Année politique Suisse 2006 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Auf der Delegiertenversammlung der CVP im Januar in Näfels (GL) stellten Bundesrat Joseph Deiss und Parteipräsidentin Doris Leuthard die Resolution „Mehr Innovation für Markterfolg und Wachstum“ vor. Zu den konkreten Vorschlägen der Resolution zählen die Senkung und Vereinheitlichung des Einschulungsalters, die Förderung von Tagesschulen und die Einführung von Blockzeiten. Unter Innovation soll vor allem eine gezielte
Förderung ganz bestimmter Wirtschaftsbereiche verstanden werden, namentlich die Medizintechnologie, die Nanotechnologie und Materialforschung sowie Finanz- und Kommunikationswissenschaften und Informatik. Die Delegierten nahmen die Resolution einstimmig an. Daneben fassten sie mit 202:7 Stimmen die Nein-Parole zur linken Kosa-Initiative und unterstützen ohne Gegenstimme den Bildungsartikel
[20].
Mitte April stellte die CVP ein Positionspapier zur
Integrationspolitik vor. Darin wird die Rolle des Staates bei der Wahrung und Überwachung der Rechtsordnung und des religiösen Friedens betont. Einen Schwerpunkt legte die CVP auf die Bildung, die für alle mit denselben Rechten und Pflichten verbunden sein soll. So forderte sie eine allgemeine Anwesenheitspflicht im Schulunterricht, stellte es jedoch den Kantonen frei, in Einzelfällen die Befreiung vom Schwimmunterricht zuzulassen. Sie setzte sich auch für die universitäre Ausbildung von Imamen ein. Bezüglich religiöser Bauten beriefen sich die Christlichdemokraten auf das Recht der freien Religionsausübung, sie empfahlen den muslimischen Gemeinden jedoch eine vorherige Absprache mit den lokalen Behörden und der Bevölkerung
[21].
Anfang März trat das
gespannter gewordene Verhältnis der CVP zur katholischen Kirche deutlich in kritischen Stellungnahmen von Kirchenvertretern zutage. In wichtigen politischen Fragen hatte die CVP zuletzt Positionen vertreten, die denjenigen der Kirche zuwider liefen, so beim Partnerschaftsgesetz, der Stammzellenforschung, der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und den Asyl- und Ausländergesetzen
[22].
Ende April führten die Delegierten in Chur (GR) eine kontroverse Diskussion um die eidgenössischen Vorlagen zur
Asyl- und Ausländerpolitik. Den mehrheitlich aus der Deutschschweiz stammenden Befürwortern traten insbesondere christlichsoziale und welsche Delegierte entgegen, welche die Gesetze in Konflikt mit internationalem Recht sowie der humanistischen und christlichen Tradition der Schweiz sahen. Die Sektionen aus der Waadt und Genf gaben zu bedenken, dass die Gesetze einen allgemeinen Geist des Misstrauens schafften. Sie entschieden sich aber für eine eigene Kampagne, um sich von der SVP abzugrenzen. Mit einer klaren Mehrheit wurde noch eine Resolution verabschiedet, die sich gegen den „Ausverkauf der Swisscom“ wendet
[23].
Am 1. Juni startete die Partei mit der
Präsentation ihres Wahlprogramms in den offiziellen Wahlkampf 2007. Unter dem Motto „Renouveau 07“ setzten Generalsekretär Reto Nause und Parteipräsidentin Doris Leuthard die Schwerpunkte bei der Stärkung der Familie, der Schaffung von Arbeitsplätzen und deren Vermittlung an die junge Generation sowie bei der sozialen Sicherheit
[24].
Im Juli stellte die CVP ihr
sicherheits- und armeepolitisches Leitbild „Sicherheit erhalten, festigen und ausbauen“ der Öffentlichkeit vor. Gemäss Nationalrat Jakob Büchler (SG) geht es dabei vor allem um moderne Massnahmen zum Raumschutz, also um Mobilität und den Schutz wichtiger Infrastrukturen. Das Leitbild unterstützt die vom Bundesrat beschlossene Neuausrichtung der Armee „Entwicklungsschritt 2008 / 2011“. Es sieht die Kooperation mit anderen Ländern vor, aber keine Bündnisse, und ist für friedensfördernde Auslandseinsätze, wozu jedoch nicht Kampfeshandlungen zur Erhaltung des Friedens zählen
[25].
