Année politique Suisse 2006 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Liberale Partei (LP)
Auf ihrer Versammlung im März in Yverdon (VD) beschlossen die Delegierten der LP mit 41:10 Stimmen das Referendum der Arbeitgeber gegen die Vereinheitlichung der Kinderzulagen zu unterstützen. Zwar befürchteten manche Delegierten, diese Haltung könnte der Partei als Familienfeindlichkeit ausgelegt werden, doch überwog die Überzeugung, die Kompetenz für die Familienpolitik müsse bei den Kantonen bleiben. Ausserdem empfahlen die Delegierten den Bildungsartikel mit 58:4 Stimmen zur Annahme [40].
Die Liberalen beschlossen durchwegs die gleichen Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen wie die Freisinnigen. Allerdings traten bei den Asyl- und Ausländergesetzen wie auch bei der FDP grosse interne Differenzen zutage. So stimmten auf der Delegiertenversammlung in Genf Parteipräsident Claude Ruey (VD) und Nationalrätin Martine Brunschwig-Graf (GE) gegen die Vorlagen, und die Delegierten sprachen sich mit nur 48:20 Stimmen zugunsten des Ausländergesetzes und mit 37:29 für das Asylgesetz aus. Auf der späteren Delegiertenversammlung in Pully (VD) entschuldigte sich Claude Ruey für die ambivalente Position, in die er sich als Parteipräsident begeben hatte, indem er sich in einem Komitee und mit Vertretern linker Parteien für die Ablehnung der Asyl- und Ausländergesetze engagiert hatte [41].
Die enge Zusammenarbeit mit der FDP im Rahmen der freisinnig-liberalen Union fand kantonal wie kommunal nur vereinzelt ein Echo, so in Corcelles-Cormondrèche (NE), wo im März die „Union radicale-liberale“ gegründet wurde. Im Kanton Freiburg kam es zur Fusion der FDP mit der dort sehr kleinen LP zum „Parti libéral-radical“. Im Kanton Wallis, wo den Liberalen ebenfalls nur geringe Bedeutung zukommt, fand die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Parlamentsfraktion statt. Auf nationaler Ebene beschlossen die Delegierten beider Parteien im Dezember die weitere Zusammenarbeit in der seit 2003 bestehenden gemeinsamen Fraktion im Bundesparlament [42].
Die Liberale Partei des Kantons Genf erlebte eine turbulente Folge von vier Präsidenten, nachdem die Generalversammlung der Partei im März überraschend den jungen Blaise-Alexandre Le Comte, einen Vertreter des rechten Parteiflügels, zum Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Olivier Jornot gewählt hatte. Der in den Folgemonaten wachsende parteiinterne Widerstand gegen Le Comte führte schliesslich zum Rücktritt von 5 Vize-Präsidenten im Juni, woraufhin Le Comte sein Amt niederlegte. Nach einer erneuten Interimspräsidentschaft Jornots wurde Ende September der sozial engagierte Serge Bednarczyk zum neuen Präsidenten gewählt, nur um bereits Anfang November wieder von diesem Posten zurückzutreten. Bis zum Jahresende wurde die Partei daraufhin von einer „Troika“ aus den drei Vize-Präsidenten geleitet [43].
Die Liberalen beteiligten sich im Berichtsjahr an keinen kantonalen Wahlen. In der Stadt Lausanne verloren sie 5 ihrer 12 Parlamentssitze und ihr bisheriges Exekutivmandat.
 
[40] AZ und NZZ, 27.3.06.
[41] TG, 26.9.06. Zur Position von Claude Ruey siehe LT, 3.10.06; NZZ, 11.12.06.
[42] LT, 11.12. und 13.12.06. Zur Zusammenarbeit von FDP und LPS siehe BaZ, 25.3.06; NZZ, 20.7.06. Zu den Protesten der Basler LDP gegen die Neubezeichnung der FDP siehe oben (FDP).
[43] TG, 10.3.06 (Wahl von Le Comte); Krise: 24h, LT und TG, 20.-28.6.06; Wahl von Bednarczyk: LT und TG, 12.-29.9.06; Rücktritt Bednarczyks und Ende der Krise: LT und TG vom 4.-8.11.06. Le Comte gründete danach eine Konkurrenzpartei (siehe unten, Andere Parteien).