Année politique Suisse 2006 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Post und Telekommunikation
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Swisscom
Ende November 2005 hatte die Regierung entschieden, die Mehrheitsbeteiligung des Bundes an der Swisscom zu verkaufen. Gleichzeitig hatte sie Swisscom verboten, sich an ausländischen Telekommunikationsunternehmen zu beteiligen. Im Januar zog Swisscom-Chef Jens Alder die Konsequenzen aus dem Streit mit dem Bundesrat um die Auslandstrategie und verliess den Konzern. Seine Nachfolge übernahm der bisherige Chef des Mobilfunkgeschäfts, der Deutsche Carsten Schloter [50].
In ihrem Untersuchungsbericht kritisierte die GPK-NR das Vorgehen des Bundesrates gegenüber der Swisscom scharf: In Bezug auf das Verbot von Auslandsengagements sprach die GPK von einem hektischen Vorgehen, für das es keine nachvollziehbaren Gründe gegeben habe, auch sei der Entscheid inhaltlich unklar gewesen. Der Bundesrat habe die von ihm selbst beschlossenen strategischen Ziele und das Telekommunikationsunternehmensgesetz verletzt, zudem habe er einen ihm nicht zustehenden unternehmerischen Entscheid gefällt, der den vorangegangenen Positionsbezügen zu Auslandplänen widersprochen habe. Die damalige Klausursitzung des Bundesrates sei von den zuständigen Departementen UVEK und EFD nur in Bezug auf die Frage einer Abgabe der Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom vorbereitet worden. Das Veto gegen Auslandbeteiligungen und die Anweisung, die freien Mittel in einem nicht umsetzbaren Verhältnis auszuschütten, kamen aufgrund eines Mitberichts von Justizminister Blocher zustande – ein Papier, das erst kurz vor der ordentlichen Bundesratssitzung verteilt wurde. Dieser Mitbericht sei sehr kurz und nicht dokumentiert gewesen, und mindestens ein Regierungsmitglied habe ihn erst während der Klausursitzung zur Kenntnis genommen. Als Schlussfolgerung verlangte die GPK in einer Motion vom Bundesrat, seine Rolle als Eigner im Hinblick auf weitere Bundesunternehmen (Post, Ruag, SBB, Skyguide, Suva) zu klären und die Verlässlichkeit der strategischen Führung sicherzustellen. Mit drei Empfehlungen forderte die Kommission die Regierung ausserdem auf, das Instrument der Instruktion an den Staatsvertreter im Verwaltungsrat, das es nur bei der Swisscom gibt, zu überprüfen, sich vertieft mit den zur Verfügung stehenden Steuerungsprozessen auseinander zu setzen und offene Fragen im Bereich der Kommunikation zu klären (Stärkung der Rolle des Regierungssprechers) [51].
In seiner Stellungnahme erklärte der Bundesrat, er teile die Beurteilung der GPK nicht. Er habe sich bereits vor dem 23. November acht Mal in anderthalb Jahren mit der Frage der Bundesbeteiligung an der Swisscom und ihren Auslandinvestitionen befasst – aus der Tatsache, dass die massgeblichen Papiere erst kurz vor der Bundesratssitzung zur Verfügung standen, dürfe nicht geschlossen werden, die Regierung habe sich erst zwei Tage vorher mit diesen Fragen auseinanderzusetzen begonnen. An dieser Sitzung sei denn auch nicht der Entscheid zum Auslandsengagement, sondern die Ausarbeitung einer Privatisierungsvorlage im Vordergrund gestanden. Der Bundesrat unterstützte die Motion der GPK und wies auf den in Ausarbeitung befindlichen Corporate-Governance-Bericht zur Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben hin [52].
