Année politique Suisse 2006 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Direkte Steuern
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Familienbesteuerung
Im Mai präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zu den Sofortmassnahmen im Bereich der Ehepaarbesteuerung. Um der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik Rechnung zu tragen, schlug die Regierung eine Lösung vor, welche die Vorschläge der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren aufnimmt: Der Zweiverdienerabzug beträgt 50% des niedrigeren Ehepaarverdienstes bis zu einem Maximum von 12 500 Fr. (statt 55 000 Fr.) – unter Beibehaltung des Minimalansatzes von heute höchstens 7600 Fr. Mit dem neuen Verheiratetenabzug von 2500 Fr. pro Ehepaar reduziert sich zudem die verfassungswidrige Mehrbelastung von Zweiverdienerehepaaren; von dieser Steuerentlastung profitieren auch Rentnerehepaare, Einverdienerehepaare und Ehepaare, deren Einkünfte aus anderer Quelle als Erwerbseinkommen stammen. Auf die in der Vernehmlassungsvorlage vorgesehene Mehrbelastung von Alleinstehenden wird verzichtet. Die Sofortmassnahmen befreien zwei Drittel der benachteiligten Ehepaare völlig und einen Drittel teilweise von der „Heiratsstrafe“, ohne einen Systementscheid zwischen Individualbesteuerung und Splitting zu präjudizieren [6].
Im Sommer behandelte der Ständerat die Vorlage. Eintreten war unbestritten. In der Detailberatung sprach sich der Rat mit 25:10 Stimmen für den neuen Verheiratetenabzug auch für Paare aus, bei denen nur ein Partner erwerbstätig ist, und verwarf damit einen Minderheitsantrag Sommaruga (sp, BE), welcher diesen streichen wollte. Die Vorlage passiert die Gesamtabstimmung mit 35:0 Stimmen [7].
Im Nationalrat hatten ein Nichteintretens- und zwei Rückweisungsanträge keine Chance: Eine Minderheit Genner (gp, ZH) fand es unverständlich, vor dem anstehenden Systementscheid Splitting/Individualbesteuerung kostspielige Sofortmassnahmen zu beschliessen. Eine Minderheit Jacqueline Fehr (sp, ZH) forderte statt des neuen Verheiratetenabzugs eine Tarifanpassung, um keine Ungerechtigkeit bei den Rentnerpaaren zu schaffen, während Wäfler (edu, ZH) das Steuersystem auf den Haushalt als wirtschaftliche Einheit abstützen wollte. Gemäss Bundesrat Merz schaffe eine Tarifanpassung statt des Verheiratetenabzugs neue Probleme. In der Detailberatung unterlag ein Minderheitsantrag von Jacqueline Fehr (sp, ZH), der statt des Verheiratetenabzugs auch für pensionierte Ehepaare, die über zwei Renteneinkommen verfügen, den höheren Zweiverdienerabzug vorsah. Bundesrat Merz lehnte den Zweiverdienerabzug für Rentner vor allem aus finanziellen Gründen ab. Die Kommissionssprecher Zuppiger (svp, ZH) und Favre (fdp, VD) räumten eine Benachteiligung der verheirateten Rentner ein, doch schien ihnen diese im Hinblick auf das neue Steuersystem, das in absehbarer Zeit realisiert werden soll, vertretbar. Die Vorlage, die Mindereinnahmen von 650 Mio Fr. (davon 540 Mio für den Bund) zur Folge hat, wurde in der Gesamtabstimmung gegen Stimmen aus dem links-grünen Lager angenommen. Das Geschäft passierte die Schlussabstimmung im Ständerat mit Einstimmigkeit und im Nationalrat mit 166:0 Stimmen bei 19 Enthaltungen [8].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Meier-Schatz (cvp, SG), welches einen Bericht über die Folgen einer Einführung der Individualbesteuerung verlangt. Diskussionslos abgelehnt wurde ein Postulat derselben Parlamentarierin für ein koordiniertes Vorgehen bei der Modellwahl in der Steuergesetzgebung (Splitting oder Individualbesteuerung) und der AHV-Revision. Gemäss Bundesrat sei das geltende AHV-Rentensystem grundsätzlich nicht von einem Systemwechsel in der Besteuerung betroffen [9].
