Année politique Suisse 2006 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Auf der Delegiertenversammlung vom Februar in Stans (NW) sprach sich die SVP mit 326:2 Stimmen
für die Privatisierung der Swisscom aus. Bundesrat Blocher argumentierte, das Haftungsrisiko sei für den Bund zu hoch. Nach dem Verkauf sei aber auf die Gewährleistung der Grundversorgung für alle Kunden zu achten, wobei diese Leistung auch von privater Hand erbracht werden könne
[31].
Nach langem Zögern schloss sich die Parteiführung im März dem
Referendum gegen die Osthilfe an, das von den Schweizer Demokraten (SD) und der Lega dei Ticinesi gemeinsam ergriffen worden war. Auf diese Weise verschaffte sie dem Referendum erst die notwendige Basis für eine breite Unterstützung. Dieses Vorgehen wurde allgemein als taktische Positionierung im Rechtsaussenspektrum angesehen, und die Partei hatte Mühe, das Referendum von den Verträgen der Bilateralen II zu dissoziieren, die ihre Bundesräte zuvor mitgetragen hatten.
Die SVP begründete ihr Engagement gegen die Kohäsionsmilliarde schliesslich auch kaum mit europapolitischen Argumenten, sondern mit dem Verweis auf Unklarheiten bei der Finanzierung. Die Unterstützung des Referendums blieb aber parteiintern umstritten
[32].
Ebenfalls im März stellte die Parteileitung das Positionspapier „Unsere Regeln gelten für alle“ vor, das verschärfte Massnahmen „gegen
Immigration und Werteverfall“ vorschlägt. Die SVP beschreibt darin Missstände mit Begriffen wie „Balkanisierung der Schulen“ oder „Unterhöhlung unserer Kultur“ und warnt vor der Gefahr, dass Einwanderer aus dem Balkan sowie konservative Muslime versuchen würden, ihre Rechtsvorstellungen (z.B. Blutrache, Patriarchat, Scharia) in der Schweiz anzuwenden. Insbesondere wird auch verlangt, die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten einzuschränken und den Familiennachzug von Ehegatten mit Bedingungen wie der Kenntnis der Landessprache zu verknüpfen. Zudem fordert die SVP, dass Immigranten und die nachgezogenen Familienmitglieder nicht der Sozialhilfe zur Last fallen dürfen. Das Papier verlangt ferner zwingende Landesverweise für Ausländer, die für schwere Straftaten verurteilt worden sind; unverbesserliche minderjährige ausländische Kriminelle sollen mit ihren Familien des Landes verwiesen werden
[33].
An der Versammlung in Maienfeld (GR) im April votierten die Delegierten einstimmig für die
Asyl- und Ausländergesetze; die SVP war in der Kampagne zu dieser Volksabstimmung äusserst präsent und bemühte sich, die auch von den anderen bürgerlichen Parteien mitgetragenen Beschlüsse als alleiniges Verdienst der SVP und ihres Bundesrats Blocher darzustellen. Mit einer knappen Mehrheit von 32:26 Stimmen fasste der Parteivorstand in Maienfeld auch die Ja-Parole zum Bildungsartikel
[34].
In Baar (ZG) sprachen sich im August die Delegierten einstimmig dagegen aus, einen Teil der zukünftigen
Nationalbankgewinne an die AHV fliessen zu lassen, wie dies die Kosa-Initiative verlangte. Auch die
Ablehnung des Kinderzulagengesetzes, gegen welches der Gewerbeverband das Referendum ergriffen hatte, fiel mit 426:3 Stimmen sehr deutlich aus. Verabschiedet wurde ausserdem das Positionspapier „Zehn Gebote für einen gesunden Staatshaushalt“, das ein hartes Sparprogramm zur finanziellen Sanierung des Bundes und die Beschränkung der Tätigkeit des Bundes auf einige Kernaufgaben fordert
[35].