Anfang April präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zur Privatisierung der Swisscom. Er beantragte, die Mehrheitsbeteiligung des Bundes von derzeit 62,45% (mit einem Marktwert von rund 16 Mia Fr.) zu verkaufen. Die Entlassung der Swisscom aus der Abhängigkeit des Bundes dränge sich auf, weil die Telekommunikation als schnelllebiges Geschäft eine ständige Anpassung der Geschäftsmodelle und hohe Risikobereitschaft erfordere. Sinkende Preise und Umsätze im Inland zwängen das Unternehmen, im Ausland zu wachsen. Private Investoren könnten solche Risiken eher eingehen als der Bund. Für diesen sei es sinnvoll, sich auf die Gewährleistung guter Rahmenbedingungen zu beschränken. Mit dem Rückzug könne er auch die Interessenkonflikte, die sich aus seiner Mehrfachrolle als Gesetzgeber, Regulator, Eigentümer und Kunde der Swisscom ergeben, reduzieren. Die Grundversorgung sei durch die bestehende Fernmeldegesetzgebung breit abgesichert und könne auch in Zukunft den sich wandelnden Bedürfnissen und technischen Möglichkeiten angepasst werden.
Im Gegensatz zum Vernehmlassungsentwurf verzichtete der Bundesrat auf flankierende Massnahmen wie eine Sperrminorität. Auch die Volksaktie, mit der er den Verkauf der Bundesbeteiligung der Bevölkerung hatte schmackhaft machen wollen, hatte sich als nicht mehrheitsfähig erwiesen. Die Mehrheit der Kantone (insbesondere die Gebirgskantone) hatte sich gegen die Veräusserung der Bundesbeteiligung ausgesprochen, ebenso wie die CVP, die SP und die Gewerkschaften. Auf Zustimmung gestossen war das Ansinnen bei der SVP, der FDP und den Wirtschaftsverbänden [53].
Der Nationalrat würdigte das rasche Handeln des Bundesrates und die Bedeutung des Geschäfts: Erstmals müsse das Parlament über die Privatisierung einer der grundlegenden Infrastrukturen befinden. Die Mehrheit der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen plädierte für Nichteintreten auf die Vorlage. So sei unklar, wer die Swisscom übernehmen solle: Die Regierung präsentiere das Unternehmen ausländischen Investoren auf dem Silbertablett und gefährde damit die flächendeckende Grundversorgung in der Schweiz. Da die Swisscom für den technologischen Fortschritt der Schweiz von strategischer Bedeutung sei, vergebe sich der Bund mit einer Veräusserung der Firma die Möglichkeit, diesen mitzugestalten. Als weitere Einwände führten die Kommissionssprecher sicherheitspolitische und finanzpolitische Überlegungen an: So sei die Swisscom zuständig für die Wartung von geheimen Anlagen, und durch den Verkauf der Unternehmung entgingen der Bundeskasse erhebliche Einnahmen. Eine Kommissionsminderheit aus Mitgliedern der FDP- und der SVP-Fraktion setzte sich für Eintreten auf die Vorlage ein. Nur so liesse sich der Interessenkonflikt des Bundes (als Eigner, Regulator, Gesetzgeber und Grosskunde) mit der Swisscom lösen. Die Bundesbeteiligung stelle zudem ein Klumpenrisiko dar. Ausserdem sei mit dem Fernmeldegesetz die Grundversorgung gesichert. Bundesrat Merz erklärte, die Privatisierung der Swisscom sei für das Unternehmen, für die Branche und für die Volkswirtschaft als Ganzes die beste Lösung. Die Strategie des Bundesrates werde von Verwaltungsrat und Konzernspitze mitgetragen. Die Grundversorgung sei basierend auf den geltenden Gesetzen gewährleistet, die Entflechtung von Swisscom und Armee bereits im Gang. In einer namentlichen Abstimmung folgte der Nationalrat der Mehrheit der CVP-Fraktion, den Sozialdemokraten und den Grünen und beschloss mit 99:90 Stimmen und vier Enthaltungen, nicht auf die Vorlage einzutreten [54].
