Année politique Suisse 2006 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Grundsatzfragen
Nach den rechtsradikalen Störmanövern 2005 an der
Bundesfeier auf dem Rütli ergriffen die Behörden und die Organisatoren dieses Jahr strenge Sicherheitsmassnahmen. Mit einem Ticketsystem versuchten sie, den Zugang zu limitieren und unliebsame Elemente fern zu halten. Zusammen mit den polizeilichen Kontrollen der Anfahrts- und Anmarschwege funktionierte dies gut. Organisierte Rechtsextreme waren auf dem Festgelände nicht anzutreffen, und die Ansprachen konnten ungestört gehalten werden. Im Gegensatz zu früheren Jahren trat auch kein Bundesrat als Redner auf. Der eingeladene Bundespräsident Leuenberger hatte im Einverständnis mit dem Gesamtbundesrat auf eine Teilnahme verzichtet; er wollte damit auch zum Ausdruck bringen, dass in der Schweiz keine zentrale 1.-August-Feier stattfindet, sondern allen lokalen Anlässen die selbe Bedeutung zukommt
[1].
In der SVP und anderen nationalkonservativen Kreisen regte sich einiger Widerstand gegen die Ausleihe des
Bundesbriefs von 1291 an eine drei Wochen dauernde Ausstellung in Philadelphia (USA) über die historische Verbundenheit der USA mit der Schweiz, welche die beiden ältesten demokratischen Republiken sind („Sister Republics“). Der Kanton Schwyz als Eigentümer sah keinen Anlass, auf den von mehreren SVP-Nationalräten (Brunner, SG, Mörgeli, ZH, und Föhn, SZ) geforderten Verzicht auf die Ausleihe oder gar auf das Ansinnen eines Verkaufs des Dokuments an eine private Stiftung einzugehen
[2].
Nationalrätin Kiener (sp, BE) zog ihre 2004 eingereichte Motion für eine neue
Nationalhymne mit einem leichter singbaren, weniger schwülstigen und inhaltlich an die heutigen Lebensumstände angepassten Text zurück. Der Bundesrat hatte zwar die Kritik an der gültigen Landeshymne (ein Kirchenlied aus dem Jahr 1841) weitgehend geteilt. Da er es aber als hoffnungslos erachtete, Einigkeit in Bezug auf ein neues Lied zu erzielen, hatte er Ablehnung der Motion beantragt. Die Öffentlichkeit interessierte sich kaum für diese Debatte; obwohl in der Bevölkerung der Text der aktuellen Hymne wenn überhaupt, so nur höchst unvollständig bekannt ist, scheint kein Bedürfnis für eine Änderung vorhanden zu sein
[3].
Die Bezeichnung „Schweiz“ und auch die Schweizer Flagge werden oft bei in- und ausländischen Produkten als Mittel zur Verkaufsförderung eingesetzt. Damit soll meist die Assoziation zu bekannten schweizerischen Qualitätserzeugnissen wie etwa Uhren hergestellt werden. Um dies für im Ausland hergestellte Produkte, die mit der Schweiz nichts zu tun haben, zu unterbinden, reichten Nationalrätin Hutter (svp, SG) und Ständerätin Fetz (sp, BS) Postulate für einen
besseren Schutz der „Marke Schweiz“ und des Schweizer Wappens ein. Sie führten dabei neben dem Argument der besseren Information der Konsumenten auch den Schutz einheimischer Produzenten vor unfairer ausländischer Konkurrenz ins Feld. Beide Parlamentskammern überwiesen diese Vorstösse mit dem Einverständnis der Landesregierung. In seiner Antwort auf das Postulat Fetz gab Justizminister Blocher aber auch zu bedenken, dass bei der Schaffung von gesetzlichen Schutzbestimmungen heikle Definitionsprobleme zu lösen wären, da heute – abgesehen von der Landwirtschaft – kaum mehr ein Produkt vollständig in einem einzigen Land entwickelt und hergestellt werde
[4].
Zur Reorganisation der vom Bund unterstützten Werbung für die Schweiz im Ausland siehe unten, Teil I, 4a (Strukturpolitik).
Trotz der boomenden Wirtschaft und dem Rückgang der Arbeitslosenquote blieb die Arbeitslosigkeit an der Spitze der politischen und gesellschaftlichen Probleme, welche die Schweizerinnen und Schweizer beschäftigen. Sie wurde zwar etwas weniger häufig genannt als im Vorjahr, aber immer noch von 66% der Befragten. Die von der GfS-Bern jährlich durchgeführte repräsentative Befragung ergab auch sonst kaum Veränderungen gegenüber der letzten Erhebung: Nach der
Arbeitslosigkeit folgten wiederum die Bereiche „Gesundheitswesen“ (55%) und „Altersvorsorge“ (51%). Relativ stark zugenommen hat der Anteil der Personen, welche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Asylpolitik als eines der fünf wichtigsten Probleme bezeichneten (39% gegenüber 28% im Jahr 2005)
[5].
[1] Presse vom 19.1. und 21.4.06 (Ticketsystem);
NZZ, 19.4.06 (Leuenberger); Presse vom 2.8.06. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR in
AB NR, 2006, IV, Beilagen, S. 260 f.
[2]
Bund und
NLZ, 15.3.06;
LT, 15.3. und 12.6.06. Siehe auch
AB NR, 2006, S. 157 f. (Frage Brunner, svp, SG) sowie V, Beilagen, S. 144 (Petition aus der Westschweiz).
[3]
AB NR, 2006, S. 420 ff.;
Bund,
NLZ und
SGT, 14.3.06;
AZ, 20.3.06. Siehe auch Georg Kreis, „Aussichtslose Hymnensuche“ in
BZ, 29.7.06. Siehe
SPJ 2004, S. 14.
[4]
AB NR, 2006, S. 116;
AB SR, 2006, S. 399 f.;
NZZ, 6.1. und 3.7.06;
NZZ und
TG, 16.11.06.
[5]
BZ und
TA, 19.12.06. Vgl.
SPJ 2005, S. 14.
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