht „Integration“ gesamtgesellschaftlich und bezieht auch junge Menschen darin ein. Als grundlegende integrative Kraft bezeichnet die FDP die Bildung. Deswegen zählen möglichst früh einsetzende und breit angelegte Bildungsmassnahmen, vor allem sprachliche Förderung, zu den wesentlichen Aspekten des Papiers. Die Forderung nach einer aktiveren Beteiligung des Bundes an der Verbesserung der Bildungs- und Beschäftigungschancen von Ausländern fand Unterstützung. Nur knapp konnten sich die Delegierten auf die Forderung nach einem Rahmengesetz für Integration einigen. Ein Einwand lautete, die notwendigen Regelungen würden bereits mit der Revision des Ausländergesetzes geschaffen. Nach einer hitzigen Diskussion, in der sich vor allem Politiker aus der Zentral- und der Westschweiz gegenüberstanden, empfahlen die Delegierten die Einführung des kommunalen Stimm- und Wahlrechts für Ausländer, wie es in fast allen welschen Kantonen bereits praktiziert wird. Einige kantonale Parteipräsidenten kritisierten in der Folge, dass sie bei der inhaltlichen Ausarbeitung des Konzepts übergangen worden seien. Auch der auf Ausländerpolitik spezialisierte Nationalrat Philipp Müller (AG) bemängelte die fehlende Zusammenarbeit innerhalb der Partei und die zu starke Lenkung der Arbeit durch die Parteispitze [14].
Im Juni reichte die FDP des Kantons Zürich die eidgenössische Volksinitiative zur Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts ein, welche die Mutterpartei ohne Begeisterung mitgetragen hatte [15].
Auf dem Parteitag im September in Zürich ermunterte Präsident Fulvio Pelli seine Partei zu einer zukunftsweisenden Politik, in der Mut zur Veränderung einhergehen müsse mit einem grösseren Optimismus und dem Augenmerk auf menschliche Bedürfnisse jenseits sachlicher Wirtschaftsfragen. Damit wolle die FDP vermehrt auch junge, urbane Personen und insbesondere Frauen ansprechen. Er mahnte seine Partei zu Geschlossenheit und gab mit Blick auf die Wahlen 2007 als Ziel den Gewinn von zusätzlich sechs Sitzen im Parlament aus. Unter den verschiedenen diskutierten Projekten kamen die Schwerpunkte „wachsende“ und „gerechte“ Schweiz des Strategiepapiers zum ersten Mal eingehender zur Sprache [16].
In seiner Rede auf der Delegiertenversammlung im Oktober in Sempach (LU) übte Präsident Pelli scharfe Kritik an Bundesrat Blocher und namentlich an dessen Infragestellung der Antirassismusstrafnorm. Darüber hinaus machte er dem Schweizer Fernsehen und besonders der Politiksendung „Arena“ den Vorwurf, Blocher eine weitgehend unkritische Plattform gegeben zu haben und so dazu beizutragen, dass wichtigere Themen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrängt würden. Pellis Rede fand zwar grundsätzliche Zustimmung, er wurde jedoch von einem Teil der Delegierten dafür kritisiert, dass er sich zu sehr auf die SVP einschiesse und dabei inhaltliche Anliegen und langfristige politische Zielsetzungen vernachlässige. Ausserdem beriet die Partei über ein „liberales Konzept einer nachhaltigen Energiepolitik“. Darin steht eine CO2-arme und möglichst unabhängige Energieversorgung der Schweiz im Vordergrund. In diesem Sinn spricht sich das Papier für eine weitere Nutzung der Atomkraft und gegen fossile Brennstoffe aus; die Aargauer Sektion erhielt dabei Unterstützung für ihre Forderung nach einem zusätzlichen Atomkraftwerk. Parallel dazu wurde ein starkes Engagement für erneuerbare Energien, vor allem die Geothermik und die Wasserkraft, gefordert.
Am Rande der Delegiertenversammlung beschlossen die Präsidenten der Kantonalparteien mit 16:7 Stimmen bei 2 Enthaltungen die Nein-Parole zur nationalen Vereinheitlichung der Familienzulagen. Die Mehrzahl unter ihnen war der Meinung, die gegenwärtige Regelung sei besser auf die unterschiedlichen regionalen Bedürfnisse eingerichtet [17].
Im Dezember gab die FDP ein Diskussionspapier in die parteiinterne Vernehmlassung, das wesentliche Aspekte des Wirtschaftsprogramms „wachsende Schweiz“ skizziert. Das Papier wurde von einer Arbeitsgruppe um Ständerat Rolf Schweiger (ZG) erstellt und enthält sowohl grundsätzliche Positionen als auch konkrete Projekte. Allgemein unterstreicht es die Bedeutung global agierender Unternehmen für die Schweizer Wirtschaft und die Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise, die weniger auf Partikularinteressen wie namentlich die einheimische Landwirtschaft fokussiert sei. Zu den erwünschten Entwicklungen zählen die Öffnung des Arbeitsmarktes für beruflich qualifizierte Zuwanderer und der nationale und internationale Steuerwettbewerb. Erwähnung findet im Papier auch der Vorschlag einer extremen Vereinfachung des Steuersystems, die „Easy Swiss Tax“, welche die Zürcher Kantonalpartei und Fulvio Pelli bereits im August der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Schliesslich greift das Papier die bereits zuvor erwähnte Schaffung einer Stiftung für Forschung und Ausbildung auf. Die Mittel für eine solche Stiftung würden aus der Veräusserung von nicht mehr benötigten Liegenschaften, Grundstücken und Beteiligungen des Bundes stammen [18].
Auf der Delegiertenversammlung vom August in Murten (FR) wurde Fulvio Pelli einstimmig als Parteipräsident bestätigt. Nationalrätin Gabi Huber (UR) wurde ebenso einstimmig als Nachfolgerin von Marianne Kleinert (AR) zur Vizepräsidentin an der Seite von Léonard Bender (VS) und Nationalrat Ruedi Noser (ZH) gewählt [19].
In den kantonalen Parlamentswahlen verlor die FDP 23 Sitze. Besonders schwerwiegend waren die Einbussen von zehn Sitzen in Bern und sieben in Freiburg, wo allerdings Parlamentsverkleinerungen stattfanden. Drei Sitze mussten die Freisinnigen in Glarus, je einen im Jura und in Nid- und Obwalden abgeben. In Zug dagegen verteidigten sie ihre 20 Mandate, und in Graubünden gelang ihnen der Gewinn von 4 Sitzen. Ein grosser Erfolg der Freisinnigen war die Rückeroberung ihres 2002 verlorenen Regierungssitzes im Jura. In Glarus und Bern verlor die FDP hingegen je ein Regierungsmitglied.
 
[11] Presse vom 16.1.06.
[12] Presse vom 3.4.06.
[13] Presse vom 22.4.06. Zum Streit mit der LDP Basel, siehe TA, 21.4.06; Bund, 25.4.06; LT und NZZ, 26.4.06.
[14] Presse vom 21.8.06; AZ und TG, 22.8.06.
[15] Siehe oben, Teil I, 6d (Natur- und Heimatschutz).
[16] Presse vom 18.9.06.
[17] Presse vom 16.10. und 17.10.06. Für das Positionspapier zur Energiepolitik siehe ausserdem NLZ, 28.9.06.
[18] NZZ, 21.12.06; LT, 28.12.06.
[19] Presse vom 21.8.06. Zur Wahl von Gabi Huber zur Vize-Präsidentin siehe NLZ, 19.8.06.