Mit Stichentscheid ihres Präsidenten beantragte die Mehrheit der KFV dem Ständerat, auf das Geschäft einzutreten und es dann an den Bundesrat zurückzuweisen. Das Parlament müsse seine Aufgaben wahrnehmen, nötig sei eine neue Vorlage und eine neue Vernehmlassung. Über eine Privatisierung könnten die Räte erst entscheiden, wenn folgende Punkte geklärt seien: Sinn und Umfang einer Privatisierung, Gewährleistung der Grundversorgung, Marktöffnung, Sicherheitspolitik, Staatsunabhängigkeit von Radio und Fernsehen, Verbreitungsinfrastruktur sowie Rollenkonflikte beim Bund. Eine aus Mitgliedern der CVP-Fraktion und den Sozialdemokraten zusammengesetzte Minderheit beantragte Nichteintreten, um dem Bundesrat Zeit zu geben, in aller Ruhe eine neue, bei Parlament und Volk mehrheitsfähige Lösung zu erarbeiten. Die für die Grundversorgung wichtige Telekom-Infrastruktur solle nicht in ausländische Hände fallen; bis jetzt habe die Regierung nicht gezeigt, wie sie dieses Kernproblem lösen wolle. Bundesrat Merz unterstützte den Rückweisungsantrag der Kommissionsmehrheit, um das Geschäft neu aufzugleisen, eine Privatisierungsstrategie zu entwickeln und die Grundversorgung auch der Randgebiete vertieft abzuklären. Eine Vollprivatisierung – das hätten die Debatten in beiden Räten gezeigt – sei nicht sofort machbar. Mit 23:21 Stimmen beschloss der Ständerat, nicht auf die Vorlage einzutreten. Mit diesem Entscheid war das Geschäft erledigt. Die Leitung der Swisscom gab bekannt, dass sie trotz dieses negativen Parlamentsentscheids weiterhin die vollständige oder zumindest teilweise Abgabe der Bundesbeteiligung am Unternehmen wünsche [55].
In der Herbstsession billigte der Ständerat eine Motion Pfisterer (fdp, AG), welche einen Abbau der Beteiligung des Bundes an der Swisscom auf 51% oder einen Drittel mit Garantien in Bezug auf die Grundversorgung in ländlichen Regionen verlangte. Eine ebenfalls überwiesene Motion Escher (cvp, VS) fordert, dass die Swisscom eine schweizerisch beherrschte Gesellschaft bleibt, welche die Grundversorgung sicherstellt. Bundesrat Merz erklärte, in dieser Legislatur keine neue Vorlage zum Abbau der Bundesbeteiligung an der Swisscom vorlegen zu wollen. Es brauche nun Zeit für Reflexion und eine umfassende Auslegeordnung. Der Nationalrat stimmte einem Postulat der CVP-Fraktion für die Ausarbeitung eines Berichts über die Folgen der Privatisierungen ehemaliger Telekom-Monopolisten in den europäischen Ländern zu [56].
Der Bund reduzierte seinen Anteil an den Swisscom-Aktien im Berichtsjahr von 62,45% auf 58,4%. Der Verkauf brachte einen Erlös von 2,1 Mia Fr. ein, welche für den Schuldenabbau bestimmt sind. Die SP kritisierte, der Bundesrat handle gegen den Willen des Parlaments, die Bürgerlichen sahen in der Veräusserung einen logischen Schritt Richtung Privatisierung [57].
 
[50] Presse vom 21.1.06; vgl. SPJ 2005, S. 153 f.
[51] BBl, 2006, S. 5173 ff.; Presse vom 29.3.06; vgl. SPJ 2005, S. 154.
[52] BBl, 2006, S. 5221 ff.; Presse vom 5.5.06.
[53] BBl, 2006, S. 3763 ff.; Presse vom 26.-27.1., 13.3., 18.3. (Vernehmlassung) und 6.4.06.
[54] AB NR, 2006, S. 621 ff.; Presse vom 11.4. (Kommission) und 8.-11.5.06. Der Rat lehnte eine parlamentarische Initiative Vanek (Alliance de Gauche, GE) im Vorprüfungsverfahren ab, welche die Teilprivatisierung der Swisscom von 1998 rückgängig machen wollte (AB NR, 2006, S. 652 und Beilagen II, S. 170 f.).
[55] AB SR, 2006, S. 327 ff.; Presse vom 22.5. (Kommission) und 7.-8.6.06.
[56] AB SR, 2006, S. 887 ff.; AB NR, 2006, S. 1577 und Beilagen IV, S. 477.
[57] Presse vom 15.9.06; vgl. SPJ 2005, S. 154.