Im Dezember präsentierte der Bundesrat vier Modelle für die definitive Lösung der Ehepaarbesteuerung: 1.) Bei der modifizierten Individualbesteuerung versteuert jeder Ehegatte sein eigenes Einkommen. Weil eine reine Individualbesteuerung unabhängig vom Zivilstand zu einer Überlastung der Einverdiener-Ehepaare führen würde, sind für diese sowie für Alleinstehende mit eigenem Haushalt und für Alleinerziehende Abzüge vorgesehen. 2.) Beim Vollsplitting wird das gemeinsame Einkommen zum Steuersatz des halben Gesamteinkommens besteuert, was die Progression mildert. Auch dieses Modell beinhaltet Abzüge für Alleinstehende und für Alleinerziehende. 3.) Ehepaare haben die Wahl zwischen einem Teilsplitting und der reinen Individualbesteuerung, wobei der Faktor, durch den die addierten Einkommen dividiert werden, deutlich kleiner ist als zwei. Dabei steht es den Ehepaaren frei, das System jederzeit zu wechseln, bspw. vom Teilsplitting zur Individualbesteuerung, wenn der zweite Ehepartner voll ins Erwerbsleben einsteigt. Alleinstehenden und Alleinerziehenden steht ein Abzug zu. 4.) Es bleibt bei der heutigen gemeinsamen Veranlagung mit zwei verschiedenen Tarifen für Ehepaare und Unverheiratete. Lediglich der Tarifverlauf wird neu festgesetzt. Zum Modell gehören Abzüge für Verheiratete und Zweiverdiener. – Sollte keine Kategorie von Steuerpflichtigen mehr bezahlen als bisher, hätten die ersten drei Modelle laut EFD Mindereinnahmen von 3 Mia Fr., das vierte Einbussen von 2,6 Mia Fr. zur Folge; eine Begrenzung der Mindereinnahmen auf 900 Mio. führte bei einigen Steuerpflichtigen je nach Einkommenshöhe, Zivilstand oder Einkommensaufteilung zu Mehrbelastungen. CVP und SVP plädierten für das Vollsplitting, das am besten zur traditionellen Rollenteilung von Mann und Frau passt, SP und FPD hingegen favorisierten die Individualbesteuerung [10].
Diskussionslos lehnte der Ständerat eine parlamentarische Initiative Spoerry (fdp, ZH) ab, welche den Abzug berufsbedingter Kinderbetreuungskosten von der Steuer verlangt hatte; das Steuerharmonisierungsgesetz ermögliche den Kantonen solche Abzüge, solange die Reform der Familienbesteuerung nicht zustande gekommen sei [11].
2005 hatte das Bundesgericht entschieden, dass Ehepaaren mit Kindern und Alleinerziehenden die gleichen Steuerermässigungen zustehen. In seiner Antwort auf eine Interpellation Loepfe (cvp, AI) erklärte der Bundesrat, das Steuerpaket 2001 habe vorgesehen, anstelle der gleichen nur eine gleichwertige Ermässigung zu gewähren und nur unverheiratete Steuerpflichtige, die allein mit Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen zusammenleben, angemessen zu entlasten. Konkubinatspaare mit Kindern wären nicht in diese Kategorie gefallen. Im Rahmen der anstehenden umfassenden Reform der Ehepaar- und Familienbesteuerung wolle die Regierung diesen Revisionspunkt wieder aufnehmen [12].
Der Ständerat lehnte eine Motion Frick (cvp, SZ) ab, welche verlangte, dass Alimente auch dann von den Steuern abgezogen werden können, wenn das Kind älter als 18 Jahre ist und noch in Ausbildung steht. In seiner Antwort erklärte der Bundesrat, nach geltendem Recht benachteilige das heutige Alimentenbesteuerungssystem die gemeinsam veranlagten Ehepaare gegenüber Geschiedenen in zweifacher Hinsicht: Im Gegensatz zu Ehepaaren könnten Alimente leistende Geschiedene diese Beiträge von den Steuern abziehen, zudem könnten Geschiedene, die an mündige (in Ausbildung stehende) Kinder Unterhaltsleistungen entrichten, sowohl den Kinder- als auch den Unterstützungsabzug geltend machen. Die vom Motionär geforderte steuerliche Gleichbehandlung der Alimentenzahlungen zugunsten mündiger und unmündiger Kinder führe nur zu einer scheinbaren Gleichbehandlung, die bestehende Ungleichbehandlung gegenüber Ehepaaren würde jedoch ausgedehnt. Die Einführung der Individualbesteuerung würde die Lösung des Problems allerdings vereinfachen [13].
 
[6] BBl, 2006, S. 4471 ff.; NZZ und SGT, 15.3.06 (FDK); Presse vom 18.5.06; vgl. SPJ 2005, S. 118 f. Diskussionslos überwies der NR in der Maisession eine Motion der FDP-Fraktion betreffend Sofortmassnahmen zur Ehepaarbesteuerung (AB NR, 2006, S. 616 und Beilagen II, S. 140).
[7] AB SR, 2006, S. 452 ff. und 489 f.; Presse vom 14. und 16.6.06.
[8] AB NR, 2006, S. 1491 ff., 1539 ff. und 1605; AB SR, 2006, S. 925; BBl, 2006, S. 8339 f. Zur Benachteiligung der Rentner siehe NZZ, 25.8.06. Im Herbst lehnte der NR eine im Vorjahr vom SR überwiesene Motion der WAK-SR zu Sofortmassnahmen ab, da das Anliegen mit der Vorlage des BR erfüllt war (AB NR, 2006, S. 1547; vgl. SPJ 2005, S. 118).
[9] AB NR, 2006, S. 1116 und 1574 sowie Beilagen III, S. 357 f. und IV, S. 445 f.
[10] Presse vom 16.12.06.
[11] AB SR, 2006, S. 524 und Beilagen III, S. 23 ff.
[12] AB NR, 2006, Beilagen I, S. 532 f.; Presse vom 26.4.06.
[13] AB SR, 2006, S. 762 f.