Année politique Suisse 2006 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
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Abstimmungen und Wahlen
In der gleichen Botschaft, in welcher er die allgemeine Volksinitiative vorgelegt hatte (siehe oben), beantragte der Bundesrat auch einige Anpassungen des Gesetzes über die politischen Rechte und des Gesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer, welche mit der allgemeinen Volksinitiative nichts zu tun haben. Es ging dabei insbesondere um eine Präzisierung des Begriffs „Stellvertretung“ und um die rechtliche Absicherung der Weiterentwicklung des Vote électronique nach dem Abschluss der ersten Pilotphase. Die drei bisher an Versuchen mit der elektronischen Stimmabgabe beteiligten Kantone Genf, Neuenburg und Zürich sollen in Zukunft generell eine befristete Bewilligung erhalten und diese nicht mehr für jede eidgenössische Abstimmung neu einholen müssen. Dazu sollen weitere Kantone Versuche durchführen können und die Anforderung, diese Testabstimmungen wissenschaftlich zu begleiten, wird fallen gelassen. Als Voraussetzung für die generelle Einführung der Stimmabgabe im Internet auch für Auslandschweizer soll der Bund die Kantone zudem verpflichten können, ein zentrales elektronisches Stimmregister für im Kanton stimmberechtigte Auslandschweizer zu führen. Im Gegensatz zur Vorlage über die Umsetzung der allgemeinen Volksinitiative war für diesen Teil der Neuerungen im Nationalrat Eintreten unbestritten. Die neuen Bestimmungen wurden in der Dezembersession mit einigen Abweichungen gegenüber der Version des Bundesrates gutgeheissen [52].
Der Bundesrat veröffentlichte zudem einen „Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique“, von welchem der Nationalrat Kenntnis nahm. Der Bundesrat beurteilte darin die Pilotversuche positiv, äusserte sich aber sonst eher skeptisch, insbesondere gegenüber der Behauptung, dass damit die Stimmbeteiligung verbessert werden könnte. Am sinnvollsten scheint ihm die Einführung des elektronischen Abstimmens für Auslandschweizer. Im Inland sollen mittelfristig (bis 2011) jedoch höchsten 10% der Stimmberechtigten Zugang zu dieser Form der Stimmabgabe erhalten [53].
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats legte ihren in Form einer parlamentarischen Initiative gehaltenen Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag zur VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ vor. Im Wesentlichen geht es dabei um die Aufnahme der bereits heute in Leitlinien festgelegten Grundsätze der Behördeninformation bei Volksabstimmungen in das Gesetz über die politischen Rechte. Diese Informationen sollen sachlich, transparent und verhältnismässig sein. Als Besonderheit soll der Bundesrat verpflichtet werden, umfassend zu eidgenössischen Volksabstimmungen zu informieren und dabei – das wäre eine Neuerung – immer den Standpunkt des Parlaments zu vertreten. Der Bundesrat sah weiterhin keinen Anlass, die bisher praktizierten Regeln von Leitlinien- auf Gesetzesstufe zu befördern und sprach sich dezidiert dagegen aus, dass die Regierung in jedem Fall die Haltung des Parlaments vertreten müsse. Der Nationalrat befasste sich in der Dezembersession mit diesen Vorschlägen. Gegen die Anträge der SVP, welche ihre eigene Volksinitiative bevorzugt, und des Bundesrates beschloss er Eintreten. In der Frage, ob der Bundesrat auch dann den Standpunkt der Bundesversammlung vertreten müsse, wenn er damit nicht einverstanden ist, beschloss der Rat auf Antrag Müller (fdp, AG) eine weniger rigide Lösung, indem er ihm untersagte, in diesem Fall eine abweichende Empfehlung abzugeben. Dieser Beschluss stützte sich auf ein Gutachten des EJPD, welches der Regierung die Propagierung einer vom Parlamentsentscheid abweichenden Parole untersagt, ihr aber erlaubt, sich in diesem Falle zurückzuhalten [54].
Für Aufsehen sorgte die Neuenburger Kantonsregierung, als sie dem offiziellen Stimmmaterialversand eine Parolenempfehlung für die eidgenössischen Vorlagen vom September (Ausländergesetz und Asylrecht) beilegte. Der Bundesrat berurteilte dies als unzulässig, weil die Empfehlung dem mit Steuermitteln finanzierten offiziellen Versand beigelegt wurde. Die Neuenburger Regierung verteidigte ihr Vorgehen damit, dass dies in ihrem Kanton schon längere Zeit so gemacht werde. In Unkenntnis dieser Diskussion legte die Regierung von Basel-Stadt den Abstimmungsunterlagen zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 26. November eine Empfehlung bei und wurde in der Folge von den Bundesbehörden ebenfalls getadelt [55].
 
[52] BBl, 2006, S. 5261 ff.; AB NR, 2006, S. 1979 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 40.
[53] BBl, 2006, S. 5459 ff.; AB NR, 2006, S. 1983; TA, 1.6.06.
[54] BBl, 2006, S. 9259 ff. und 9279 ff. (BR); AB NR, 2006, S. 1959 ff. Die Pa. Iv. der SPK-NR gilt als Umsetzung der Pa. Iv. Burkhalter (fdp, NE). Vgl. SPJ 2005, S. 39 f. Das Parlament verlängerte die Behandlungsfrist für die Volksinitiative um ein Jahr (AB NR, 2006, S. 1972; AB SR, 2006, S. 1223).
[55] AB NR, 2006, V, Beilagen, S. 70 f.; TA, 31.8. und 18.11.06; BaZ, 1.11., 15.11., 23.11. und 24.11.06 (BS). Offenbar besteht diese Praxis nur in den beiden Kantonen Basel-Stadt und Neuenburg.