Zu Diskussionen über Parteigrenzen hinweg führte die Weigerung der kommunalen Behörden von Bassecourt (JU), die Delegiertenversammlung der SVP im September zu beherbergen. Bürgermeisterin Françoise Cattin begründete den ungewöhnlichen Schritt mit der
Bedrohung der öffentlichen Ordnung und dem Kostenaufwand für entsprechende Schutzmassnahmen gegen die voraussehbaren Störaktionen von Organisationen wie der Gruppe Bélier oder ATTAC. Die SVP verlegte den Versammlungsort nach Grenchen (SO). Dort fassten die Delegierten
die Nein-Parole zum Osthilfegesetz
[36].
Der Parteitag im Oktober in Freiburg bekräftigte und verschärfte
die
Wahlplattform der SVP von 2003 für die eidgenössischen Wahlen 2007. Unter dem Slogan „Mein Zuhause – unsere Schweiz“ wurden neben dem Eintreten für die „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ eines möglichst schlanken Staates – niedrigere Steuern und Abgaben, Senkung der Staatsquote auf das Niveau von 1990 – die Kriminalitätsbekämpfung und der Ausbau des Strassennetzes als wichtige Ziele formuliert. Wie Präsident Ueli Maurer und der Zürcher Nationalrat Mörgeli bezeichnete Bundesrat Blocher den Asylmissbrauch und die illegale Einwanderung als wesentliche Probleme der Schweiz. Gemäss der SVP sollen neue Einwanderer einen dreijährigen Verzicht auf Sozialhilfe geloben bzw. ihre Unabhängigkeit von staatlichen Mitteln nachweisen müssen. SVP-Präsident Maurer formulierte die Zahl von 100 000 neuen SVP-Wählern als das ehrgeizige Ziel der Partei für die Nationalratswahlen vom Herbst 2007
[37].
Bewegungen im
Personalbereich gab es vor allem in der Westschweiz. Nach dem Rücktritt
von Jean Fattebert (VD) wählte die Delegiertenversammlung im Februar Nationalrat Yvan Perrin (NE) als dessen Nachfolger ins Amt des Vize-Präsidenten der SVP. Er setzte sich gegen Jean-François Rime (FR) durch. Auf Ende November trat Gilberte Demont
von ihrem Amt als
Koordinatorin der SVP in der Westschweiz zurück. Zu ihrem Nachfolger wurde im Dezember der Waadtländer Claude-Alain Voiblet bestimmt
[38].
Der Aargauer SVP-Nationalrat
Ulrich Siegrist, der seit Jahren die politische Entwicklung der SVP mit scharfer Kritik begleitet hat, trat im Mai schliesslich aus der Fraktion aus. Er begründete diesen Schritt damit, dass die Partei ihre Werte verloren habe und zu einer populistischen Bewegung verkommen sei
[39].
In den kantonalen Parlamentswahlen erhöhte die SVP ihren Anteil insgesamt um 8 Sitze. Zwar stellte sie im verkleinerten Berner Grossen Rat 20 Mitglieder weniger, doch war sie in Freiburg mit 2 zusätzlichen Abgeordneten erfolgreicher als 2001, und in Glarus wurde sie nach 5 Sitzgewinnen stärkste Fraktion vor der FDP. Auch in Nidwalden und im Jura konnte die SVP drei resp. einen Sitz zulegen. Allerdings musste sie in Graubünden, Obwalden und Zug jeweils einen Sitzverlust hinnehmen. Der Mandatsverlust in Bern war die einzige Änderung bezüglich der Vertretungen der SVP in kantonalen Regierungen. Sie behielt ihre Mitglieder in den Glarner und Graubündner Exekutiven, versuchte jedoch in Freiburg, Jura, Nidwalden und Zug vergeblich, ihre Kandidaten durchzusetzen.
[32]
TG, 16.3.06; Presse vom 17.3.06.
[33] SVP,
Unsere Regeln gelten für alle: Positionspapier zur Asyl- und Ausländerpolitik, Bern 2006; Presse vom 21.3.06.
[36]
LT, 9.9.06;
QJ, 12.9., 13.9. und 16.9.06;
TA, 11.9. und 12.9.06.
[37] Presse vom 23.10.06.
[38] Perrin: Presse vom 6.2.06. Zu Perrin siehe auch
Lib.,
LT und
NF vom 31.1.06. Voiblet:
24h, 7.10.06;
LT, 9.10.06.
[39]
24h,
LT und
NF vom 12.5.06.
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