Année politique Suisse 2006 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
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Gewalt bei Sportanlässen
Als Zweitrat stimmte auch der Ständerat den Vorschlägen der Regierung zur Schaffung von neuen gesetzlichen Grundlagen für die Bekämpfung von Gewalt bei und im Umfeld von Sportveranstaltungen zu. Ähnlich wie der Bundesrat hegte er jedoch Zweifel, ob der Bund überhaupt berechtigt sei, derartige an sich in den kantonalen Kompetenzbereich gehörende polizeiliche Massnahmen (etwa Rayonverbote oder die Beschlagnahmung von Propagandamaterial ohne Abstützung auf ein Strafurteil) zu erlassen. Er lehnte zuerst mit 33 zu 10 Stimmen einen Antrag Pfisterer (fdp, AG) ab, die Vorlage an die Kommission zurückzuweisen mit der Auflage, nur eindeutig verfassungskonforme Massnahmen vorzuschlagen. Er beschloss dann aber, das Gesetz zu befristen, wie dies im Nationalrat der Bundesrat vergeblich beantragt hatte. Dabei verlängerte er die Geltungsdauer gegenüber dem Entwurf des Bundesrates um ein Jahr auf Ende 2009, damit die neuen Bestimmungen auch noch während der in der Schweiz stattfindenden Eishockey-Weltmeisterschaft vom Frühjahr 2009 anwendbar sind. Der Nationalrat sprach sich in der Differenzbereinigung ebenfalls für die Befristung aus. In der Schlussabstimmung wurden die neuen Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen deutlich angenommen. Dagegen stimmten im Nationalrat die geschlossenen Grünen und eine klare Mehrheit der SP. Im Anschluss an ihre Beratungen verabschiedeten beide Kammern eine Motion der Rechtskommission des Ständerates, mit welcher sie den Bundesrat beauftragten, für die eben beschlossenen befristeten Massnahmen eine dauerhafte Lösung zu finden. Dies könne gemäss Motionstext durch die Schaffung von entsprechenden, in der Verfassung festgelegten Bundeskompetenzen im Polizeibereich geschehen, oder aber durch den Abschluss eines Konkordates unter den Kantonen [38].
Gegen die neuen Bestimmungen ergriffen organisierte Fans diverser Fussball- und Eishockeyclubs das Referendum. Sie warnten vor Willkürentscheiden und vor einer Kriminalisierung jugendlicher Fans. Obwohl SP und Grüne das Gesetz im Parlament bekämpft hatten, unterstützten sie die Unterschriftensammlung nicht, da es sich nicht um ein prioritäres Anliegen ihrer Parteien handle. Nach massiven Ausschreitungen im Anschluss an ein Fussballspiel in Basel erlahmte die Unterschriftensammlung, die schon vorher nicht allzu erfolgreich verlaufen war, und das Referendum kam nicht zustande. Der Bundesrat beschloss, das neue Gesetz auf Anfang 2007 in Kraft zu setzen [39].
 
[38] AB SR, 2006, S. 15 ff. und 303 sowie 25 (Motion); AB NR, 2006, S. 139 ff. und 516 sowie 144 (Motion); BBl, 2006, S. 3559 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 28. Zu den Überlegungen des BR über die zukünftige föderalistische Aufgabenteilung im Polizeiwesen siehe auch AB NR, 2006, V, Beilagen, S. 197 ff. Zur Kritik am Gesetz aus Sicht des Datenschutzes siehe NZZ, 12.6.06.
[39] TA, 18.4., 20.4., 4.5. (SP, GP) und 28.6.06; BaZ, 19.4. und 10.7.06; BZ, 19.4. und 11.7.06; Presse vom 15.5.06 (Ausschreitungen in Basel). In der Region Basel unterstützten die SP-BL und die Gruppierung BastA das Referendum (BaZ, 10.7.06).