Année politique Suisse 2006 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Grüne Partei (GP)
Auf der Delegiertenversammlung im März in Bern erteilte Parteipräsidentin Ruth Genner (ZH) einer eventuellen Beteiligung der GP an einer Regierung mit Christoph Blocher eine deutliche Absage. Genner sah einen grünen Sitz im Bundesrat nicht als primäres Ziel für die Wahlen 2007 an; vorrangig sei vielmehr, die Parlamentsvertretung der Grünen weiter zu stärken. Im Zentrum der Versammlung standen umweltpolitische Themen. Die Delegierten forderten von der Parteileitung die Vorbereitung einer Klimainitiative, da das Projekt einer CO2-Steuer wenig Realisierungschancen besitze. Des Weiteren bekräftigten sie ihre Forderung nach einem schnellen Ausstieg aus der Atomkraft. Schliesslich gaben die Delegierten mit 79:5 Stimmen bei 7 Enthaltungen die Ja-Parole für den Bildungsartikel heraus [44].
Anfang April erklärte der Parteivorstand in einem Grundsatzentscheid die Bereitschaft der Grünen zur Übernahme von Regierungsverantwortung auch auf Bundesebene. Vize-Präsident Ueli Leuenberger (GE) nannte die grüne Regierungsverantwortung in 5 Kantonen [45] (BS, GE, NE, NW und VD) als Beleg für die notwendige Erfahrung und Reife seiner Partei. Zugleich schränkte Leuenberger ein, dass die Art der Partner und deren Offenheit für das grüne Programm als Bedingungen für eine Zusammenarbeit verstanden werden müsse. Damit bewegten sich die Grünen weg vom Selbstverständnis als reine Oppositionspartei, aber das einstimmige Votum des Vorstands war innerhalb der Partei umstritten [46].
Bei einer Sitzung im Mai beschloss der Vorstand der Grünen die Unterstützung von zwei Volksinitiativen: für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten, lanciert von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), ebenso wie für einen Tierschutzanwalt, lanciert vom Schweizer Tierschutz. Ebenfalls erteilte der Vorstand der geplanten Klima-Initiative präzisere Konturen [47].
Auf der Versammlung in Lausanne im Juni lehnten die Delegierten einstimmig die Asyl- und Ausländergesetze ab. Vizepräsident Ueli Leuenberger bezeichnete die Gesetze als eine Form der Abschaffung des Asylrechts. Sie brächten nicht die angeblichen Lösungen, sondern neue Probleme wie die Abdrängung von Asylsuchenden in die Illegalität.
Kontroverser wurde die linke Kosa-Initiative diskutiert. Der Waadtländer Grossrat Philippe Martinet bemängelte, dass die Zuführung von Nationalbankgewinnen kein Gesamtkonzept sei, um der AHV auf lange Sicht zu helfen, und regte stattdessen die Investition dieser Gewinne in zukunftsträchtige Projekte im Umweltschutzbereich an. Präsidentin Ruth Genner hingegen betonte den sozialen Aspekt der AHV und die Notwendigkeit ihrer guten finanziellen Ausstattung, um weitere Abbaupläne der bürgerlichen Parteien zu verhindern. Schliesslich unterstützte die Mehrheit der Abgeordneten die Initiative [48].
Anfang Oktober reichten die Grünen beim Büro des Nationalrats einen Antrag ein, der ihnen ermöglichen soll, 2009/2010 das Präsidium des Nationalrats zu übernehmen. Demnach sollte alle acht Jahre eine Partei die Präsidentschaft übernehmen können, die nicht im Bundesrat vertreten ist [49].
Im Januar kam es zu einer weiteren Spaltung der Grünen auf kommunaler Ebene: Die Grünliberalen der Stadt St. Gallen lösten sich von der grünen Mutterpartei [50].
In den kantonalen Parlamentswahlen mussten die Grünen lediglich in Glarus zwei Sitze abgeben. In Bern vergrösserten sie ihre Fraktion im verkleinerten Parlament um vier, in Freiburg um zwei Abgeordnete. Im Jura machten sie zwei Sitze und zogen damit zum ersten Mal ins Parlament ein. Die kontinuierliche Stärke des 2005 der GP beigetretenen Demokratischen Nidwalden (7 Sitze) trug ebenfalls zum Erfolg grüner Parlamentsvertretungen in den Kantonen bei. Insgesamt konnten sich die Grünen um 6 Sitze verstärken. Wie im Vorjahr konnten die Grünen ihre Präsenz in den kantonalen Regierungen vermehren. In Bern, wo die GP bereits 1986-1990 in der Regierung vertreten war, gelang Bernhard Pulver der Einzug in den Regierungsrat. In Zug gewann die grüne Alternative Liste (sie hat im Berichtsjahr bei der GP ein Beitrittsgesuch eingereicht) auf Kosten der SP einen zweiten Sitz in der Exekutive, und das Demokratische Nidwalden vermochte seinen Sitz in der Regierung zu verteidigen.
 
[44] QJ, 6.3.06. Zur Diskussion innerhalb der GP über die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung siehe auch LT, 23.3.06; AZ, 3.8.06.
[45] Eine Woche danach kam auch noch Bern dazu.
[46] 24h und LT, 3.4.06; WoZ, 6.4.06.
[47] NZZ, 22.5.06. Die DV hiess die Unterstützung der Kriegsmaterial-Initiative im Juni gut (SGT, 26.6.06).
[48] CdT, QJ und SGT vom 26.6.06.
[49] BaZ und NZZ, 5.10.06.
[50] SGT, 24.1. und 25.1.06. Im Vorjahr hatten sich Grünliberale in Zürich abgespalten (SPJ 2005, S. 290).