Anfangs September in Aadorf (TG) gaben die Delegierten mit 214:8 Stimmen bei 3 Enthaltungen klar die Ja-Parole für die Vereinheitlichung der
Familienzulagen heraus. Ohne Gegenstimme bei 2 Enthaltungen wurde ebenfalls die Ja-Parole zur Osthilfe beschlossen. Zuvor hatten Ständerat Philipp Stähelin
die Bedeutung des Gesetzes hinsichtlich der guten Beziehungen zu Europa hervorgehoben und Doris Leuthard auf die Finanzierbarkeit der Vorlage hingewiesen
[26].
Zentrales Thema der Freiburger Delegiertenversammlung Ende Oktober war die
Wirtschaftspolitik. Der diskutierte Katalog von Forderungen stimmte dabei weitgehend mit den Zielen der zur neuen Wirtschaftsministerin gewordenen Doris Leuthard (siehe unten) überein: die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips, um die Verbraucherpreise in der Schweiz zu senken, der Abbau von weiteren Handelshemmnissen sowie administrative Vereinfachungen für die KMU
[27].
Anfang Dezember startete die CVP eine „Agraroffensive“ mit einem
offenen Brief an die Schweizer Bauern, worin sie sich als eigentliche Interessenvertreterin der Bauern darstellte und der SVP in diesem Bereich Untätigkeit bis hin zum Verrat vorhielt. Diese Offensive hatte die Beratungen der parlamentarischen Kommission zur Agrarpolitik 2011 zum Anlass
[28].
Anfang Juni wurde Parteipräsidentin
Doris Leuthard (AG) einstimmig zur einzigen Kandidaten der CVP für die Nachfolge von Joseph Deiss im Bundesrat nominiert und am 14. Juni von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt.
Übergangsweise übernahmen Bruno Frick (SZ) und Dominique de Buman (FR) die Leitung der Partei
[29].
Nachdem zahlreiche potentielle Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachfolge von Doris Leuthard als Parteipräsidentin davon Abstand genommen hatten, sich zu präsentieren, darunter die Nationalrätinnen Brigitte Häberli (TG) und Lucrezia Meier-Schatz (SG), wurde der 35jährige Nationalrat Christophe Darbellay (VS) zum einzigen von der Findungskommission empfohlenen Bewerber. Darbellays Kandidatur barg das Problem, dass ein zusätzlicher Mann im Präsidium gegen die in den Partei-Statuten festgelegte Mindestrepräsentation der Frauen verstossen würde. Dieses Problem wurde zunächst zurückgestellt, später dann durch die Wahl der Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen in das auf 8 Mitglieder erweiterte Parteipräsidium gelöst. Die Delegiertenversammlung anfangs September in Aadorf (TG) wählte
Christophe Darbellay mit 214 von 218 Stimmen zum
neuen Präsidenten
[30].
In den kantonalen Parlamentswahlen gingen der CVP acht Sitze in Freiburg verloren, fünf in Graubünden, drei in Zug sowie je ein Sitz im Jura und in Nidwalden, wobei sich die Christlichdemokraten dort trotzdem überall als stärkste Fraktion behaupten konnten. Auch in Bern und Glarus büsste die CVP je einen Sitz ein. Diesen 20 Sitzverlusten stand lediglich der Gewinn von zwei zusätzlichen Parlamentssitzen in Obwalden gegenüber. Den Christlichdemokraten gelang es in allen Kantonen, in denen sie an der Regierung beteiligt waren, ihre Mandate vollständig zu halten.
[21] Presse vom 15.4. und 16.4.06.
[22] Presse vom 3.3. und 4.3.06. Siehe dazu auch
SPJ 2005, S. 286.
[24]
Bund,
LT und
NZZ vom 2.6.06.
[27] Presse vom 30.10.06.
[29] Presse vom 15.6.06. Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Regierung).
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